Das erste Mal, dass ihr das Thema Diversity begegnete, war 2009 als sie als frisch promovierte Film- und Medienwissenschaftlerin eine Stelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar antrat. Silke Martin hatte damals eine sogenannte „Lecturer-Stelle“ mit erhöhtem Lehrdeputat und schloss sich, weil sie keinerlei Lehrerfahrung hatte, der Werkstatt „Schöner Lehren“ an. Diese wurde von Lena Eckert im Rahmen des Projektes GeniaL (Gender in der akademischen Lehre Thüringen) in der Fakultät Medien gegründet und versammelte regelmäßig interessierte Kolleg*innen zu der Frage, wie gute Hochschullehre gelingen kann, insbesondere in Hinblick auf Gender und Diversität. Als Lehranfängerin war das für Silke Martin damals ein guter Rahmen, um ihre Lehre professionell entwickeln und im Austausch mit den Kolleg*innen über Fragen zu Gender an der Hochschule diskutieren zu können. Jahre später gab sie sogar gemeinsam mit Lena Eckert im Rahmen des Projekts GeniaL einen Sammelband mit dem Titel „Schöner Lehren – gegendert und gequeert“ heraus, in dem gendersensible Modulbausteine für die medien- und kulturwissenschaftliche Lehre versammelt sind. Heute ist Dr. Silke Martin wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Kommunikationswissenschaft der Uni Erfurt und koordiniert hier zugleich das Promotionskolleg Communication and Digital Media. Das Thema Diversity hat sie nicht losgelassen – und sie versucht es bis heute in ihrer eigenen Lehre zu leben und für die Studierenden nutzbar zu machen. Für unseren Campus-Blog „Ich mag meine Uni…!“ haben wir einmal genauer nachgefragt…
„Ich war damals zunächst einmal froh, eine Anbindung an Kolleg*innen zu haben und mich über Lehre kollegial austauschen zu können“, erinnert sich Martin. „Zu dieser Zeit gab es kaum hochschuldidaktische Angebote in Thüringen und die Werkstatt ‚Schöner Lehren‘ war – im wahrsten Sinne des Wortes – meine Rettung. Denn so konnte ich das hohe Lehrdeputat – trotz fehlender Lehrerfahrung – gut bewältigen und meine Lehre kontinuierlich verbessern, so dass ich 2014 schließlich mit Lena Eckert gemeinsam den BMBF-Lehrpreis für besonders kreative und wirksame Lehre erhalten habe. Im Rahmen der Professionalisierung meiner Lehre hat mich die Werkstatt auch für Fragen zu Gender und Diversity sensibilisiert. Denn so hatte ich ‚Peers‘, mit denen ich mich zu Machtverhältnissen, der Prekarisierung von Wissenschaftler*innen, insbesondere von Frauen*, und zur wissenschaftlichen Laufbahn als Hochrisikounternehmen fundiert theoretisch austauschen konnte.“ Und so kristallisierte sich aus der Werkstatt „Schöner Lehren“ schließlich ein Kreis von Kolleginnen, der sich beim Mentoring-Programm WISA (Women in Science and Arts) an der Bauhaus-Universität beworben hat und sich auf vielfältige Weise mit dem Thema Diversität auseinandersetzte – zum Beispiel in Form eines Gender-Lektürezirkels, in Schreibworkshops, kreativen Schreibnächten und Barcamps. Entstanden sind feministische Manifeste zum Schreiben als Wissenschaftlerin, Artikel zu kollektiven Schreibmethoden und andere Texte mit Bezug zu Gender und Diversity. Aus diesem Kolleginnenkreis gründete sich schließlich 2018 die Arbeitsgruppe „Macht und Gender in der Wissenschaft“, die sich bis heute regelmäßig trifft und u.a. eine Erklärung gegen Sexismus in der Wissenschaft formuliert, die innerhalb kürzester Zeit mehr als 1000 Unterschriften von Wissenschaftler*innen deutschlandweit versammelt hat. Die Erklärung enthält Vignetten, kleinere Texte in Länge eines Abschnitts, in denen Kolleg*innen anonym über sexistischen Erfahrungen in der Wissenschaft berichten.
Wie sie das Thema seither im Alltag begleitet hat, fragen wir Silke Martin. „Nach meiner Ausbildung zur Schreibberaterin – inspiriert durch die Mentoring-Gruppe, die Schreibworkshops u.a. – habe ich begonnen, im Rahmen meiner gendersensiblen Workshops, die ich seit 2015 für Post/Docs* an verschiedenen Hochschulen anbiete, zum Schreiben, aber auch zu Hochschullehre und Karriereentwicklung innerhalb wie außerhalb der Wissenschaft, Gruppen zu gründen. Ich habe mehrere Schreibgruppen initiiert, die autonom und selbstorganisiert arbeiten – auch an der Universität Erfurt. Durch diese Erfahrungem hat sich relativ schnell auch mein Interesse in der Forschung verändert. So beschäftige ich mich seit nunmehr fast zehn Jahren u.a. mit Gender/Ageing Studies, vor allem in Hinblick auf Film und ästhetische Film-Bildung.“
Silke Martin hat ihre diesbezüglich Forschung nicht nur in Publikationen bearbeitet, sondern bindet sie heute auch in ihre Lehre ein – zum Beispiel in Seminaren zu Film/Ageing Studies, in denen sie mit Studierenden u.a. in Altenheimen Film-Bildungsworkshops veranstaltet hat. „So kam es nicht nur zu einem Transfer von universitärem Wissen in die Gesellschaft und zu einem Austausch zwischen den Generationen, sondern auch zu einer bewussten Reflexion der Studierenden über ‚Ageism‘, der strukturellen Diskriminierung aufgrund von Alter.“ Später kamen weitere diversitätsbezogene Seminare hinzu, die sie mit Kolleg*innen im Tandemteaching (auch dies ist ein Diversitätsthema) veranstaltet hat: an der Universität Erfurt beispielsweise die Ringvorlesung „Religion und Gender“ oder Seminare im Studium Fundamentale zu „Feminismus und Schreiben, weiblicher Sexualität oder (queerer) Elternschaft“. „Das Elternschaftsseminar war von einem Forschungsprojekt zu Mutterschaft inspiriert, das ich zusammen mit Sarah Czerney und Lena Eckert seit mehreren Jahren entwickle“, erläutert Silke Martin. Darin entstanden Workshops, eine Online-Schreibgruppe zu Mutterschaft, ein Filmabend mit Regiegespräch, Publikationen, zahlreiche Lesungen und das Netzwerk „Mutterschaft und Wissenschaft“.
Und wie reagieren die Studierenden auf das Thema? „Vor zehn Jahren war die Reaktion noch verhalten, insbesondere in Hinblick auf gendersensibles Formulieren, aber auch bezüglich diversitätssensibler Themen wie Ageing und Gender. Inzwischen ist das Interesse an solchen Themen allerdings immens groß. Wenn das Wort Gender oder Feminismus im Titel von Lehrveranstaltungen auftaucht, kann ich mich oft vor Anmeldungen ‚nicht retten‘.“
Bei aller Offenheit für das Thema stellt es die Akteure natürlich auch immer wieder vor Herausforderungen. Auch auf dem Campus der Uni Erfurt. Silke Martin erklärt: „Die eigenen Position zu reflektieren, Privilegien, aber auch Marginalisierungen aufzudecken und daraus Handlungen abzuleiten – dies mit Studierenden gemeinsam zu tun, ist eine besondere Herausforderung, vor allem deshalb, weil man als Lehrende*r per se in einer höheren ‚Machtposition‘ ist als die Studierenden. Ich versuche dem entgegenzuwirken, indem ich eine Lehrhaltung etabliere, die ich als Lehren auf Augenhöhe und als hierarchiesensibel bezeichne. Neben der kritischen Reflexion der (eigenen) Machtposition, etwa in Hinblick auf Gender, Class, sexuelle Orientierung oder Herkunft, der Lehrenden wie der Studierenden, ist bei diesem Lehransatz vor allem die studentische Partizipation und Empowerment zentral. Wichtig hierbei ist mir, die jeweiligen Machtpositionen wahrnehmbar zu machen und sie auszubalancieren – auch und gerade zwischen Lehrenden und Studierenden. Diesen Lehransatz habe ich übrigens im Rahmen des Scholarship of Teaching and Learning – u.a. gemeinsam mit Sophia Wohlfahrt, einer ehemaligen Studentin des Masters Kinder- und Jugendmedien, und Kristine Baldauf-Bergmann, Leiterin der brandenburgischen Hochschuldidaktik (sqb), beforscht und gemeinsam dazu publiziert.
Was können wir, was kann jeder Einzelne auf dem Campus tun, um Diversität zum Alltag zu machen, fragen wir Silke Martin abschließend: „Reflektiert und sensibel sein, auf andere achten, eigene Privilegien hinterfragen: Was, beispielsweise, heißt es, deutsch zu sein und aus einem Akademiker*innen-Haushalt zu stammen? Was heißt es, in Frieden zu leben? Was heißt es, an einer Universität studieren zu können? Welche Verantwortung habe ich als Lehrende*r, gerade in Hinblick auf Diskriminierung? Wie kann ich Diversität jenen nahebringen, die bisher wenig Kontakt oder sogar Widerstände entwickelt haben? Welche Verantwortung habe ich als Studierende – gerade dann, wenn ich in der privilegierten Position bin? Damit wäre schon viel erreicht.“