Wer kennt die Ansage nicht, die beim Schlendern durch ein großes schwedisches Einrichtungshaus häufig durch den Lautsprecher schmettert: "Der kleine Friedrich möchte aus dem Småland abgeholt werden!" Katharina Hartisch, Teamleiterin der Ausleihdienste der Universitätsbibliothek Erfurt, wünscht sich sicher auch manchmal, solch eine Durchsage machen zu können. Allerdings würden die Studierenden dann zu hören bekommen: "Das lustige Dutzend USB-Sticks möchte aus seiner Holzkiste abgeholt werden!" oder "Die Eltern der kleinen Schlagbohrmaschine möchten sich bitte umgehend an der Ausleihtheke melden." Leider hat Katharina Hartisch diese Möglichkeit nicht. Und so fristen zig Fundstücke ein vernachlässigtes Dasein in Kisten, Kartons und Plastiktüten – Besitzer unbekannt.
"Pro Tag werden mindesten fünf – und das ist jetzt einmal niedrig gegriffen – Fundstücke bei uns abgegeben", sagt Hartisch. "Die Studenten sind scheinbar immer gestresster, zumindest immer vergesslicher, denn es wird ständig mehr. Hinzu kommt natürlich auch eine gestiegene Zahl von Bibliotheksnutzern, außerdem das, was an der Wache oder im Campus-Café Hilgenfeld abgegeben wird." Und nicht zu vergessen: die Schließfächer. Denn die müssen am Abend von den Nutzern geräumt werden. Wenn nicht, gilt der Inhalt laut Nutzerordnung ebenso als Fundstück. Und so finden sich unter den vergessenen Objekten längst nicht nur USB-Sticks, Ladekabel, Kopfhörer, Kleidungsstücke oder Schlüssel, sondern auch schon mal Grillkohleanzünder, Sportsachen oder Shoppingtüten, ein Basketball, eine Bohrmaschine und – Bücher, also private. "Das, was in den Schließfächern deponiert wurde, wird meistens gleich vom Besitzer wieder abgeholt", sagt die Bibliothekarin. "Aber ganz viel wird an den Arbeitsplätzen und schlicht auch auf den Schließfächern vergessen. Wer kennt das nicht, man legt etwas darauf ab, um sein Fach zu räumen…"
Kaum vergessen, werden die "objets oubliés" Teil der Tagesroutine der Bibliotheksmitarbeiter: Jeden Morgen werden sie zusammengetragen, gesichtet, bewertet sowie detailliert und durchnummeriert in eine Liste eingetragen. Denn die Universitätsbibliothek ist die einzige zentrale Anlaufstelle für Fundstücke auf dem Campus und steht deshalb in der Pflicht des Fundbüros des Erfurter Ordnungsamtes.
"Bei einigen Fundsachen können wir den Besitzer ausmachen, vor allem bei Portemonnaies ist das zum Glück relativ einfach. Bei liegen-
gebliebenen Handys, die nicht gesperrt sind und deren Akku noch mitmacht, schaue ich im Adressbuch meistens nach Mama und rufe dort an", lacht Hartisch. Geldbörsen und Telefone gehören dabei zu den wertvolleren Fundstücken, die in der Bibliothek vergessen werden. Vieles ist aber weniger wertvoll oder der Wert schwer zu bestimmen. "Die wertlosen Sachen wie zum Beispiel Trinkflaschen werden gleich entsorgt. Bei manchen Sachen ist aber erst einmal eine Internetrecherche notwendig, um den Wert einschätzen zu können. Wir kennen ja auch nicht jede Marke und oft müssen wir schauen, ob es sich überhaupt lohnt, es dem Fundbüro weiterzugeben. Wir stellen uns dann die Frage: Wird das jemand wirklich vermissen und hier oder im Fundbüro danach fragen?"
Ein Sonderfall sind USB-Sticks, die sich regelmäßig in rauen Mengen ansammeln. Früher waren es Berge von Disketten, jetzt sind es eben USB-Sticks. Und da der materielle Wert nicht hoch ist, der ideelle Wert es aber aufgrund der gespeicherten Daten durchaus sein kann, verbleiben sie erst einmal im Sammelsurium. "Bei manchen Sachen kann ich durchaus verstehen, dass man nicht mehr so richtig weiß, wo man es verloren haben könnte und dass deshalb auch nicht danach gefragt wird. Bei manchen Dingen frage ich mich aber schon, wieso sie niemand vermisst und einmal bei uns nachfragt", bedauert Katharina Hartisch. Viele Studierende wüssten eben einfach nicht, dass Fundsachen in der Bibliothek abgegeben werden. Deshalb an dieser Stelle nun doch eine – ganz leise – Durchsage von ihr: "So einiges kann aus der Bibliotheks-Fundgrube abgeholt werden!"
Übrigens: In regelmäßigen Abständen kommt das Ordnungsamt vorbei und holt die Fundstücke in der Bibliothek ab. Also fragt lieber gleich an der Ausleihtheke nach, wenn ihr etwas vermisst!