Schon seit einigen Jahren ist Lukas Mundelsee, Psychologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Inklusive Bildungsprozesse mit Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung an der Universität Erfurt, als systemischer Berater tätig – erst als Coach für Nachwuchssportler*innen und seit vergangenem Jahr auch als Schulpsychologe. Seit jeher ist er dabei immer wieder auch online unterwegs und zwar schon lange bevor Corona dies erzwang. Bei einem Forschungsprojekt über transaktive Kommunikation bei Schülern lernte er den Erlebnispädagogen und Berater Benjamin Lambeck kennen. Als dieser ihm von seiner Idee erzählte, klassische Instrumente der Beratung ins Digitale zu übertragen, um sie auch bei Online-Beratungen nutzen zu können, war Mundelsee sofort begeistert. Heute sind die beiden nicht mehr nur Fachkollegen, sondern auch Freunde und Gründer. Denn mit „Coachingspace“ wagten sie sich in die Sphären des Unternehmertums. Unterstützt wurden sie dabei durch ein sogenanntes EXIST-Gründungsstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, das sie über den Gründungsservice der Uni Erfurt einwerben konnten. Für unseren Campusleben-Blog haben wir mit den beiden Gründern gesprochen.
Alles begann irgendwie mit der Corona-Pandemie. Während Lukas Mundelsee da bewusst wurde, welchen Wissensvorsprung er durch seine bisherige Online-Arbeit hatte, tüftelte Benjamin Lambeck an einer Qualifizierungsreihe für Coaches, die auch virtuell coachen und beraten wollen. „Dabei fiel mir auf, dass meine Lieblingsmethoden, die ich in meinen Beratungen gern nutze, noch gar nicht digital vorliegen“, erinnert er sich. „Und ich habe gemerkt, dass Online-Meetings meist in virtuellen, eher kalten und anonymen Räumen stattfinden, die aus meiner Sicht für eine Beratung nicht gut geeignet sind.“ Aus diesen beiden Schwachstellen erwuchs schnell die Vision in ihm, virtuelle Beratungsräume zu kreieren, in denen sich einerseits die Klienten wohlfühlen und die andererseits mit den Tools ausgestattet sind, mit denen er auch im Analogen gern arbeitet. Mit der fachlichen Unterstützung von Lukas Mundelsee und dem technischen Knowhow eines befreundeten Programmierers nahm die Vision schnell Form an: Beginnen wollten sie mit der Digitalisierung des sogenannten „Familien- oder Systembretts“. Dieses wurde in den 1980er-Jahren von Kurt Ludewig und Ulrich Wilken für die spielerische Analyse sozialer Systeme entwickelt und ist heute eines der bekanntesten Tools für Beratungen von Teams, Familien und Unternehmen. „Mit dem Familienbrett kann die Komplexität von Konstellationen sehr gut verständlich gemacht und können Handlungsalternativen aufgezeigt werden“, weiß Lambeck. „Wir wollten es aber nicht eins zu eins einfach kopieren, sondern darüber hinaus auch schauen, welchen Mehrwert es als Online-Tool bieten könnte.“ Deshalb können die auf dem digitalen Brett erstellen Konstellationen gespeichert werden. Mit einem Klick ist es zudem möglich, die Perspektive einer anderen Figur einzunehmen. „Ich war ja schon immer von der Online-Arbeit überzeugt, aber was man mit den digitalisierten Tools noch machen kann, das war mir zunächst gar nicht bewusst – schließlich bin ich ja auch nicht selbst auf die Idee gekommen“, erinnert sich Mundelsee. „Dann zeigte Ben mir die ersten Varianten und das hat mich restlos überzeugt.“ Ihr programmierter Prototyp begeisterte dann auch den mittlerweile über 80-jährigen Kurt Ludewig selbst, den Lambeck um Erlaubnis für das Vorhaben bat. „Ludewig fand die Idee super. Wir haben uns dann auch direkt auf dem digitalen Brett verabredet und zwei Stunden intensiv damit gearbeitet. Was mir unsere gemeinsame Session gezeigt hat, ist einerseits, dass Ludewig gleich ohne das System zu kennen intuitiv damit arbeiten konnte, und andererseits, dass ich mich als Klient auch gut aufgehoben fühlte. Ich habe also gemerkt, dass das Familienbrett auch in digitaler Form leicht anwendbar und wirksam ist.“
Das war die geballte Expertise!“
Mit dem guten Gefühl, ein Produkt anbieten zu können, das funktioniert, das realisierbar ist und das es so noch nicht gibt, konnte es an die Unternehmensgründung gehen. Zuvor holten sich die drei Gründer aber noch einen weiteren Programmierer sowie einen Freund, der zu Start-Ups promovierte und die Businessplanung übernahm, ins Team. „Die meisten haben uns davon abgeraten, zu fünft und dann auch noch als Freunde zu gründen“, sagt Lambeck. „Und tatsächlich nervt man sich da auch mal schnell und gerät immer wieder in kleine Konflikte. Es ist auch wirklich eine zwischenmenschliche Herausforderung, da zu Entscheidungen zu kommen. Aber wir würden das falsche Produkt anbieten, wenn wir nicht alle Freunde der offenen Kommunikation wären und keines der Tools zur Konfliktbewältigung selbst auch nutzen würden.“
Allen Vorbehalten zum Trotz machten sie sich von nun an also zu fünft auf die Suche nach einer Möglichkeit, das Projekt zu finanzieren. Schnell stießen sie dabei auf das EXIST-Programm, das Hochschulalumni, Wissenschaftler*innen sowie Studierende bei der „Vorbereitung ihrer technologieorientierten und wissensbasierten Existenzgründungen“ unterstützt. Eine passende Universität, mit der sie zusammenarbeiten können, war durch Lukas Mundelsees Anbindung an die Uni Erfurt gegeben. Mit seiner Chefin, Prof. Dr. Susanne Jurkowski, konnten die Jungunternehmer zudem eine kompetente Mentorin gewinnen. „Unser Fünferteam, Susanne Jurkowski und der Gründungsservice der Uni Erfurt, das war die geballte Expertise!“ Und mit dieser gewannen sie dann auch den Antrag für das Gründerstipendium des Bundes, das es ihnen ermöglichte, die Software weiterzuentwickeln und um weitere Tools zu ergänzen. Nach Ablauf der EXIST-Förderung konnten sie im April 2021 schließlich die GmbH Coachingspace gründen, die heute neben dem Systembrett auch digitale Varianten des sogenannten „Inneren Teams“ und von Positionierungskarten anbietet. Auch bei diesen Methoden holten sich die Gründer die Erlaubnis der „Erfinder“. Mit Antonia Klein-Nikolaidis, der Begründerin der analogen Positionierungskarten, ist die Zusammenarbeit besonders eng – für die digitale Variante ihres Produkts konnte das Unternehmen sogar bereits den Europäischen Trainingspreis in der Kategorie „New Tools“ sowie den HR Excellence Award in der Kategorie „Innovation des Jahres“ gewinnen.
Ein Notnagel der Pandemie soll Coachingspace nicht sein.“
Heute gehören bereits zahlreiche sozialen Einrichtungen, Wohlfahrtsverbände, Studierendenberatungen und auch eine Unternehmensberatung zu den Kunden von Coachingspace. „Wir hätten uns gewünscht, an diesem Punkt schon etwas mehr Geld damit zu verdienen. Was wir aber unterschätzt haben, ist die zähe Suche nach Investoren“, bedauert Benjamin Lambeck. „Durch ein NRW-Gründerstipendium können wir dennoch weiterarbeiten und uns gleichzeitig nach einem geeigneten Geschäfts- und Kooperationspartner umsehen.“ Dafür müssen die Firmengründer ihre Produkte jetzt noch bekannter in der Berater-Szene machen und deren Potenziale herausstellen. „In anderen Ländern ist die Online-Beratung schon viel gängiger, in den USA zum Beispiel. Deutschland hinkt da noch etwas hinterher und sie wird hier eher als vorübergehendes, Corona-bedingtes Hilfsmittel angesehen“, meint Lukas Mundelsee. Coachingspace hat sich auf die Fahne geschrieben, das zu ändern – und liefert gleich die passenden Lösungen dazu. Mit dem richtigen Partner an der Seite wollen die Unternehmer nun so schnell wie möglich richtig durchstarten, denn eines steht für sie fest: „Ein Notnagel der Pandemie soll Coachingspace nicht sein.“
Fotos: Coachingspace