Es ist sein letzter Tag auf dem Campus. Das Büro ist schon so gut wie leer, die privaten Sachen im Auto verstaut. Gerd Mannhaupt, Professor für Grundlegung Deutsch, Direktor der Erfurt School of Education, Vizepräsident für Studienangelegenheiten, Kollege und Freund, dreht noch einmal eine Runde. Sagt hier „Danke!“ und dort „Macht’s gut!“. Und schaut auch nochmal bei der Hochschulkommunikation vorbei, die um ein Abschiedsinterview gebeten hatte…
Sie verlassen den Campus Ende des Monats nach 22 Jahren, um in den Ruhestand zu gehen. Wie fühlt sich das an?
Ich weiß es, ehrlich gesagt, noch nicht. Mein Abschied kommt ja nicht überraschend und ist lange vorbereitet. Das macht es mir leicht. Aber auch nicht bei allem und allen…
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag hier?
Ja, sogar ziemlich genau. Es war der Tag des Amoklaufs am Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Ich saß im Auto auf dem Weg zur Uni und hörte im Radio in den Nachrichten davon. Da war natürlich an der Arbeit dann nicht mehr viel möglich. Das Ereignis hat so vieles überschattet, zumal einige meiner neuen Kolleg*innen Kinder an der Schule hatten…
Und als Sie sich dann irgendwann eingelebt hatten, was war ihr erster Eindruck von der Universität Erfurt?
Mir ist zum einen die Bausubstanz aufgefallen. Mein Büro und das unmittelbare Umfeld waren recht alt, es gab Sanierungsbedarf. Und auch die IT-Prozesse hingen deutlich hinter denen anderer Hochschulen zurück. Dagegen habe ich das soziale Umfeld als sehr „kümmerig“ wahrgenommen. Man achtete aufeinander, man kümmerte sich eben einfach. Meine damaligen unmittelbaren Kolleginnen, Prof. Dr. Karin Richter und Dr. Monika Plath, hatten z.B. mein Büro wunderbar vorbereitet und mir einen guten Empfang bereitet. Aber auch um die Studierenden hat man sich sehr bemüht. Das habe ich als sehr wohltuend empfunden.
Sie wollten immer mitgestalten und haben zahlreiche Ämter übernommen – Prodekan, zweimal ESE-Direktor, zweimal Vizepräsident für Studienangelegenheiten: Was wollten Sie verändern?
Verändern ist vielleicht das falsche Wort. Ich habe immer versucht, die Bedingungen, unter denen ich arbeite, mitzugestalten und Prozesse berechenbarer bzw. nachvollziehbarer zu machen. Gerade im Hinblick auf die Studienbedingungen. Damals wurde die Erziehungswissenschaftliche Fakultät gerade in die Uni integriert, das heißt, aus dem Staatsexamen wurden Bachelor- und Masterabschlüsse – ich wollte dazu beitragen, dass die Qualität des Studiums stimmt und die Studierbarkeit gewährleistet ist. Dabei hatte ich mit Karin Richter übrigens eine wunderbare Mitstreiterin…
Und Sie konnten im Lauf der Zeit einiges anschieben. Ich denke da zum Beispiel an das Thema Digitalisierung, was ja so etwas wie „Ihr Baby“ geworden ist. Die Corona-Pandemie spielte dabei eine nicht unerhebliche Rolle und heute gibt’s sogar ein eTeach-Netzwerk…
Ja, so schwer die Pandemie die Gesellschaft im Ganzen und auch die Uni Erfurt im Speziellen getroffen und vor welche Herausforderungen sie jeden Einzelnen von uns gestellt hat: Am Ende hat sie dazu geführt, dass es in Sachen Digitalisierung auf dem Campus einen Riesenschritt vorangegangen ist. Von „Glücksfall“ zu sprechen, wäre hier sicher vermessen, aber das „Chaos der Stunde“ hat uns damals gezwungen, mutig zu sein, Dinge auszuprobieren. Und die Widerstände waren vergleichsweise gering, so dass wir innerhalb kürzester Zeit zu einer digitalen Prüfungsmöglichkeit gekommen sind, technisch aufgerüstet und Online-Lehre auf die Beine gestellt haben, damit wir den Studierenden überhaupt ein Angebot machen konnten. Da waren wir gut und sogar für viele andere Hochschulen Vorbild. Es war wichtig, dass wir diese Chance erkannt und genutzt haben. Bei aller zusätzlicher Energie, die das alles auch gekostet hat.
Die Systemakkreditierung der Universität Erfurt war ja auch so ein Großprojekt…
Ja, das hatte schon vor meiner zweiten Amtszeit als Vizepräsident begonnen. 2019 bin ich dann voll eingestiegen. Damals war es vor allem wichtig, die Prozesse gut zu gestalten. Die Schwierigkeit bestand darin, dass wir neben der Systemakkreditierung parallel auch die einzelnen Studienprogramme re-akkreditieren mussten. Der Aufwand für Letzteres war schwer zu vermitteln, denn viele dachten, die Systemakkreditierung kommt ja jetzt, da können wir uns die letzten Programm-Re-Akkreditierungen sparen. Eine Fehlannahme. Wir haben uns sehr bemüht, den Aufwand für die einzelnen Studiengänge so gering wie möglich und die Prozesse handhabbar zu halten, aber es war schon ein Kraftakt, das gebe ich zu.
Und dann dürfen wir nicht vergessen: Ihr letztes großes Projekt – die Einführung des dualen Studiums für das Regelschullehramt…
Damit gehen wir zum Wintersemester an den Start. 50 Studierende haben wir immatrikuliert und tragen damit – neben dem regulären Lehramtsstudium – zusätzlich dazu bei, den Lehrermangel in Thüringen zu verringern. Im Prozess selbst konnten wir natürlich Erfahrungen aus früheren Projekten nutzen. Zum Beispiel, wie wichtig es ist, die Leute mitzunehmen, die das Projekt mittragen sollen. Das ist das A & O. Und es war auch nicht immer leicht, die akademischen Erwartungen, die des Bildungsministeriums in dieser Sache und die Realitäten unter einen Hut zu bekommen. Ich gebe zu, das war ein sehr sportlicher Ritt – besonders im Hinblick auf das Zeitfenster, das wir hatten. Denn es stand immer auch die Befürchtung im Raum, mit einer neuen Landesregierung könnte das Projekt sterben und alle Mühe vergebens gewesen sein. Das hat schon Druck erzeugt, besonders beim zuständigen Dezernat für Studium und Lehre, keine Frage. Aber am Ende haben wir’s geschafft – gemeinsam mit den Beteiligten vor Ort und dem Ministerium. Die ersten Studierenden sind eingeschrieben und das Interesse an diesem Studiengang ist groß. Auch hier sind wir wieder einmal Vorreiter. Deutschlandweit übrigens.
Sie übergeben Ihrer Nachfolgerin im Präsidium, Prof. Dr. Julia Knop, also ein gut bestelltes Feld. Oder gibt’s etwas, das Sie gern noch selbst „erledigt“ hätten?
Nein, ich habe alles umgesetzt, was ich mir für diese Amtszeit vorgenommen hatte. Ich gehe sozusagen mit einem leeren Schreibtisch.
Und mit welchem Bild von der Universität Erfurt?
Im Bereich der digitalen Prozesse im Studium bzw. in Begleitung der Lehre sind wir nach wie vor noch nicht vorn, denke ich. Auch die Prozesse zwischen Prüfungsämtern und dem Dezernat Studium und Lehre sollten meines Erachtens noch weiter digitalisiert werden. Und auch hinsichtlich der „Kundenfreundlichkeit“ bei Prüfungsangelegenheiten sehe ich noch Luft nach oben. Aber wir haben mit der Einführung von Moodle den Wildwuchs von Lernplattformen beseitigt – das halte ich für einen wichtigen Punkt.
Jetzt gilt es sicherlich, die HISinOne-Integration zu komplettieren, auch das ist ein Meilenstein für die Uni.
Und mit Blick auf das, was ich eingangs zur Bausituation gesagt habe, würde ich heute Bewegung konstatieren. Ich meine nicht nur das KIZ und den Forschungsbau. Auch beim Lehrgebäude 2 tut sich etwas, wir sind zumindest auf dem Weg, wenngleich das Bau-Thema die Uni sicher, wie auch die anderen Hochschulen im Land, noch lange beschäftigen wird.
Und was ich nach wie vor auf dem Campus wahrnehme, ist das „Kümmern“. Das Kümmern um die Kolleg*innen, aber vor allem auch um die Studierenden. Das wird mir auch in Erinnerung bleiben.
Ihre Professur „Grundlegung Deutsch“ lag Ihnen ja auch immer sehr am Herzen und Sie haben viel Einblick in die Situation von Grundschüler*innen und Lehrkräften bekommen. Wie geht’s den Grundschülern in Thüringen aus Ihrer Sicht aktuell?
Ich sehe vor allem ungenutzte Chancen an den Schulen. Klar, das Thema Digitalisierung ist mittlerweile auch an den (Grund-)Schulen angekommen. Aber man hat in den vergangenen Jahren, vor allem seit der Corona-Pandemie, erstmal auf die digitale Technik gesetzt. Die Übertragung der neuen Möglichkeiten in den Unterricht hängt dagegen noch hinterher. Die Lehramtsausbildung an der Uni Erfurt ist da zum Glück deutlich weiter, unsere Studierenden sind gut vorbereitet und fit für die Zukunft in der Schule. Insofern bin ich optimistisch, dass die neue Generation Grundschullehrer*innen an den Schulen einen guten Job machen wird.
Wie haben Sie all die vielen Aufgaben in den vergangenen 22 Jahren eigentlich geschafft, ohne zu verbrennen?
Ich glaube, indem ich immer die Sache, die Aufgabe in den Fokus genommen habe, nicht irgendwelche Befindlichkeiten, und indem ich die Personen um mich herum, also mein jeweiliges Team gestärkt habe. Umso besser konnten sie mich nämlich bei all den Projekten unterstützen. Ich konnte mich immer auf sie verlassen, dafür bin ich unheimlich dankbar. Und ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass ich zwischen Arbeit und Wochenende klar getrennt habe. Samstag und Sonntag gabs keine E-Mails, keine Projekte, kein irgendwas. Nur das Private, die Familie und alles, was dazu beigetragen hat, dass ich die Batterien wieder aufladen konnte.
Zu Ihrem Abschied gabs in den vergangenen Tagen viele warme Worte und „Dankeschöns“. Wenn Sie auf Ihr Wirken an der Uni Erfurt zurückblicken, empfinden Sie da so etwas wie Stolz?
Nein, das ist mir fremd. Aber ich bin froh und zufrieden, das kann ich sagen.
Ihre Professur wird gerade wieder neu besetzt, Ihre Nachfolge im Vizepräsidentenamt (Prof. Dr. Julia Knop) und in der Direktion der Erfurt School of Education (Prof. Dr. Sandra Neumann) ist geklärt: Was geben Sie denen zum Abschied mit auf den Weg?
Nichts. Das ist gar nicht meine Art. Wir haben Übergabegespräche geführt, klar. Aber ich halte es für systemisch nicht gesund, Hausaufgaben für die nächsten Jahre zu verteilen. Die Kolleginnen sollen ihre eigenen Themen setzen und sie auch auf ihre eigene Art umsetzen. Man muss auch loslassen können.
Jetzt packen Sie Ihre Koffer und gehen zu Ihrer Familie nach Bielefeld, die Sie ja lange Zeit nur am Wochenende gesehen haben. Haben Sie Sorge, dass sie jetzt erstmal in ein Loch fallen, wenn der ganze berufliche „Kram“ wegfällt?
Nein, gar nicht. Klar, ich werde ein paar weniger Aufgaben haben, andererseits werden auch neue hinzukommen. Und die werden nicht weniger spannend oder verantwortungsvoll sein. Ob als Opa, als Ausbilder im Segelverein, im Vorstand des Fußballvereins oder beim Werkeln am Haus und im Garten. Langeweile werde ich ganz sicher nicht haben.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Auf meine Frau und darauf, endlich richtig viel Zeit „am Stück“ mit ihr zu verbringen.
Gibt’s ein Andenken, das Sie aus Erfurt mitnehmen?
Ja, eine neue Latzhose, die ich von meinem Team geschenkt bekommen habe, um auch in meiner Werkstatt immer „en vogue“ zu sein. Und meine Uni-Erfurt-Tasche. Die hat mir immer gute Dienste geleistet, die bleibt natürlich. Aber sicherlich auch zahlreiche tolle Erinnerungen an Erfurt – mein wöchentlicher „Dönerstag“ oder meine Besuche im „Abendbrot“ und natürlich auch die Lieblingskolleginnen und -kollegen, die ich im Herzen mitnehme.