Im Mai 2013 saß Amit Tyagi in einem Aeroflot-Flug von Neu Delhi nach Düsseldorf. Ziel war ein internationaler Kongress zum Thema Religion und Liberalismus. Ein Ereignis, das das Leben des Inders in zweierlei Hinsicht veränderte: Zum einen überzeugte ihn der Austausch auf dem Kongress mit Menschen aus aller Welt so sehr, dass er auf das Public Policy-Studium an einer indischen Universität verzichtete – zugunsten des internationalen Public Policy-Programms an der Willy Brandt School der Universität Erfurt. Zum anderen wurde ihm während besagten Fluges ein globales Problem bewusst, das sein Leben und Handeln zukünftig prägen sollte und nun auch Thema seiner Master-Arbeit an der Brandt School ist: das Problem der Nahrungsmittelverschwendung. Alles, was der Fluggast von den Mahlzeiten während eines Fluges nicht isst, wird weggeschmissen, obwohl es eventuell noch verschlossen ist und obwohl es nicht schlecht ist. Noch im Flugzeug verfasst Amit für die Fluglinie einen Verbesserungsvorschlag für den Umgang mit Nahrungsmitteln im Flugzeug. Später diskutiert er darüber mit Familie und Freunden. Er vergleicht die Erfahrungen aus Deutschland mit denen in seiner Heimat, recherchiert, liest Studien und Berichte und kommt schnell zu einem Schluss: Wir bringen Arbeitskraft auf, roden Wälder für Acker- und Weideflächen, verwenden lebenswichtige Ressourcen wie Wasser und stoßen CO2 aus, um Lebensmittel zu produzieren, die wir dann wieder wegwerfen – und für deren Abbau wiederum Energie und Ressourcen verbraucht und Abgase freigesetzt werden. Und das wohlgemerkt während jeder neunte Mensch auf der Welt keinen Zugang zu regelmäßigen Mahlzeiten hat und jeden Tag etwa 25.000 Menschen weltweit an Hunger sterben. Amit Tyagi hat der Nahrungsmittelverschwendung deshalb den Kampf angesagt – als sein Beitrag für eine bessere und vor allem friedlichere Welt. Mit FOOD e.V. (Foundation Of Our Development) hat der Student gemeinsam mit einigen Mitstreitern eine Freiwilligen-Organisation gegründet, um auf das Problem überhaupt erst einmal aufmerksam zu machen.
Für ein Leben als Freiwilliger tauschte Tyagi bereits vor einigen Jahren sein bis dahin komfortables Leben ein: Damals arbeitete er in einem erfolgreichen US-amerikanischen Unternehmen in Indien als Abteilungsleiter, verdiente gut. Als Kopf eines Teams war er auch dafür zuständig, seine Mitarbeiter zu beurteilen und die jährlichen Lohnanpassungen vorzuschlagen. Als es jedoch eines Jahres trotz des gutlaufenden Geschäfts kaum spürbare Lohnerhöhungen gab, begann Amit, über das System, in dem er lebt, über Konsum und Kapitalismus, über Ungerechtigkeit und Ungleichheit nachzudenken – und sein Leben unter die Prämisse "LIFE" (Liberation inside the four E’s) zu stellen: "Ich glaube, Frieden und Gerechtigkeit können durch die Arbeit in vier Bereichen geschaffen werden – Umwelt (Environment), Bildung (Education), Wirtschaft (Economy) und Gleichheit (Equality). Also gründete ich 2007 meine erste gemeinnützige Organisation, damals noch neben der regulären Arbeit. Ich wollte Kindern helfen, ihnen den Zugang zu Bildung zu erleichtern", erzählt der Student. "Aber alles war noch sehr unkoordiniert, mir fehlte das Wissen in diesem Bereich." Ein Fernstudium sollte das ändern. Amit absolvierte seinen Bachelor in Sozialer Arbeit und hängte das kommerzielle Berufsleben schließlich an den Nagel. Als Mitarbeiter des indischen Jugendkongresses reiste er dann durch das Land, gab Vorlesungen und Seminare, trat mit politikinteressierten Jugendlichen in den Dialog. "Das erweckte in mir ein Verlangen, noch mehr über politische Entscheidungsfindung zu erfahren." Public Policy schien dafür das geeignete Fach zu sein. Als er sich für die Willy-Brandt-School entschied, unterstützten Freunde und Familie ihn dann dabei, das Studium in Erfurt antreten zu können. Der Master als Zertifikat sei ihm dabei nicht so wichtig, betont er immer wieder, aber die Erfahrungen, der Austausch mit anderen Studierenden aus aller Welt und das praktische Wissen aus dem Studium schon. Außerdem ermöglichte ihm und seinem FOOD-Team der Status als Student auch schon die erste Aktion auf dem Campus: In der Mensa der Uni Erfurt haben sie vier Wochen lang übriggebliebenes Essen gewogen und ein Verschwendungsbarometer aufgestellt. Das traf nicht bei jedem Mensa-Gänger auf Zustimmung, aber dem Team war es wichtig, das Thema überhaupt erst einmal in das Bewusstsein zu holen und mit den Menschen darüber ins Gespräch zu kommen. Aufklärung ist der erste Schritt zur Verbesserung. "From Self to Society" – das ist Tyagis Motto: Wenn sich der Einzelne ändert, ändert sich auch irgendwann die Gesellschaft. "Jeder einzelne Regentropfen denkt, er wäre nicht für die Flut verantwortlich", umschreibt der Student das Problem. "Es fehlt häufig das Nachdenken darüber, ob ich mit meinem Handeln vielleicht zu Ungerechtigkeit oder Problemen beitrage. Die Aktion in der Mensa hat mir Mut gemacht, weil ich gemerkt habe, es gibt viel positive Energie. Wir müssen sie nur irgendwie bündeln." Um etwas zu bewegen, hat Tyagi auch die Staatsoberhäupter der acht Länder mit der höchsten Bevölkerungszahl angeschrieben, außerdem die deutsche Regierung und die thüringische Landesregierung, das Europäische Parlament, weitere europäische Staaten und die Vereinten Nationen. Auf lange Sicht möchte er vor allem zwei Ziele erreichen: dass in Lebensmittelgeschäften Informationstafeln auf das Problem hinweisen und dass es auf Lebensmittelverpackungen Hinweise für einen bewussten Umgang mit Lebensmitteln gibt und die Menschen schon beim Kauf animiert werden, nachzudenken, ob beispielsweise eine so große Packung auch wirklich aufbrauchen wird. Und: dass in Restaurants, Mensen und Cafeterien ein Food-Waste-Barometer angebracht wird.
Mit FOOD arbeitet er in der Zwischenzeit weiter daran, auch die Bevölkerung über das Problem aufzuklären. Die nächste Aktion des Vereins ist ein Friedensmarsch von Erfurt nach Berlin, bei dem die Aktivisten vom 18. September bis 2. Oktober mit den Menschen unterwegs ins Gespräch kommen möchten, Informationsmaterialien verteilen und Aktionen starten wollen. Der Friedensmarsch wird in Berlin mit der Aktion "Restlos glücklich welcomes Peace March" beendet. RESTLOS GLÜCKLICH e.V. betreibt ein Restaurant, das Speisen aus überschüssigen Lebensmitteln zubereitet. Auf dem Weg dahin kann jeder mitlaufen – soweit er oder sie möchte. Tyagi jedenfalls wird mit einer Friedensflagge den ganzen Marsch absolvieren. Seine Botschaft: Seht her, Lebensmittelverschwendung hat tiefgreifende soziale, politische, ökonomische und ökologische Dimensionen. Dort, wo Konflikte um Ressourcen und Land ausgetragen werden, trägt sie indirekt zum Krieg bei. Weniger Lebensmittelverschwendung ist deshalb der Weg zu einer friedlicheren Welt. Und jeder kann ein wenig dazu beitragen.