„Wissen ist das wichtigste Mittel gegen Antisemitismus!“ – Ein Rückblick auf den gemeinsamen Studientag der Theologischen Fakultät Jena & der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt

Veranstaltungen
Davidstern und Tora

von Weronika Vogel

Vom Themenjahr Neun Jahrhunderte Jüdisches Leben in Thüringen sollte niemand unberührt bleiben. So widmete sich auch der öffentliche Studientag der Theologischen Fakultäten in Jena und Erfurt dieses Jahr am 19. Januar unter dem Titel „Christen – Juden – Gesellschaft. Perspektiven für Gegenwart und Zukunft“ die Frage, wie christlich-jüdischer Dialog und jüdisches Leben in Deutschland heute gelingen können. Aufgrund der aktuellen Situation fanden die Veranstaltung digital statt und konnten über den Livestream verfolgt werden.

„Wissen ist das wichtigste Mittel gegen Antisemitismus!“

Der Studientag begann mit Grußworten von den Bischöfen Dr. Ulrich Neymeyr (Erfurt) und Friedrich Kramer (EKM), welcher seine Freude über die im vergangenen September stattgefundene Übergabe der Tora-Rolle an die jüdische Landesgemeinde Thüringen ausdrückte. Dieses gemeinsame Geschenk des katholischen Bistums Erfurt und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) sei ein Symbol für die Verbundenheit von Christen und Juden in der heutigen Zeit. Prof. Dr. Reinhard Schramm, Vorsitzender der jüdischen Landesgemeinde Thüringen, betonte in seinem Grußwort die Relevanz des Studientages: „Wissen ist das wichtigste Mittel gegen Antisemitismus.“

Exegese, Spiritualität, Gottesfrage – jüdisch und christlich

In Vorträgen christlicher und jüdischer Theolog*innen wurden im Laufe des Vormittags verschiedene Perspektiven und Methoden erläutert. Prof. Dr. Kathy Ehrensperger aus Potsdam betonte die Wichtigkeit der jüdischen Exegese der Bibel, welche die Texte zunächst aus sich selbst und ihrem jüdisch geprägten Kontext heraus deutet, in dem sie entstanden sind. Auf die Notwendigkeit dieser genauen Betrachtung wies auch Prof. Dr. Manuel Vogel aus Jena hin. Gabriel Strenger aus Jerusalem sprach packend über die Vielfältigkeit und Tiefe jüdischer Spiritualität: „Es gibt immer wieder Zeiten der Gottesnähe und der Gottesferne.“ Wege, wie Anfechtungen gegen den Glauben, die sowohl von innen als auch von außen kommen können, abgewehrt werden können, zeigte Prof. Dr. Corinna Dahlgrün aus Jena auf und erzählte eine berührende Geschichte dazu. Durch diese beiden Vorträge wurde klar, wie viele Gemeinsamkeiten die jüdische und die christliche Spiritualität aufweisen. Prof. Dr. Frederek Musall aus Heidelberg und Prof. Dr. Julia Knop aus Erfurt widmeten sich der jüdischen und christlichen Sichtweise der Theologie vor der Gottesfrage. Auch hier zeigten sich ähnliche Antworten, welche die gemeinsame Herkunft der Religionen verdeutlichen.
Die Ausführungen der Vortragenden blieben nicht rein theoretisch, sondern deuteten auf die praktische Bedeutung der Themen hin. Prof. Dr. Kathy Ehrensperger drückte den Wunsch nach der Suche von Gemeinsamkeiten aus und plädierte gleichzeitig für die Anerkennung der Unterschiede, da diese es seien, welche das Zusammenleben interessant gestalten würden. „Wer mit einem Finger auf das Scheitern Israels zeigt, zeigt gleichzeitig mit drei Fingern auf sich selbst.“, sagte Prof. Dr. Manuel Vogel im Zusammenhang mit der Frage nach der Situation Israels und betonte die Verantwortung aller Völker in dieser Angelegenheit. Die Vortragenden des Studientages waren sich darin einig, dass ein konstruktiver Austausch die Basis für jegliche Art von Zusammenarbeit ist. 

Workshops – gelebte Praxis

Am Nachmittag fanden fünf vertiefende Workshops statt, in denen Interessierte ihr Wissen erweitern und neue Perspektiven einnehmen konnten. Man konnte man etwas zu Themen wie „Umgang mit Antisemitismus“ oder „Jüdische Alltagsgestaltung in einer nichtjüdischen Umwelt“ lernen, sowie zu rabbinischen Dialogen im Evangelium oder jüdischer und christlicher Liturgie. Auch die Thematisierung der deutsch-jüdischen Geschichte und Gegenwart in der Arbeit mit Schüler*innen wurde aufgezeigt.

Podiumsdiskussion: „Jüdisches Leben in Deutschland: Angestrebte, erreichte oder verlorene ‚Normalität‘?“

Am Abend diskutierte ein hochrangig besetztes Podium die Situation jüdischer Lebenswirklichkeiten in Deutschland, um Herausforderungen und Perspektiven zu formulieren. Anwesend waren dabei der Schriftsteller Dr. Max Czollek, die Schriftstellerin Juna Grossmann, der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Stephan Kramer, die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Dr. Eva Lezzi sowie der Historiker Prof. Dr. Moshe Zimmermann. Thematisiert wurden hierbei unter anderem die deutsche jüdische Gemeinde, die zu einem Großteil aus nach 1990 aus der ehemaligen Sowjetunion zugewanderten Juden und Jüdinnen und ihren Nachfahr*innen besteht und welche, so Max Czollek, mehr befragt und geschätzt werden sollten.           


Stephan Kramer betonte: „Solange wir über Normalität reden müssen, haben wir keine Normalität.“ Solange man sich in der Gesellschaft nicht als Jude zeigen könne, ohne angefeindet zu werden, solange gebe es auch keine Normalität.

Auch  Prof. Dr. Moshe Zimmermann wies darauf hin, dass Juden „in Deutschland nie als das bezeichnet wurden, was man normal nennt“. Dr. Eva Lezzi benannte positive Entwicklungen in der Präsenz jüdischer Kultur in Deutschland in den letzten 20 Jahren und sagte, sie freue sich über die Möglichkeit, diese als jüdische Kulturschaffende mitgestalten zu können. Als beklagenswert bezeichnete Juna Grossmann das mangelnde Interesse der deutschen Mehrheitsgesellschaft an jüdischem Leben. Sie wünsche sich ein größeres Entgegenkommen, wie sie es in den USA erlebt hätte und verwies auf die zahlreichen Möglichkeiten, welche die modernen Medien bieten, sich zur jüdischen Kultur zu bilden.

Wie Prof. Dr. Reinhard Schramm sagte: Wissen ist das wichtigste Mittel gegen Antisemitismus. Der Studientag hat gezeigt, von welch großer Bedeutung Wissen über jüdische Perspektiven ist nicht nur im Kampf gegen den steigenden Antisemitismus, sondern bereits im Alltag, wenn es darum geht, das Leben miteinander zu gestalten und sich zu verstehen. Es war ein Tag voller spannender Themen und klarer Denkanstöße, die zum Handeln bewegen. An dieser Stelle sei auch allen Vortragenden und Beteiligten ein herzlicher Dank für das Zusammenkommen und diese interessanten Einblicke ausgesprochen.

Einen Kommentar zu der abschließenden Podiumsdiskussion finden Sie beim Deutschlandfunk. 

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