Das Frontend als 'Flaschenhals'? Mediävistische Ressourcen im World Wide Web und ihre Nutzungspotentiale für eine Digitale Prosopographie
Aufzeichnungen zahlreicher Vorträge der Tagung finden Sie auf der Website der Digitalen Bibliothek Thüringen, sowie einen Tagungsbericht auf der Website der Arbeitsgruppe Mephisto.
Aufzeichnungen: hier Bericht: hier
Die Digitalisierung stellt die heutigen Geisteswissenschaften in vielfältiger Hinsicht vor neuartige Herausforderungen. Als Medienwandel eröffnet sie völlig neue Möglichkeiten, das Wissen über Menschen, menschliche Gesellschaften und ihre Kultur effektiv und allgemein verfügbar zu machen und den wissenschaftlichen Austausch zu intensivieren. Als Methodenwandel ändert sie die Praxis wissenschaftlichen Arbeitens selbst, indem sie den Methodenkanon der Geisteswissenschaften um eine informatisch-mathematische Komponente erweitert, was große Innovationspotentiale verheißt. Dieser Transformationsprozess erfordert aktive Anpassungs- und Lernprozesse der Forscher, Bereitschaft zu interdisziplinär-kooperativem Arbeiten und nicht zuletzt eine aufmerksame Rezeption, Diskussion und Steuerung der sich vollziehenden Veränderungen in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, Diskussionsforen zu schaffen, in denen die mit der digitalen Transformation verbundenen Fragen diskutiert werden. Als ein solches Angebot versteht sich die geplante Tagung: Sie soll „Anbieter“ und „Nutzer“ fachspezifischer digitaler Ressourcen zusammenbringen, damit diese ihre Angebote und Bedürfnisse optimal aufeinander abstimmen und gemeinsam über innovative Weiterentwicklungen bestehender Ressourcen und Workflows nachdenken können.
In der ersten Sektion sollen Online-Quellenrepositorien, die eine Grundlage für eine mediävistische Digitale Prosopographie darstellen, vorgestellt werden. Neben einer Vorstellung ihrer Inhalte ist insbesondere die Frage nach Schnittstellen und Exportmöglichkeiten der Daten zu stellen sowie nach Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit Nutzern, etwa hinsichtlich des Nutzungsverhaltens und der Möglichkeit des Feedbacks.
Die zweite Sektion nimmt sich der Nutzerperspektive an, indem laufende mediävistisch-prosopographische Forschungsprojekte vorgestellt werden, welche in größerem Umfang auf digital verfügbarem Material aufbauen. Der Fokus richtet sich auf die Darstellung des eigenen Forschungsinteresses, des Workflows mit seinen analogen wie digitalen Komponenten sowie der praktischen Erfahrungen im Umgang mit den genannten (und anderen) digitalen Ressourcen.
Die dritte Sektion thematisiert die Weiterentwicklung der Online-Repositorien bzw. die Vertiefung ihrer Kooperation sowie das sich ändernde Verhältnis zwischen Anbietern und Nutzern digitaler Angebote. So sollen etwa am Beispiel mediävistischer Wikipedia-Angebote die Potentiale der Citizen Science diskutiert und der kollaborative Arbeitsprozess von Institutionen, Experten und interessierten Laien analysiert werden.
Geplant ist weiterhin eine Round-Table-Diskussion, die sich mit wissenschaftssoziologischen, -politischen und -kulturellen Aspekten des digitalen Transformationsprozesses in der Geschichtswissenschaft befassen soll; ein Abendvortrag über Erkenntnispotentiale digital gestützter mediävistischer Forschung (am Beispiel der Historischen Netzwerkanalyse) rundet die Tagung ab.
Organisatoren:
Clemens Beck, M. A., Institut für Informatik Jena,
PD Dr. Robert Gramsch-Stehfest, Historisches Institut Jena,
Dr. Christian Knüpfer, Institut für Informatik Jena,
Dr. Christian Oertel, Historisches Seminar Erfurt
Förderer:
Fritz Thyssen Stiftung, Michael-Stifel-Centre Jena, Universität Erfurt, Netzwerk für digitale Geisteswissenschaften und Citizen Science Erfurt
Das Programm der Tagungfinden Sie hier.
Wenceslas IV (1361-1419). New paths to a buried king
Incapable - unworthy - invisible
The work of Wenceslas is still overshadowed today by three U's; incompetent - unworthy - invisible. Incapable, because his rule in the empire is still viewed through the filter of his deposition in 1400 and because he is also said to have driven the radicalisation of Bohemian society through his allegedly hesitant policies. Unworthy, because historiography almost always points to Wenceslas' character shortcomings to explain his breaches of late medieval ruling norms. Above all, however, invisible; for research is still primarily concerned with the shining lights of the Luxembourg dynasty. Among them, without doubt, Emperor Charles IV, who, as the initiator of the Golden Bull and the earliest royal autobiographer, achieved early merits in this traditionally constitutional and personal history domain (e.g. most recently Bauch 2014, Heidemann 2014). The 500th anniversary of the Council of Constance, which was celebrated in 2015, also spurred the discussion of Charles' youngest son, Emperor Sigismund (e.g. Hruza/Kaar 2012). Thanks to numerous conferences, exhibitions and publications, he is now considered to have been the first international, if not intercultural, ruler of the late Middle Ages - he was also an initiator and forerunner of many later developments in administration and constitution.
In contrast, the deposed Wenceslas IV still seems like the pariah among the Luxembourgers: even in the latest German-language studies, the idea is still nurtured of the lazy imperial ruler, uninterested in government business, who - often drunk - made his decisions after great outbursts of anger, but was mostly lethargic and inactive and possessed no passions apart from hunting (e.g. Kintzinger 2003, Hoensch 2000, Seibt 1967). Czech historiography, on the other hand, likes to place him in the mould of the powerful preacher Jan Hus, whose rise - despite all his personal ambivalence - he made possible in the first place. Ironically, it was the radicalisation of the Hussites that led to his death after the first defenestration in Prague in 1419. In this tradition, which was shaped by several ideologies, he is not a self-responsible failure, but the last 'victim' of an urgently needed revision of existing orders.
Please register for the conference by 21 May 2022 at the latest. Later registrations cannot be considered. Unfortunately, participation in the doctoral programme is not possible without conference attendance. Information on registration as well as registration
Im Fahrwasser der Historiographen
Schon der Umstand, dass sich zwei entgegengesetzte interpretative, offensichtlich national gefärbte Strömungen entwickeln konnten, macht deutlich, wie stark Wenzels angebliche Wirkungsgeschichte von Narrativen bestimmt wird. Die meisten gehen auf die kommunikativ intensive Zeit der Hussitenkriege zurück, fanden einen ersten Niederschlag in der zeitgenössischen und humanistischen Historiographie und werden seither meist unreflektiert nacherzählt. Spätestens mit dem Erfolg der 1458 verfassten „Historia Bohemica“ des Hussitenhassers und Humanisten Aenea Silvio Piccolomini, war der Grundstein für die Wahrnehmung von „Wenzel dem Faulen“ gelegt. Auf der anderen Seite erhoben die Utraquisten Wenzels Regierungszeit zum ‚Goldenen Zeitalter‘. Die Funktion von Piccolominis Werk übernahm in Böhmen erst die 1539 verfasste „Böhmische Chronik“ des Hajek von Libočany: 120 Jahre nach seinem Tod wurde Wenzel auch hier zur Lottergestalt, die nicht durch Realpolitik, sondern allerlei Marotten, Freundschaften zur Halbwelt und Liebesbeziehungen mit Bademädchen aufgefallen war. Selbst wenn Hajek mit seinem Werk das zeitgenössische Böhmen zu kritisieren trachtete, dokumentiert seine Interpretation auch den kulturellen Transformationsprozess, welcher vor allem auf die längst abgerissene Verbindung zu den Ereignissen im turbulenten frühen 15. Jahrhundert hinweist. Die zähe Übermacht der Narrative macht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Wenzel immer noch zu einer Gratwanderung zwischen Behauptung und Faktenlage. Sie wirkt nicht nur auf Fragen nach der konkreten Gestalt seiner immerhin über 40-jährigen Herrschaft in Böhmen und den Hauptlinien seines über 20-jährigen Wirkens im Reich, sondern überschattet auch weitere wesentliche Aspekte der Herrschaft dieses spätmittelalterlichen Königs: z.B. die Frage nach dem Einfluss, welchen die Veränderung politischer Allianzen auf seine Hofstruktur hatten. Was bewirkte der interne Streit zwischen den Erben des Hauses Luxemburg? Welche Spezialisten entwarfen Strategien in Wenzels Namen und wer setzte sie um? Wie wurden Böhmen und der König von anderen Herrschaftsträgern wahrgenommen und welche Veränderungen sind in dieser Wahrnehmung festzustellen? Welche diplomatischen Beziehungen waren für Wenzel bedeutsam? Nach welchen Herrschaftsvorstellungen richteten sich König und Hof? Welche Bedeutung hatte die Selbstrepräsentation über Schrift und Kunst? Ein Blick auf den Forschungsstand zeigt, dass sich die Liste der offenen Grundsatzfragen beinahe beliebig verlängern ließe.
Das Programm der Tagung finden Sie hier.