Gefördert vom Rettungs- und Zukunftsprogramm NEUSTART KULTUR der Bundesregierung entsendet der Deutsche Übersetzerfonds im kommenden Wintersemester 46 literarische Übersetzerinnen und Übersetzer im Rahmen einer Gastdozentur an 39 bundesdeutsche Universitäten und Hochschulen. Mit dabei ist Dr. Barbara Christ, die an der Professur für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Erfurt lehren wird. In diesem Rahmen wird sie gemeinsam mit Studierenden über die vielfältigen Fragen der Übersetzungskultur diskutieren, Texte analysieren, die Übersetzungspraxis darstellen und ausprobieren. Wir haben vorab mit ihr gesprochen:
Frau Christ, Sie werden bald mit Studierenden an der Uni Erfurt zusammenarbeiten und ihnen dabei auch Einblicke in ihren Beruf gewähren. Was finden Sie spannend an der Zusammenarbeit?
Wenn man übersetzt, arbeitet man – aus guten Gründen – meistens allein. Umso wichtiger ist der Austausch mit Kolleg*innen. Seit etwa zehn Jahren habe ich das Glück, Seminare für professionelle Übersetzer*innen ins Deutsche und aus dem Deutschen zu leiten, und nun freue ich mich darauf, auch mit Studierenden in einen Austausch zu treten. Ich bin gespannt darauf, ihnen Wissen und Erfahrung aus meiner Praxis zu vermitteln und die Perspektiven kennenzulernen, aus denen sie Sprache, Literatur und Übersetzung betrachten. Ich stelle mir vor, dass das für alle Beteiligten inspirierend und impulsgebend sein kann.
Warum ist es wichtig für Studierende, über Übersetzungen zu sprechen, sie zu analysieren und durchzuführen?
Studierende der Literaturwissenschaften arbeiten mit Sprache in ihren vielfältigen Erscheinungsformen und sind es gewohnt, damit umzugehen. Die Beschäftigung mit Übersetzungen und dem Übersetzen, sei es theoretisch oder praktisch, schult den Blick auf Strukturen und Funktionen der Sprache und darauf, inwiefern Sprache ihrerseits Wahrnehmung und kulturelle Strukturen bedingt. Das lässt sich, so denke ich, auch für andere Fragestellungen nutzen. Zudem kann man bei der Arbeit mit Übersetzungen gestalterische und künstlerische Verfahrensweisen kennenlernen, die man vielleicht andernorts wiederfindet. Und wer weiß – vielleicht findet jemand Gefallen an diesem Beruf?
Aus Ihrer Erfahrung heraus, was sind die Herausforderungen beim Übersetzen?
Das Übersetzen als Praxis spricht vielerlei Kompetenzen an. Neben der Bereitschaft, immer wieder Neues zu lernen, sich in neue Bereiche einzuarbeiten und Perspektiven zu wechseln braucht man Geduld, einen langen Atem – und, weil man meist freiberuflich arbeitet, eine gewisse Selbstdisziplin. Belohnt wird man mit einem (abwechslungs)reichen Arbeitsleben und einer Menge Abenteuern.
Welches Seminar werden Sie genau anbieten?
Mein Seminar heißt „‚Thou art translated‘ – Theater übersetzen“, der Titel zitiert Shakespeares „Sommernachtstraum“. Viele Stücke, die man auf deutschsprachigen Bühnen sieht, werden in Übersetzung aufgeführt. Um diese Form des Übersetzens geht es im Seminar: Wie und vor welchem Hintergrund entstehen Dramatik-Übersetzungen, welchen praktischen Anforderungen sollten sie genügen, welche Methoden und Qualitätskriterien gibt es dafür? Wir widmen uns den sogenannten Klassikern in unterschiedlichen Übersetzungen, aber auch Gegenwartsstücken sowie allgemeineren Fragen zur Ästhetik und Praxis des Übersetzens und zu seiner Positionierung in aktuellen Diskursen. Und natürlich experimentieren wir am praktischen Beispiel. Ich freue mich auf Studierende aller literaturwissenschaftlichen Disziplinen – erfahrungsgemäß ist es sehr spannend und aufschlussreich, Übersetzungen zu beleuchten, wenn die Beteiligten mit unterschiedlichen Sprachen arbeiten.
Beim Thema Übersetzung kann man natürlich auch gleich an Internationalisierung denken. Kann diese durch die Auseinandersetzung mit einem Text aus mehrsprachlicher Sicht gefördert werden?
Wenn man sich mit dem Vorgang des Übersetzens oder mit Übersetzungen befasst, öffnet sich in jedem Fall der Blick. Beziehungen werden deutlich – zwischen Sprachen, zwischen und innerhalb von Kulturen, zwischen Personen, deren gemeinsames Interesse ein tragfähiges Ergebnis ist. Es fördert – unter anderem – Wissen und Offenheit, Kompetenzen, die der Internationalisierung aus meiner Sicht zuträglich sind.
Das klingt nach einem sehr komplexen aber auch vielseitigem Beruf. Was würden Sie Studierenden raten, die auch Übersetzer*in werden wollen?
Wer professionell übersetzen möchte, muss nicht unbedingt Literarisches Übersetzen studieren, was ja möglich ist. Viele Kolleg*innen haben etwas anderes studiert und/oder in anderen Bereichen gearbeitet – ich selbst etwa im Theater und im Theaterverlag. Empfehlen würde ich, den Kontakt zu Praktiker*innen und den Austausch mit ihnen zu suchen. Zum Beispiel bieten der Deutsche Übersetzerfonds und das Literarische Colloquium Berlin neben Mentoring-Programmen viele Veranstaltungen, Seminare und Werkstätten an, die auch Anfänger*innen offen stehen. Auch auf Theater- und Literaturfestivals wird man fündig. Meiner Erfahrung nach öffnen sich dann mit etwas Engagement und Initiative viele Türen von selbst.
Zur Person:
Barbara Christ studierte Literatur- und Theaterwissenschaften, arbeitete anschließend als Dramaturgin und promovierte mit einer Arbeit über das dramatische Fragment. Neben ihrer Tätigkeit als Übersetzerin, mit der sie 1997 begann, wirkte sie von 1998 bis 2009 als feste freie Lektorin im Verlag der Autoren mit. Ihre Schwerpunkte als Übersetzerin sind Theaterstücke und erzählende Literatur aus Großbritannien, Kanada und den USA, darunter die Werke der Nobelpreisträgerin Doris Lessing. Sie lebt in Frankfurt am Main.
Foto in Abbildung: Barbara Christ © Barbara Walzer