Impfungen sind eine der größten medizinischen Errungenschaften der Menschheit und gleichzeitig eines der am kontroversesten diskutierten Themen. Das zeigt sich sogar jetzt in Zeiten der Pandemie: Die ganze Welt wartet einerseits darauf, durch eine COVID-19-Impfung endlich wieder zur Normalität zurückkehren zu können, während auf der anderen Seite Impfgegner die unterschiedlichsten Verschwörungstheorien verbreiten, die Wirksamkeit infrage stellen oder eine Impfpflicht befürchten. Bei der zweiten COSMO Snapshot Fokuserhebung zum Impfen (16. bis 19.2.2021) des Teams um Prof. Dr. Cornelia Betsch der Universität Erfurt stellte sich heraus, dass sich Anfang März 68 Prozent der Befragten gegen COVID-19 impfen lassen würden – im Dezember waren es lediglich 48 Prozent. Geht man davon aus, dass etwa 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sein müssen (Herdenimmunität), um das Virus einzudämmen und der gesamten Bevölkerung, also auch denjenigen, die sich aus verschiedensten Gründen nicht impfen lassen können, ausreichend Schutz zu bieten, sind wir also auf einem guten Weg. Wie bei allen anderen Impfungen gilt es nun auch bei der COVID-19-Impfung, durch Aufklärung und verständliche Informationen vor allem diejenigen Menschen bei ihrer Entscheidung zu unterstützen, die noch unsicher sind. Doch wie schafft man das? Der Bedarf an geeigneten Kommunikationsmaterialien und -fähigkeiten seitens der Gesundheitsämter, der WHO und nicht zuletzt der Ärzt*innen diesbezüglich ist hoch. Dorothee Heinemeier hat das erkannt. Die Psychologie-Absolventin der Uni Erfurt und Doktorandin bei Professorin Betsch untersucht in ihrer Dissertation, wie Impfmüdigkeit durch Impfkampagnen entgegengewirkt werden kann. Mit der Gründung ihres eigenen Unternehmens möchte sie ihr theoretisches Wissen nun auch in die Tat umsetzen und Angebote schaffen, die Akteuren im Gesundheitssektor eine wissenschaftsbasierte und respektvolle Impfkommunikation ermöglichen.
„Schon in meinem Master-Studium Psychologie bin ich auf das Thema Gesundheitskommunikation allgemein und Impfen im Speziellen gestoßen“, erzählt Dorothee Heinemeier. „Beim Impfen geht es einerseits um einen individuellen Schutz, andererseits aber auch um den kollektiven. Das sieht man ja jetzt auch bei der Pandemie. Wenn nicht alle mitmachen, dann ist es auch nicht so wirksam. Es ist ein Gesundheitsthema, bei dem es also nicht nur um mich selbst geht, sondern auch darum, was die anderen tun. Dieses Spannungsfeld finde ich interessant. In einem Projekt mit Cornelia Betsch haben wir Studierenden dann für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) die Entscheidungshilfe für das Impfen auf der Website der BZGA analysiert und optimiert. Wir haben also wissenschaftliche Erkenntnisse mit der Praxis verknüpft. Genau das hat mir gefallen.“ Die Psychologin entschied sich nach ihrem Master-Abschluss deshalb für ein Promotionsthema, das sich auch um das Thema Impfen dreht und damit ebenfalls anwendungsorientiert ist: „IMPFEN 60+“ war ein groß angelegtes Kooperationsprojekt u.a. mit dem Robert Koch-Institut zur Förderung der Impfbereitschaft von Personen ab 60 Jahren. „In dem Projekt haben wir verschiedene Studien durchgeführt, mit denen wir herausfinden wollten, warum sich Bürger*innen, die 60 Jahre oder älter sind, für oder gegen eine Grippeschutz- und Pneumokokken-Impfung entscheiden. Begleitend zu einer Kampagne haben wir große Analysen zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Kampagnenzyklus durchgeführt. Wir haben dabei untersucht, welche Faktoren das Impfverhalten beeinflussen, welche Gründe der Impfentscheidung zugrunde liegen und wie letztlich eine Kampagne aussehen sollte, die diese Gründe bedient.“
Die Kombination von psychologischen und kommunikationswissenschaftlichen Erkenntnissen und deren Übertragung auf ein so gesellschaftlich relevantes Thema wie das Impfen hat die gebürtige Göttingerin also von Anfang an gereizt – und sie in dem Vorhaben bestärkt, keine rein wissenschaftliche Karriere anzustreben, sondern Forschung und Praxis auch beruflich zu verknüpfen. Der Bedarf war da und die Anfragen nach Beratungs-, Schulungs- und Materialangeboten mehrten sich. Bereits im Studium kam Heinemeier deshalb der Gedanke, diese Lücke zu füllen und sich selbstständig zu machen: „Die Idee war in einer Arbeitsgruppe geboren. Ich war diejenige, die sie dann weiterverfolgt hat.“ Nach dem Workshop „Young Entrepreneurs and Science“, der eigens für Doktorand*innen konzipiert ist, die Gründungen aus der Universität heraus planen, schob sie die anfänglichen Unsicherheiten zur Seite und fasste den Entschluss, die Selbstständigkeit zu wagen. „Dass ich mich zu diesem Schritt entschlossen habe, habe ich auch dem Workshop zu verdanken und den Menschen, die ich dort getroffen habe.“ So wie beispielsweise Martin Hellmann vom Gründungsservice der Universität Erfurt, der ihr Gründungsberater wurde. Mit seiner und der Unterstützung von Jana Theuerkauf sowie weiterer Partner wie der Thüringer Mikrofinanzagentur machte sie die ersten Schritte zur Unternehmensgründung. Sie belegte Kurse, um ihre fachliche Expertise durch betriebswirtschaftliche Kenntnisse zu ergänzen und bildete sich in den Bereichen Finanzplanung, Marktanalyse, Steuern und Buchhaltung weiter. Gleichzeitig arbeitete sie an ihrer Doktorarbeit weiter und konnte bereits erste Aufträge annehmen. „Die aktuell besondere Situation hat als Beschleunigung meiner Gründung gewirkt, weshalb ich schneller eingestiegen bin, als ich es eigentlich geplant hatte. Denn der Bedarf an Gesundheitskommunikation wurde durch die Pandemie noch einmal verstärkt“, erläutert die Psychologin.
So beriet sie im Dezember das Thüringer Gesundheitsministerium bei einer kleinen Kampagne zum Thema Pandemiebewältigung und macht im Moment eine Workshop-Reihe zu Impfkommunikation für Medizinstudent*innen. Beratung und Training – das sollen auch die beiden Säulen ihres Unternehmens sein. Bei der Beratung gehe es darum, sich die Datenlage anzuschauen und zu identifizieren, was die Bevölkerung braucht, und diesbezüglich ein adäquates Kommunikationsangebot zu schaffen. Die Trainingsangebote sollen Ärzt*innen dazu befähigen, transparent und kompetent die Lage zu erläutern und über Impfungen sowie ihre Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären. In diesem Jahr dreht sich dabei natürlich alles vor allem rund um die Corona-Impfung, die nächsten Projekte dazu warten bereits auf Dorothee Heinemeier. Ein guter Start also für die junge Gründerin – und, so hofft sie, auch eine gute Motivation für andere Studierende oder Wissenschaftler*innen, die mit dem Gedanken spielen, zum Entrepreneur zu werden. „Ich finde Gründungen aus der Wissenschaft heraus haben ein wahnsinnig großes Potenzial, denn an den Unis schlummern unfassbar viele Ideen, die teilweise gar nicht den Weg hinaus in die echte Welt finden. Ich hoffe, meine Geschichte kann dazu beitragen, das Thema etwas in den Fokus zu rücken und die Sichtbarkeit von Uni-Gründungen zu verstärken.“
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