Bereits zum zweiten Mal findet vom 19. bis 25. November 2023 die National Model United Nations Konferenz (kurz: NMUN), eine Simulation der Vereinten Nationen, in Erfurt statt. Dazu werden wieder zahlreiche junge Menschen aus der ganzen Welt in der Thüringischen Landeshauptstadt erwartet. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren – die Vorfreude wächst. Wir haben mit den Organisatoren – Prof. Dr. Oliver Kessler und Sarah Duryea von der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt – über das bevorstehende Großereignis gesprochen…
Zunächst einmal für alle, die NMUN noch nicht kennen: Was genau ist das Ziel dieser akademischen Simulation?
NMUN steht für National Model United Nations, eine amerikanische Organisation, die drei große Simulationskonferenzen pro Jahr organisiert. Die Universität Erfurt nimmt seit nunmehr 20 Jahren an der weltweit größten Konferenz teil, die jährlich in New York, USA, stattfindet. Seit 2015 nimmt jeweils eine Delegation der Universität auch am internationalen Ableger der NMUN Konferenzen teil, die bereits in Kanada, China, Japan stattfanden. Erfurt ist bisher die einzige Stadt in Deutschland, in der diese internationalen Konferenz ausgetragen wird. Darauf sind wir sehr stolz. Ganz allgemein geht es bei den Konferenzen um die Vereinten Nationen und ihre zahlreichen Programme und Komitees. Teilnehmende vertreten gemeinsam oder allein einen UNO-Mitgliedsstaat und repräsentieren in Reden und Arbeitsgruppen die Anliegen des Landes zu den komiteespezifischen Themen. Man lernt dabei also, sich in die Rolle eines anderen Landes zu versetzen, was den Ländern wichtig ist und wie sie sich auf dem internationalen Parkett verhalten. Dazu kommt auch die Chance, die eigene Position in Verhandlungen mit Studierenden aus aller Welt zu erörtern und zu verhandeln. Das ist eine sehr schöne Erfahrung für unsere Studierenden hier in Erfurt.
Nun findet die Veranstaltung innerhalb kurzer Zeit schon das zweite Mal in Erfurt statt. Wie kommt es, dass eine vergleichsweise kleine Stadt wie unsere hier erneut das Rennen um die Vergabe gemacht hat?
Zum einen ist das natürlich auch eine Anerkennung für die Arbeit vor Ort hier. In den vergangenen Jahren haben wir Erfurt als ernsthaften Standort fest etablieren können. Mit der jährlich stattfindenden Simulation EFMUN haben wir auch schon Erfahrung sammeln dürfen. Natürlich spielt auch die Stadt Erfurt eine große Rolle: Die Organisatoren und Verantwortlichen der NMUN-Organisation waren so angetan von Erfurt und dem sehr gut koordinierten Ablauf der Konferenz, dass sie uns schon zur Abschlusszeremonie im November 2019 fragten, ob wir uns vorstellen könnten, die Konferenz noch einmal auszurichten. Gerade die Pandemie verdeutlichte uns allen, wie wertvoll diese Begegnungen sind, aber auch das Erkunden von neuen Orten, das Lernen über die Geschichte von anderen Regionen und das Zusammenkommen von jungen Menschen wichtig sind, um die Probleme unserer Zeit zu diskutieren. So war es dann eine schnelle Entscheidung, dass wir uns noch einmal um die Austragung bewerben würden. Zum Glück stießen wir bei NMUN auf viel Freude und Unterstützung, so dass es nun in fünf Wochen wieder heißt: “Welcome to Erfurt”.
Wie viele Teilnehmer*innen erwarten Sie denn im November?
Wir erwarten etwa 450 Studierende aus mehr als zwölf Ländern. Wenn man ihre Dozierenden, Gäste, das Volunteer-Team mitzählt, werden wir bei knapp über 500 Personen sein. Das ist eine tolle Bestätigung und macht deutlich, dass, auch wenn Erfurt kein Berlin oder München ist, die Gäste sich freuen, die Stadt und Region zu erkunden.
Und es werden auch wieder Studierende der Universität Erfurt dabei sein?
Ja, wir haben eine Delegation von sieben Studierenden, die von zwei Tutorinnen begleitet werden. Unsere Gruppe wird in vier Gremien Frankreich vertreten – eine spannende Aufgabe.
Wie muss man sich die Veranstaltung vorstellen – was genau passiert da in Erfurt?
Das Ganze wirkt – und ist – formaler, als sich vielleicht manch eine Person solch ein Zusammentreffen von 500 jungen Menschen vorstellt. Jede Person hat einen UNO-Mitgliedsstaat sowie ein Komitee zugewiesen bekommen. Seit Monaten bereiten sie sich darauf vor und recherchieren die Themen und eigene Position. In Erfurt werden in Redebeiträgen die Anliegen ihrer Länder vertreten und verhandelt. In kleinen Arbeitsgruppen erarbeiten sie dann Lösungen für ihre Themen und müssen für diese dann ‘werben’, so dass am Ende die Mehrheit für sie stimmt. Zu NMUN Germany simulieren wir vier Gremien: den UNO-Sicherheitsrat, die Generalversammlung, das Umweltprogramm der UNO sowie den Menschenrechtsrat. Eine Besonderheit ist auch dieses Jahr wieder, dass der Menschenrechtsrat die Möglichkeit hat, seine Sitzungen in der Gedenkstätte Andreasstraße abzuhalten. Für die Delegierten eine ganz besondere Möglichkeit.
Und gibt’s auch ein Rahmenprogramm, das den Gästen die Stadt bzw. Thüringen ein wenig näherbringen wird?
Absolut! Man muss Erfurt einfach gesehen und erlebt haben. Am Sonntag, nach Ankunft der Gäste, geht es gleich los zur Stadtführung. Am Montag und Dienstag stehen dann die Studienreisen an, zu denen wir die Gedenkstätte Buchenwald, die Wartburg sowie die Gedenkstätte Point Alpha besuchen. Zurück in Erfurt gibt es dann Stadtführungen zu den Themen Friedliche Revolution, Jüdisches Erbe sowie das postkoloniale Erbe Erfurts. Eine weitere Gruppe hat die Möglichkeit, an einer Führung in der Gedenkstätte Andreasstraße sowie an einem Gespräch mit einem Zeitzeugen teilzunehmen. Am Donnerstag gibt es dann ein traditionelles amerikanisches Thanksgiving-Dinner im Erfurter Kaisersaal, zudem es natürlich auch klassische thüringische Speisen geben wird. Die Eröffnungszeremonie samt Podiumsdiskussion, die Abschlusszeremonie und der Abschlussball runden die Konferenz ab.
Wie ist der Stand der Vorbereitungen – sind die größten Hürden genommen oder gibt’s auch noch besondere Herausforderungen zu bewältigen?
Zum Glück können wir weniger als fünf Wochen vor Konferenz sagen, dass die meisten Sachen stehen. Aber natürlich gibt es auch immer noch etwas zu tun. Es müssen Absprachen mit den Gästen zur Eröffnungszeremonie getroffen, die Volunteers eingewiesen, die Goodie-Bags gepackt werden und einiges mehr. Aber wir freuen uns. Es wird stressiger, aber es steigt auch die Vorfreude. Eine gute Kombination, um die Energie zu haben, alles fertigzustellen.
Auch wenn Sie bereits Erfahrungen bei der Organisation dieses Events sammeln konnten, ist es ja keine Kleinigkeit, all das auf die Beine zu stellen. Gibt es Partner, die Sie bei der Finanzierung, Organisation oder Umsetzung insgesamt unterstützen?
‘It takes a village’ – wie man im Englischen so schön sagt. Ohne unsere großartigen Partner und Unterstützer könnte man solch ein Unterfangen nicht umsetzen. Alles fängt natürlich mit unserer Universität an: Ohne die verlässliche Unterstützung seitens des Präsidiums, der Staatswissenschaftlichen Fakultät und des Internationalen Büros wäre die Durchführung nicht vorstellbar. Natürlich ist auch das Team der Hochschulkommunikation wunderbar und wir sind sehr dankbar, dass es uns von Jutebeutel bis Postkarten lauter schöne Sachen für unsere Gäste zur Verfügung gestellt hat. Sie alle haben uns stets unterstützt und wir könnten dafür nicht dankbarer sein. Auch 2023 ist die Universitätsgesellschaft erneut ein wichtiger Partner und wirkt bei der konkreten Umsetzung mit. Ebenso das Land Thüringen, und wir freuen uns, dass wir nicht nur unseren Ministerpräsidenten zur Eröffnung begrüßen dürfen, sondern auch eines unserer Komitees im Thüringer Landtag ausrichten dürfen. Auch die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen unterstützt uns erneut, was uns zum 50-jährigen Jubiläum des UNO-Beitritts Deutschlands natürlich besonders freut.
Worauf freuen Sie sich als Organisationsteam am meisten?
Das ist eine schwierige Frage, es sei denn, wir dürften mit ‘alles’ antworten. Es ist schwierig, einen einzelnen Punkt herauszukristallisieren, wenn es so viele verschiedene Höhepunkte gibt. Es wird toll sein, die Teilnehmenden in Erfurt in Empfang zu nehmen, ihnen direkt den ersten geschichtsträchtigen Ort mit den Worten ‘Willy Brandt ans Fenster’ gegenüber des Bahnhofs zu zeigen, der ja auch in der Geschichte des UNO-Beitritts eine wichtige Rolle spielt. Die Studienreise ist, gerade in diesen Zeiten, eine wichtige Gelegenheit für Begegnung, Reflexion und Innehalten. Der Abschlussball wird ein Moment voller Freude, Energie und des Loslassens. Alles Momente voller Emotionen. Ein besonderer persönlicher Moment wird es sein, wenn unsere Erfurter Studierende Rieke Langel als Generalsekretärin die Konferenz eröffnen wird. Sie bereitet sich seit einem Jahr darauf vor, hat sehr viel Arbeit und Herz in die Konferenz gesteckt und wird dann voller Freude, aber auch Stolz, die Konferenz leiten.
Und mit welchem Gefühl sollen die Teilnehmer*innen am Ende wieder nach Hause fahren – was würden Sie sich da wünschen?
In aller erster Linie sollen sie müde sein, weil sie die Konferenzwoche intensiv mit allen Emotionen wahrgenommen haben. Nach einer Weile setzt dann hoffentlich ein Gefühl der Dankbarkeit ein, das Momente der Reflexion fördert, um das Gesehene zu verarbeiten, einzuordnen und dann das Gelernte anzuwenden. Die Hoffnung ist, dass unsere Gäste inspiriert sind, auch die Geschichte ihrer Länder kritisch zu betrachten, ihre Länder politisch und gesellschaftlich zu analysieren und sich dann einzubringen auf allen und jedweden Wegen. Das Motto der Konferenz dieses Jahr ist ‘Justice beyond Equality’ und das können wir nur gemeinsam für unsere Welt herbeiführen. NMUN Germany soll ein Startpunkt, ein Wendepunkt oder eine Fortführung für jede*n Einzelne*n und das Kollektiv sein. Die Konferenz soll inspirieren und motivieren. Wenn sie dann noch Erfurt lieben gelernt haben, dann war es eine erfolgreiche Konferenz.