Ein Studium ebnet für die Absolvent*innen in der Regel den Weg für die zukünftige berufliche Entwicklung. So meint man. Bei Steffen Harzer scheint dies anders zu sein. Der 62-Jährige hat bereits eine erfolgreiche berufliche Karriere hinter sich und studiert aktuell an der Universität Erfurt im vierten Semester Kunst. Für unseren Campusblog haben wir mit ihm über seine Beweggründe gesprochen…
Mit 62 Jahren ein Studium zu beginnen, ist zugegeben ungewöhnlich! Wie kam es zur der Entscheidung?
Ich habe mich schon immer sehr für die bildenden Künste interessiert. Vor fünf Jahren entdeckte ich dann für mich das Malen und Zeichnen wieder. Doch ein gesundheitlicher Schicksalsschlag vor zwei Jahren veränderte mein Leben nachhaltig. Ich erlitt einen Schlaganfall und dies führte mir vor Augen, dass ich mein Leben umkrempeln muss: Ich wollte weniger Stress und mehr Spaß im Leben und mich auf das konzentrieren, worauf es wirklich ankommt. Die Vorstellung, meine vier Kinder so früh als Halbwaisen durchs Leben gehen zu lassen, hat meinen Entschluss zur Veränderung noch bestärkt.
Ihren Kommiliton*innen haben Sie offensichtlich Einiges an Lebenserfahrung voraus. Erzählen Sie doch mal, was Sie vor dem Studium beruflich gemacht haben.
Ich habe Werkzeugmacher gelernt und anschließend Maschinenbau studiert. Nach der Ausbildung arbeitete ich in einem Heizkraftwerk. Mit der politischen Wende 1989 engagierte ich mich in der Gewerkschaft und wurde hauptamtlich Hauptpersonalratsvorsitzender im Thüringer Gesundheits- und Sozialministerium und Personalratsvorsitzender in der Nervenklinik in Hildburghausen. 1996 wurde ich zum Bürgermeister von Hildburghausen gewählt. Nach 18 schönen Jahren in diesem Amt entschied ich mich jedoch, nicht erneut anzutreten. Die Politik ließ mich aber nicht los und ich wollte eine neue Herausforderung. So trat ich 2014 erfolgreich zur Wahl zum Thüringer Landtag an, dem ich bis 2019 angehörte. Im Anschluss daran war ich bis zu meinem Schlaganfall freiberuflich tätig. Danach entschloss ich mich, meine eigene Galerie zu eröffnen und das Kunst-Studium an der Universität Erfurt zu beginnen.
Und warum nun ausgerechnet Kunst?
Es macht mir Spaß und erfüllt mich mit großer Freude, mich künstlerisch auszudrücken. Es ist ein fantastischer Ausgleich und eine starke Ausdrucksform mit Pinsel, Stift und Farbe etwas Eigenes zu gestalten und zu schaffen. Dabei nutze ich ganz verschiedene Materialien und Techniken. Was jedoch alle meine Werke gemein haben, ist, dass sie alle sehr farbenfroh sind. Ich bin regelrecht farbenverliebt.
Nun orientieren sich die Inhalte des Studiengangs Kunst an der Uni Erfurt sehr an pädagogischen Inhalten, hier werden vor allem künftige Kunstlehrerinnen und Kunstlehrer ausbildet. Warum haben Sie sich dennoch für diesen Studiengang der Uni Erfurt entschieden und nicht für ein freies Kunststudium?
Der Studiengang Kunst der Uni Erfurt ist trotzdem sehr künstlerisch geprägt. Er hat einen hohen Anspruch an die Studierenden aber auch an die Lehre. Die Eignungsprüfung, bei der man eine eigene Arbeitsmappe abgeben muss und auch die zu absolvierende praktische Prüfung, die pandemiebedingt bei mir leider nicht stattfand, zeigt einem aber vor allem selbst, ob man den Anforderungen des Kunst-Studiums auch wirklich gewachsen ist. Das spiegelt sich später auch im Seminar wider und gibt den Studierenden ein sicheres Gefühl. Alle sind hoch motiviert und haben ähnliche Fähigkeiten und Kenntnisse. Erfurt hat aber auch den ganz pragmatischen Vorteil, dass es für mich von meinem Wohnort aus sehr gut erreichbar ist und ich jeden Tag pendeln kann.
Die meisten Ihrer Kommiliton*innen sind sicher wesentlich jünger als Sie. Ist der Altersunterschied im Studienalltag ein Thema? Und wenn ja: Wie unterscheidet sich Ihr Uni-Alltag von dem Ihrer jüngeren Kommilitonen?
Ich denke nicht, dass der Altersunterschied ein großes Thema ist. Am Anfang gab es natürlich den einen oder anderen irritierten Blick. Vielleicht ein bisschen nach dem Motto „Was will denn der Alte hier?“. Ich denke aber, dass ich diese „Vorurteile“ schnell abbauen konnte. Ansonsten unterscheidet sich der Studienalltag nicht. Wir absolvieren alle das gleiche Programm, die gleichen Seminare und Vorlesungen. Allerdings habe ich als Zertifikatsstudent dafür etwas mehr Zeit. Die Unterschiede liegen wohl eher außerhalb der Uni: Die wilden Studentenpartys lasse ich dann doch aus.
Was macht Ihnen besonders Freude im Studium und wo sehen Sie Herausforderungen für sich?
Die praktischen Teile machen mir am meisten Spaß und da knie ich mich auch richtig hinein. Klar kann die Bewertung dann auch mal nicht so ausfallen, wie ich es mir erhofft habe. Aber ich bin dann nicht enttäuscht. Vielmehr packt mich mein Ehrgeiz und ich will es dann besser machen. Schwieriger ist es mit den theoretischen Fächern. Da merke ich, dass meine „grauen Zellen“ nicht mehr ganz so aufnahmefähig sind, wie früher und ich mehr lernen muss, um bei Klausuren zu bestehen.
Das neue Semester hat gerade begonnen. Verraten Sie uns, was Sie inhaltlich in diesem Semester am meisten interessiert bzw. beschäftigen wird?
Dieses Semester gestaltet sich eher theorielastig. So stehen Vertiefungen in der Kunstpädagogik und Foto- und Medienwissenschaften auf dem Stundenplan. Worauf ich mich aber freue, ist ein Praxiskurs im Malen und die viertägige Exkursion in Kunstgeschichte nach Paris. Dort werden wir gemeinsam die Kunstwelt entdecken und besprechen.
Zeigen Sie Ihre Kunst eigentlich auch öffentlich – zum Beispiel bei Ausstellungen? Oder machen Sie das ganz privat für sich?
Kunst ist nichts für einen allein. Ich mache es vor allem auch, um andere zu erfreuen. Deshalb zeige ich meine Kunst auch öffentlich. Mit drei Kommiliton*innen habe ich im Februar und März im Pop-Up-Store am Erfurter Fischmarkt eine gemeinsame Ausstellung organisiert. Gegenwärtig zeige ich in der Rathausgalerie im Ostthüringischen Leutenberg meine Arbeiten. Darüber hinaus sind weitere Ausstellungen in diesem Jahr gerade in Planung. Außerdem zeige ich regelmäßig neue Arbeiten in meiner Galerie in Hildburghausen.
Und was kommt nach dem Studium?
Ich hoffe doch eine Karriere als Künstler...
Wenn Sie noch einmal 19 Jahre alt wären – würden Sie alles nochmal genauso machen?
Ich glaube es wäre jetzt komisch, nein zu sagen, denn ich hatte und habe ein großartiges Leben – ich habe vier tolle Kinder. Ich möchte auf nichts in meinem Leben verzichten. Jede Zeit hat ihre Umstände und ihre Entscheidungen. Natürlich hätten andere Entscheidungen zu anderen Wegen geführt. Wer weiß, wo sie mich hingeführt hätten und ob ich Kinder hätte. Aber genau auf diese würde ich nie verzichten wollen.
Eine letzte Frage: Haben Sie Tipps für andere, die ebenfalls überlegen, im fortgeschrittenen Alter (nochmal) zu studieren?
Wenn man eine Idee hat und den Drang verspürt, sie umzusetzen, dann muss man es einfach machen. In meinem Alter wird einem bewusst, dass das Leben nicht ewig dauert. Deshalb sollte man die Dinge tun, auf die man Lust und Laune hat.
Vielen Dank für das Gespräch.