Du hast an unserer Fakultät deinen Magisterabschluss in Theologie gemacht. Wann wusstest du, dass du Theologie studieren möchtest und warum hast du dich für Erfurt entschieden?
Nachdem ich in Berlin nie schulischen Religionsunterricht erlebt habe, kam mir die Idee, Theologie zu studieren komplett absurd vor, aber die vielfältigen Inhalte beispielsweise von Philosophie, Sprachen oder Geschichte und auch die Option, irgendwann ebenbürtig mit meinem konservativen Gemeindepfarrer diskutieren zu können, fand ich super spannend. Außerdem hat sich das neben all den anderen Optionen richtig angefühlt – heute würde ich wohl Fügung dazu sagen. Trotzdem habe ich mich nicht gleich getraut, allein sowas für mich damals völlig Abwegiges zu studieren, sodass ich zunächst mit dem Baccalaureus-Studiengang in Katholischer Religion und Germanistik angefangen habe. Ab der Einführungswoche war allerdings klar, dass ich besonders zu Hause in der Theologie sein werde und ab dem zweiten Semester habe ich dann auch im Magister-Studiengang studiert. Münster, Wien und Erfurt waren in meiner näheren Auswahl und schließlich gewann Erfurt wegen der mir besonders gewohnten Diaspora-Brille und der unfassbaren Schönheit der Stadt. Ich liebe Erfurt noch heute sehr.
Heute bist du Pastoralreferentin im Erzbistum Berlin. Wolltest du schon immer in einem kirchlichen Beruf arbeiten?
Keineswegs wollte ich im pastoralen Beruf arbeiten und manchmal ist das mit dem System Kirche bis heute schwierig. Nicht nur die Arbeitsbedingungen erschienen mir übermenschlich zu sein, sondern auch die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ich in genialer Kinder- und Jugendarbeit in meiner Sozialisation erlebt hatte. Die Überlegung, in den Bewerbendenkreis zu gehen, um vorsichtshalber einen Plan für „nach dem Studium“ zu haben, war erstmal eine reine Vernunftentscheidung ohne intrinsische Motivation.
Obwohl ich mich schon seit früher Jugend sehr aktiv ehrenamtlich in meiner Heimatgemeinde und später auch in der Katholischen Studierendengemeinde und dem Lai*innenmentorat eingebracht habe, war mir klar, dass mein Platz nicht in der klassischen Gemeindepastoral liegt.
In genialen Praktika, die ich für die Bewerbendenkreiszeit in einer Grundschule in Prenzelberg, in einer Gemeinde mit sozialem Schwerpunkt in Neukölln und bei der Jungen Caritas im Bistum Hildesheim in der Ausbildung der Freiwilligendienstleistenden machen konnte, war mir dann allerdings ganz klar, dass das nicht nur Vernunftentscheidung, sondern Teil meines Berufungswegs ist. Mein Glaube hatte sich mit mir mit und weiterentwickelt. Noch nie hatte ich so sehr für etwas gebrannt wie für die unterschiedlichen Aufgaben während der Praktika.
Wie hast du den Übergang vom Studium in die Ausbildung erlebt?
Über die letzten Studienjahre hinweg habe ich mich sehr nach Praxiserfahrung gesehnt und damit auch auf das Ende des Studium hin gefiebert. Als ich dann jedoch in meiner ersten Gemeinde in Berlin anfing, war das ein harter Schlag: die Menschen waren zwar interessiert an Theologie, aber eher an ihrer Gewohnheit und ihrem Bild von Kirche verhaftet als an der konkreten Arbeit, das Reich Gottes heute zu gestalten. Obwohl ich viele spannende Dinge lernen und auch meine eigene Arbeit noch mal anders reflektieren konnte, war der Unterschied zwischen der Weite, die das Theologiestudium meines Erachtens nach ermöglicht, und der Gemeinderealität eklatant. Innerhalb der Strukturen eines Bistums als Arbeitgeber scheint das Reich Gottes manchmal besonders fern zu sein. Die Kombination aus Gemeindearbeit – teilweise bis spät in die Nacht hinein – und Referendariat im Religionsunterricht mit Aufsicht auf dem Schulhof ab 7.30Uhr war dabei tatsächlich auch für die Entwicklung eines Arbeitsalltags äußerst schwierig. Nach dem Ende des Referendariats und den allein zeitlich entstehenden Freiheiten, pastoral neu und anders bzw. theologisch weit zu denken, wurde das jedoch viel leichter und Gott sei Dank auch erfüllter.
Ab 2020 hast du angefangen an der Hochschule Merseburg Sexologie zu studieren. Wie bist du darauf gekommen?
Schon während meiner Berufseinführungsjahre zur Pastoralreferentin hatte ich das Gefühl, mein wissenschaftliches Interesse weiter vertiefen zu wollen. Lange habe ich darüber nachgedacht, was mich genug interessiert, um mich durch ein Studium hindurchzutragen, aber was zugleich auch einen Mehrwert über die wissenschaftlichen Studien hinweg haben würde. Ich wollte nichts allein für den Selbstzweck studieren, sondern auch einen Mehrwert für meine Arbeit in der Pastoral.
Als Mitarbeiterin der Kirche und seit 2016 auch gewähltes Mitglied vom Zentralkomitee der deutschen Katholik(*inn)en (ZdK) war das Thema Aufarbeitung von sexuellen und auch spirituellen Missbrauch ein großes Thema für mich. Als ich dann vom Studiengang der Sexologie, also der körperorientierten Sexualberatung, hörte, war alles für mich klar gefügt: in Seelsorgegesprächen mit Studierenden, mit denen ich damals gearbeitet habe, kam immer wieder das Thema Sexualität in den unterschiedlichsten Facetten vor und ich war wie bereits beim Theologiestudium Feuer und Flamme. Theologin und Sexologin zu sein, schien perfekt zu meinem Charakter zu passen: ähnlich wie als Berlinerin ins Theologiestudium zu starten: zwei Welten prallen scheinbar aufeinander und doch passen sie perfekt zusammen. Spannenderweise überschnitten sich viele Inhalte mit dem Theologiestudium und der Ausbildung zur Seelsorgerin. Wer hätte das gedacht?
Im Theologiestudium spielt Körperlichkeit eher selten eine Rolle. Würdest du aus deiner heutigen Perspektive sagen, dass die Studieninhalte vom Einbeziehen einer ganzheitlichen Sichtweise auf den Menschen profitieren könnten?
Spätestens seit Karl Rahners Bewusstsein für die Christ*innen der Zukunft, die Mystiker*innen sein müssen, also seit den 1960er Jahren - „Der Fromme von morgen wird ein `Mystiker´ sein“ (Karl Rahner: Frömmigkeit früher und heute, in: Ders.: Zur Theologie des geistlichen Lebens, Benziger-Verlag Einsiedeln u.a. 1966), muss allen in der Pastoral klar sein, dass es nicht reicht, allein den Kopf anzusprechen. Erfahrungen im Glauben zu teilen, ist gerade katholisch ja auch super einfach: mit allen Sinnen: in den schön ausgestalteten Kirchen bei tollster Orgelmusik, gemeinsamen Singen und Weihrauchduft einander die Hände zu reichen, schafft viel mehr Tiefe als nur vor Bildschirmen zu sitzen. Spätestens seit Corona haben alle dafür ein Bewusstsein.
Körperübungen, beispielsweise die Verbindung des Atems mit Spiritualität oder allein die Bedeutung, die in Knien, Sitzen und Stehen in der Heiligen Messe versteckt ist, schafft einen reichen Zugang zu Glaubensinhalten, die gegebenenfalls einfach mal zu Wort gebracht oder noch besser selbst ausprobiert werden sollten.
In der Liturgiewissenschaft haben wir auch über entsprechende Aspekte gesprochen, sie aber selbst in einem spirituellen Kontext auszuprobieren, ist eine andere Erfahrung, die mehr als wünschenswert für alle Studierenden wäre. Ein Seminar auf einer Isomatte mit Raum für die individuelle Körpererfahrung wäre mehr als wünschenswert. Erfurt darf mich dafür gern buchen.
Neben deiner Stelle als Pastoralreferentin arbeitest du auch als selbstständige Sexualberaterin. Wie vereinbarst du beides miteinander? Und gibt es Möglichkeiten, dein Wissen aus dem Sexologie-Studium auch in deine Arbeit als Pastoralreferentin einfließen zu lassen?
Die Einbeziehung von sexologischem Wissen und auch Übungen in die Arbeit mit Menschen in der Kirche ist mehr als sinnvoll, gerade weil es die Menschen in ihrem kompletten Sein ernst nimmt. Viele wollen gerade jetzt bei zunehmendem Stress oder Erfahrungen von Überforderung etwas anderes. So sehr mein theologisches Herz manchmal blutet: oft nehmen Menschen aus Körperübungen mehr mit als aus dem Referieren oder (gemeinsamen) Erarbeiten von Inhalten. Meine Selbstständigkeit als Sexualberaterin lässt sich sehr gut einplanen, gerade weil ich nur so viele Personen begleite, Podiumsdiskussionen annehme oder sonstige Veranstaltungen anbiete, wie ich auch gut vereinbaren kann.
Welchen Rat würdest du unseren aktuellen und vielleicht auch zukünftigen Studierenden gerne mit auf den Weg geben?
Oftmals ist Sexualität gerade im Kontext der Kirche tabuisiert. Das führt dazu, dass sich die eigene Sexualität nicht ausreichend entwickeln kann. Deshalb: redet mehr über Sex, auch das hilft schon bei der sexuellen Entwicklung und egal, ob ihr irgendwann verheiratet, zölibatär, polyamor oder wie auch immer leben wollt: das bringt weiter, deckt bestimmte Glaubensmuster auf, hilft bei konkreten Problemen oder zeigt, dass bestimmte Vorurteile schon längst hinterfragt werden können.
Falls nötig: Sexualberater*innen helfen bei jedem der gewählten Lebenswege und manche, wie zum Beispiel ich, können dabei auch die Komponente des Glaubens miteinrechnen. Und wer sich für die Prävention von sexuellem Missbrauch interessiert: wärmste Empfehlung meine Masterarbeit zu lesen: „Wie viel Sex braucht der Zölibat?“ – oder auch: eine Auswertung von systemischen Missbrauchsstudien und Gesprächen mit zölibatär lebenden Seelsorgern zu ihren Ausbildungselementen für das eigene zölibatäre Leben und die Seelsorge im Bereich der Sexualität.