Auch im Studienjahr 2023 hat die Erfurt School of Education der Universität Erfurt (ESE) wieder sechs herausragende Abschlussarbeiten im Master of Education (MEd) ausgezeichnet. In unserem Campusblog wollen wir sie kurz vorstellen...
„Die Arbeiten zeigen erneut, dass bei uns im Master auf hohem Niveau wissenschaftlich gearbeitet wird“, sagt Prof. Dr. Sandra Neumann, Studiendirektorin der ESE. Gemeinsam mit ihrem Team hatte sie Master-Arbeiten ausgewählt, die hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Aktualität, ihrer Originalität bzw. Kreativität, ihrer wissenschaftlichen Qualität und ihrer schulpraktischen Relevanz aus dem Pool der mit „sehr gut“ bewerteten Arbeiten hervorstechen. Vor allem aber zeichnen sich die Arbeiten dadurch aus, dass die Studierenden einer eigenen Fragestellung nachgegangen sind, die ihnen für die schulische Praxis wichtig erschien, die sie interessant fanden, die sie 'gepackt' hat. Wir sehen in den Arbeiten eine hohe intrinsische Motivation. Und das macht Forschung eben auch aus: etwas wissen zu wollen, etwas verstehen zu wollen. Auch, etwas verbessern zu wollen oder etwas (weiter) zu entwickeln.
Dies sind die ausgezeichneten Arbeiten:
Julia Simon: „Gestaltung kognitiv aktivierender Gespräche anhand ausgewählter Aufgaben im Mathematik-Unterricht“
Die Arbeit von Julia Simon geht der Frage nach, ob und inwieweit diskursive Unterrichtsgespräche im Mathematik-Unterricht anhand der definierten 13 Lehrtätigkeiten nach Thiele (1981) zielgerichtete kognitive Aktivitäten bei den Schülerinnen und Schülern im Grundschulalter auslösen. Als mathematische Lerninhalte wählte sie „Pentominos“ sowie „Magische Quadrate mit 4×4 Zahlen“ aus den Lernbereichen „Arithmetik“ und „Geometrie“ in Anlehnung an den Thüringer Lehrplan für die Grundschule Mathematik (2010). Die Master-Absolventin hat dabei acht Gruppeninterviews für die Anregung kognitiv aktivierender Lernprozesse durchgeführt, um einen tieferen Einblick in die subjektiven Sichtweisen und vor allem die ablaufenden Lernprozesse der befragten Schülerinnen und Schüler zu bekommen. „Eine innovative Methode für Kinder im Grundschulalter“, urteilt die Jury. Mithilfe eines MixedMethods-Untersuchungsdesigns konnte Julia Simon nachweisen, dass es einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen den im Unterrichtsgespräch eingesetzten Lehrtätigkeiten und der dadurch ausgelösten kognitiven Aktivität von Grundschulkindern gibt. Damit leistet die Arbeit einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Erforschung der Gestaltung kognitiv aktivierender Gespräche im Mathematik-Unterricht in Deutschland.
Eric Wagner: „Geschichte Russlands nach 1990 in Thüringischen Geschichtsbüchern für die Fächer Geschichte und Sozialkunde.“
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 gibt es in Deutschland Debatten darüber, welche historischen Entwicklungen dazu beigetragen haben, dass dieser Krieg begonnen wurde und bis heute nicht beendet werden konnte. Nicht selten beruhen diese Debatten jedoch auf Halbwissen und Hörensagen. Eric Wagner fragt deshalb in seiner Master-Arbeit, welches Wissen es in Deutschland über Russland und seine Geschichte seit dem Ende des „Kalten Krieges“ gibt, insbesondere welche Inhalte hierzu im Bildungssystem vermittelt werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie häufig die russische Geschichte in Schulbüchern angesprochen wird und welche inhaltlichen Aspekte dabei im Vordergrund stehen. Für seine Arbeit wertete Eric Wagner insgesamt zwölf Lehrbücher aus den Fächern Geschichte und Sozialkunde für die 9./10. Jahrgangsstufe aus, die in Thüringen benutzt werden – Schulbücher für die Regelschule und für das Gymnasium, die zwischen 2009 und 2020 erschienen sind. Der Master-Absolvent konnte zeigen, dass bestimmte Themen wesentlich häufiger in den Lehrwerken vorkommen und dass es neben Unterschieden zwischen den Lehrwerken desselben Fachs auch Unterschiede in den betrachteten Themen nach Schulfächern gibt. Dabei wird deutlich, welche wichtige Rolle die Auswahl von Lehrwerken für die Vermittlung eines ausgewogenen Bildes der Geschichte und der politischen Interessen von Ländern im Geschichts- und Sozialkundeunterricht spielt. „Die Arbeit ist ein schönes Beispiel dafür, welche ergiebigen Datenquellen außerhalb der üblichen Befragung von Lehrkräften und Schüler*innen für die Bearbeitung hochaktueller Themen- und Fragestellungen genutzt werden können“, urteilte die Jury.
Lena Herwig: „Erlebnispädagogische Gruppenaktivitäten für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt 'Geistige Entwicklung'. Eine empirische Untersuchung einer prozessorientierten Unterrichtseinheit mit erlebnispädagogischen Angeboten in der Förderschule.”
Ein Ziel der Erlebnispädagogik ist es, soziale Kompetenzentwicklung und Kooperationsbereitschaft durch aktive Aufgaben in der Natur zu fördern. Insbesondere für Schüler*innen mit dem Förderschwerpunkt 'Geistige Entwicklung' ist die Förderung der Sozialkompetenz von essenzieller Bedeutung. In ihrer Master-Arbeit wollte Lena Herwig die Auswirkungen einer erlebnispädagogischen Projektwoche an einer Förderschule im Hinblick auf die Förderung der Kooperationsbereitschaft bei Schüler*innen mit dem Förderschwerpunkt 'Geistige Entwicklung' erfassen. Dafür hat sie eine Projektwoche an einer Förderschule entwickelt und durchgeführt und dabei anhand von Fragebögen die Kooperationsbereitschaft einer Interventionsgruppe und einer Kontrollgruppe zu drei Messzeitpunkten erhoben und ausgewertet. Ihr Fragebogen war an die Schüler*innen und pädagogischen Fachkräfte gerichtet – mit dem Ziel, die Selbstwahrnehmung der Schüler*innen und die Fremdwahrnehmung der pädagogischen Fachkräfte zu erfassen. Es zeigte sich, dass sich die Projektwoche positiv auf die Kooperationsbereitschaft der Schüler*innen auswirkte. Dies ließ sich nicht nur bei den Schüler*innen nachweisen, sondern auch bei den pädagogischen Fachkräften. Es zeigte sich allerdings auch, dass die Kooperationsbereitschaft zwei Wochen nach der Intervention, also der Projektwoche, abnahm, während die Kooperationsbereitschaft der Kontrollgruppe wiederum nur unwesentlich beeinflusst wurde. Damit konnte Lena Herwig nachweisen, dass die Erlebnispädagogik ein geeignetes Konzept für Schüler*innen mit dem Förderschwerpunkt 'Geistige Entwicklung' darstellt und es durchaus in Förderschulen eingesetzt werden kann, um zur Förderung der Sozialkompetenz beizutragen. Die Jury lobte vor allem den pädagogischen Anspruch, den die Master-Absolventin an ihr Projekt gestellt hat: „Nicht nur hat sie eine Projektwoche für Schülerinnen und Schüler systematisch geplant und durchgeführt, sondern sie hat diese auch in ihrer Wirksamkeit untersucht. Dazu hat Frau Herwig eine Arbeit vorgelegt, die ein sehr systematisches Vorgehen von der Entwicklung des Projekts bis zur Überprüfung der Veränderungen in der Kooperationsbereitschaft der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler erkennen lässt. Bemerkenswert ist zudem, wie ausführlich und sorgfältig die Autorin den Ablauf des Projekts dokumentiert hat.“
Michelle Kraft: „Untersuchung zu migrationsbedingten Sprachbarrieren im Sport-Unterricht“
In Thüringen lernen derzeit 6.367 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an Grundschulen. Das bedeutet eine große Vielfalt an Sprachen, die jedoch nicht zwangsläufig auch von den Lehrenden gesprochen werden. Michelle Kraft hat vor diesem Hintergrund in ihrer Master-Arbeit gefragt, inwiefern sich der Einsatz des sogenannten „Structured TEACCHing“ im Sport-Unterricht einer zweiten Klasse mit einem Migrationsanteil von rund 60 Prozent eignet , Sprachbarrieren zu reduzieren und folglich das Verstehen von sportpädagogischen Aufgabenstellungen seitens der Schüler*innen mit Migrationshintergrund zu optimieren. Dafür hat sie die Schüler*innen im Sport-Unterricht beobachtet und Situationen dokumentiert, in denen Verständnisschwierigkeiten auftauchten. Der Structured TEACCHing-Ansatz aus der Autismus-Spektrum-Forschung diente dabei der Kategorisierung und Bewertung dieser Situationen. Auf Basis ihrer Erkenntnisse entwickelte die Master-Absolventin anschließend ein Konzept für eine angepasste Sportstunde, bei der insbesondere strukturierende Visualisierungen durch Piktogramme eingesetzt wurden – mit dem Ergebnis, dass die Verständnisprobleme reduziert werden konnten. Das Urteil der Jury: „Aktuelle gesellschaftliche Herausforderung trifft hier auf innovative Konzeption. Mit dieser Arbeit gelingt es Michelle Kraft, migrationsbedingte Sprachbarrieren im Sport-Unterricht zu reduzieren und gleichzeitig ein wirksames sportpädagogisches Konzept umzusetzen.“
Loreen Lohr: „Psychische Gesundheit von Lehrkräften im Förderschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung.“
In ihrer Arbeit hat Loreen Lohr das Stresserleben von Lehrkräften in Abhängigkeit von den Verhaltensauffälligkeiten von Schüler*innen mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung untersucht. Ihre Forschungsfrage lautete: „Inwiefern wirken sich Verhaltensauffälligkeiten von solchen Schüler*innen auf das Stresserleben der Lehrkräfte aus?“ Um die Frage zu beantworten, schilderte sie insgesamt 59 Lehrkräften internalisierende und externalisierende Verhaltensauffälligkeiten und erhob anschließend das Stresserleben dieser Lehrkräfte mittels eines Fragebogens. Es zeigte sich, dass Verhaltensauffälligkeiten durchaus einen Einfluss auf das Stresserleben der Lehrkräfte haben. Dabei lösen externalisierende Verhaltensauffälligkeiten mehr Stress aus als internalisierende. Darüber hinaus nahmen Lehrkräfte mit einer Qualifikation im Förderschwerpunkt der emotionalen und sozialen Entwicklung die Verhaltensauffälligkeiten als weniger belastend wahr als Lehrkräfte ohne diese Qualifikation. Daraus lässt sich die Tendenz ableiten, dass erfahrende Lehrkräfte bzw. diejenigen mit größerem Wissen im Förderschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung weniger Stress erleben und zugleich stärkere Bewältigungsmöglichkeiten haben. „Dies macht die Wichtigkeit der ko-konstruktiven Kooperation zwischen Grund- bzw. Regelschullehrkräften und Förderpädagog*innen deutlich, aber auch die Chance der kollegialen Fallberatung in der schulischen Praxis. Eine gelungene Arbeit“, urteilt die Jury.
Julia Rentzsch „Zwischen den Stühlen – Zur Produktivität literaturwissenschaftlicher Theorien der Raumsemantik für den Elementarunterricht. Eine Analyse am Beispiel von Erzählkreisen in der Primarstufe.“
Um Kindern einen Weg in unsere von Erzählungen gefärbte Welt zu ebnen, braucht es eine bereits frühzeitig ansetzende narrative Bildung. Diesen Gedanken aufgreifend, stellte sich Julia Rentzsch in ihrer Arbeit die Frage, inwiefern literaturwissenschaftliche Theorien der Raumsemantik sich als produktiv für die Gestaltung mündlichen Erzählens in Erzählkreisen in der Grundschule erweisen. Um diese Forschungsfrage zu beantworten, gestaltete sie ein Erzählprojekt für den Unterricht an einer Grundschule, das sie anschließend analysierte. Dabei fand die Master-Absolventin heraus, dass literaturwissenschaftliche Theorien der Raumsemantik für den Primarunterricht durchaus produktiv sind und es über den Theoriebezug gelingt, den Schüler*innen einen neuen, strukturbezogenen Zugang zu Literatur zu gewähren und zugleich ihre Fantasie anzuregen. Ihre Facharbeit ist deshalb auch ein klares Plädoyer für eine stärkere Theorie-Anbindung des Primarunterrichtes. Und das sagt die Jury: „In der Arbeit setzt Frau Rentzsch ein Plädoyer für fiktive Erzählungen im Erzählkreis anstatt des bisher bevorzugten Erzählens von Erlebnissen. Die erhobenen Daten zeigen, dass das Erzählen von fiktiven und fantastischen Geschichten besonders geeignet ist, aktiv zu rezipieren und zu reflektieren. Es gelingt Frau Rentzsch außerordentlich gut, didaktisches Denken mit Literaturwissenschaft zu verknüpfen und mit ihrer Arbeit neue Impulse zum Erzählen in der Primarstufe zu setzen.“
Nähere Informationen zu den einzelnen Arbeiten entnehmen Sie bitte unserer Broschüre.