Studium bzw. Beruf und Kindererziehung unter einen Hut zu bekommen, ist eine Herausforderung. Eine, der sich in jedem Semester auch zahlreiche Eltern an der Universität Erfurt stellen. Cécile Stehrenberger (34) und Urs Lindner (40) zum Beispiel. Sie sind verheiratet, Postdocs und haben zwei Kinder im Alter von zweieinhalb Jahren und einem Jahr. Cécile wurde in Zürich promoviert und kam später als Junior-Fellow für ihre Habilitation ans Max-Weber-Kolleg der Uni Erfurt. Seit Dezember 2016 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Braunschweig und pendelt von Erfurt aus. Urs ist Philosoph und seit 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Weber-Kolleg. Dort arbeitet er an seiner Habilitation. Bevor er nach Erfurt kam, war er Junior-Fellow am Postwachstumskolleg in Jena und davor Postdoc und Koordinator eines interdisziplinären Forschungsprojektes an der ETH Zürich. Wir haben sie gefragt, wie sie ihren Alltag mit Kind und Kegel meistern…
Familie und Karriere unter einem Hut – wie schaffen Sie das?
Cécile: Wir versuchen, die Aufgaben wirklich gerecht aufzuteilen. Das geht, wenn nur ein Kind da ist, wird aber mit zwei Kindern schon schwieriger, gerade weil doch auch immer wieder klassische Geschlechterrollen erwartet werden. Vätern wird es noch immer schwer gemacht, sich in vollem Umfang um ihre Kinder zu kümmern und auch eine andere Art von care-Arbeit zu machen. Wir versuchen das aber trotzdem, weil wir glauben, dass es richtig ist. Ganz wichtig ist für uns eine flexible Arbeitszeit. Darin unterscheidet sich die Arbeit an der Universität stark von anderen Berufen. Man kann den Tag so einteilen, dass die Arbeit zum Teil auch dann gemacht werden kann, wenn die Kinder schlafen. Das ist zwar nicht immer schön, aber es geht eben manchmal auch nicht anders mit Kind.
Urs: Einerseits ist es ein Segen, dass wir uns unsere Arbeit selbst einteilen können, es also keinen Unterschied macht, ob ich unsere Tochter um halb acht oder halb neun in die Kita bringe. Andererseits ist es natürlich auch ein Fluch, weil die Arbeit nie aufhört. Vor allem jetzt, wo das zweite Kind da ist: Ich hatte wirklich Tage, an denen ich von 5 bis 23 Uhr ununterbrochen in Aktion war.
Cécile: Als „Zugezogene“ haben wir keine Verwandten hier in Erfurt. Als wir kamen, kannten wir eigentlich niemanden. Aber auch wenn ein soziales Netz existiert, sehe ich es als eine staatliche Aufgabe an, eine bezahlbare Kinderbetreuung zur Verfügung zu stellen und so dafür zu sorgen, dass Menschen, die Kinder haben, gleichzeitig einer Erwerbsarbeit nachgehen können. Wir haben den Eindruck, dass das hier in Thüringen vergleichsweise gut läuft. Das ist auch ein Grund, warum wir uns hier niedergelassen haben und nicht in der Schweiz. Unsere Tochter ist fünf Tage pro Woche in der Kita, unser Sohn wird, sobald er ein Jahr alt ist, auch in die Kita gehen. Wenn die Kita nicht zur Verfügung steht, greifen wir – mit großer Freude – auf das Angebot der flexiblen Kinderbetreuung an der Uni Erfurt zurück. Die „Räuberhöhle“ ist eine total tolle Sache, wir sehen aber mit Besorgnis, dass die steigende Nachfrage seitens der Studierenden und Mitarbeitenden nicht gedeckt werden kann. Die „Räuberhöhle“ ist in Räumlichkeiten untergebracht, die zu klein und mit dem Kinderwagen schlecht erreichbar sind. Der Umzug in andere Räume und mehr Personal sind aus meiner Sicht dringend notwendig. Und um in speziellen Situationen unseren Betreuungsbedarf zu decken, beschäftigen wir mehrere Babysitterinnen. Das kostet natürlich Geld, das uns an anderer Stelle fehlt. Aber wenn wir das nicht tun würden, hätten wir keine Chance, unsere beruflichen Verpflichtungen zu erfüllen.
Sie sprechen von gleichberechtigter Aufgabenverteilung. Haben Sie Rollenvorbilder?
Cécile: Natürlich gibt es diese Bilder von „very hard working“ Müttern, die es trotzdem schaffen. Solche Bilder suggerieren, dass mit ein bisschen mehr Fleiß jeder ohne Weiteres Karriere machen kann, verschleiern aber erstens, wie sehr gesellschaftliche Verhältnisse, sprich: sich überschneidende Ungleichheitsachsen nicht nur von Geschlecht, sondern auch von Klasse, Ethnizität oder Behinderung tatsächlich Handlungsspielräume und Karriere- wie auch andere Chancen beschränken. Zweitens bin ich mir auch nicht sicher, wie „nachhaltig“ es ist, solchen Rollenbildern zu folgen: Ich möchte als Mutter und in meinem Job in einer Art und Weise funktionieren, die nachhaltig ist, damit ich nicht mit 50 einen Herzinfarkt habe oder einen Burnout. Ich glaube, es ist wichtig, auch als Eltern auf sich selbst zu achten.
Urs: Meine Idealvorstellung sind zwei oder mehr Menschen – wir sind übrigens beide davon überzeugt, dass die heteronormative Kleinfamilie nicht die einzig richtige bzw. nicht mal die beste Konstellation ist, um Kinder groß zu ziehen – die sich beruflich verwirklichen können und sich gleichermaßen die Kinderbetreuung und Hausarbeit teilen. Das Ideal wäre, dass alle dabei halbwegs entspannt sind. Und das finde ich eigentlich nirgends. Alle sind gestresst. Vielleicht gehört das einfach dazu, vielleicht sind kleine Kinder extrem fordernd. Aber eine wirklich gleichberechtigte Aufgabenverteilung ist selten anzutreffen. Natürlich gibt es Väter, die ihre Kinder in die Krippe bringen. Aber eine Gleichberechtigung in dem Sinne, dass die Kinder eine gleiche Bindung zu ihrem Vater haben, wenn sie zum Beispiel krank sind, dass die Väter diese ganzen elementaren „kleinen Dinge“ machen, dass das alles wirklich gleich verteilt ist? Wir kennen kaum Leute, bei denen das so ist.
Familiengerechte Hochschule – was bedeutet das für Sie?
Urs: Familiengerecht wäre es, klare Erwartungen an die Erwerbsarbeitszeit zu formulieren. Ich glaube tatsächlich, die implizierte Erwartung ist, dass wir, weil es ja alles Berufung ist, mindestens 50 bis 60 Stunden pro Woche arbeiten. Das wird natürlich selten offen formuliert. Wenn Kinder da sind, läuft das nicht. Das wird auch durchaus akzeptiert während der ersten sechs Monate. Aber es gibt darüber hinaus keine Ansage: „Es ist okay, wenn ihr mit Kindern tatsächlich nur die 40 bezahlten Stunden arbeitet“ – was natürlich mit den spezifischen Beschäftigungsverhältnissen an deutschen Hochschulen zusammenhängt. Wir Postdocs sind eine Art „Luxusprekariat“: teils riesige Freiheiten und Privilegien, teils schwer zu ertragende Zwänge und ausgeprägte Unsicherheit. Eine vom Wissenschaftszeitvertragsgesetz eröffnete Möglichkeit ist es, wissenschaftliche Mitarbeiterstellen pro Kind um zwei Jahre zu verlängern. Am Max-Weber-Kolleg habe ich angeregt, diese Möglichkeit in den Gleichstellungsplan aufzunehmen. Das wäre zum Beispiel eine konkrete Maßnahme, die klar macht, es ist in Ordnung, wenn Eltern tatsächlich nur die 40 Stunden mit ihrem Job verbringen, für die sie auch bezahlt werden. Das Thema der Familienfreundlichkeit ist sehr komplex. Es gibt ein paar Sachen, die an der Uni Erfurt schon gut laufen, z.B. die Sache mit der „Räuberhöhle“, die eine wichtige Einrichtung ist. Aber es gibt auch Verbesserungsbedarf. Hier sind neue Karrieremodelle auch schon für Promovierende und Postdocs gefragt.
Cécile: Was es wirklich braucht, sind institutionelle Maßnahmen, die es Erziehenden ermöglichen, ihre Karriere trotz familiärer Verpflichtungen zu meistern. Wir haben beobachtet, dass hier selbst unter jungen Forscherinnen und Forschern wenig Verständnis existiert für in anderen Ländern mittlerweile sehr verbreitete fundamentale Gleichsstellungs-Tools wie Dual-Career-Maßnahmen. Sie werden hier oft als „Bevorzugung“ abgelehnt. Ich denke, wenn es gelingt, in diesen Bereichen zu sensibilisieren und aufzuklären, wird es möglicherweise einfacher, solche institutionellen Veränderungen zu implementieren. Ein anderes großes Problem ist meines Wissens vor allem die finanzielle Situation von Stipendiatinnen, die während ihrer Promotionsphase schwanger werden und dann in Elternzeit gehen. Oft bekommen sie sehr wenig Elterngeld und ihre Verträge werden nicht nach hinten verlängert. Das macht die Entscheidung für ein Kind nicht gerade leichter.
Urs: Ein Promotionsstipendium an der Uni Erfurt verlängert sich bei Schwangerschaft um ein halbes Jahr, es wird also ein halbes Jahr mehr gezahlt. Es bleibt aber das strukturelle Problem, dass Stipendien eben nicht als steuerpflichtiges Einkommen gelten. Das heißt, man bekommt als Stipendiatin kaum Elterngeld: Oft nur das Minimum von 300 Euro.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Cécile: Das hängt tatsächlich sehr davon ab, mit welchen Hindernissen wir konfrontiert werden. Wir möchten eigentlich beide wissenschaftlich tätig bleiben, weil wir das gern machen. Aber es ist ganz klar: Wenn es nicht geht, müssen wir uns nach anderen Optionen umschauen.
Was möchten Sie anderen (Eltern) mit auf den Weg geben?
Cécile: Das Wichtigste ist, sich – wenn nötig – Hilfe zu suchen. Die eigenen Ansprüche können bei verschiedenen Institutionen geltend gemacht und auch Hilfeleistungen über Verwandte und Freunden organisiert werden. Auch der Erfahrungsaustausch mit anderen Eltern, die in ähnlichen Situationen sind, erscheint mir extrem wichtig. Wir müssen einsehen, dass das Problem nur zu Teilen bei uns selbst liegt, sondern vielfach in den gesellschaftlichen Verhältnissen und dem fehlenden politischen Willen liegt, diese zu verändern.
Urs: Wir alle sollten auf unseren individuellen Rechte bestehen, sie nutzen und uns nicht unterkriegen lassen. Das heißt auch, sich Unterstützung zu holen und sich nicht dafür zu schämen. Es tut sich nur dann etwas, wenn Leute für bestimmte Sachen eintreten und Druck entwickeln. Diese Aufgabe stellt sich jeden Tag von Neuem – gerade in den vermeintlich „unpolitischen“ Dingen.
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Das Interview führten die Mitarbeiterinnen des Gleichstellungs- und Familienbüros der Universität.