„Viele waren vorher Opfer“ Frauen begleiten – Frauen in der Gefängnisseelsorge

Veranstaltungen
Frauen der Kirche - Kirche der Frauen

von Luise Lehmann

Am 11.01.2022 erzählte Frau Angelika Röde im Rahmen der online Veranstaltungsreihe „Frauen der Kirche – Kirche der Frauen“ von ihrer Arbeit als Gefängnisseelsorgerin in der Justizvollzuganstalt für Frauen in Hildesheim. Nachdem sie lange in der Pfarreiseelsorge im Bistum Hildesheim tätig war, entschied sie sich vor drei Jahren auch diesen Seelsorgebereich kennenzulernen und hat dabei gemerkt, dass ihr die Arbeit mit Menschen in schweren Lebenssituationen liegt. Deshalb hat sie letztes Jahr ihre Pfarreitätigkeit ganz aufgegeben und dafür begonnen, auch im Krankenhaus seelsorgerisch aktiv zu werden.

Wer sind diese Frauen, mit denen man in der Gefängnisseelsorge zu tun hat?

Frau Röde sagt, dass viele der Frauen, denen man als Inhaftierte begegnet, vorher selbst Opfer waren. Das ist keine Entschuldigung, sondern eine Tatsache. Fehlende Anerkennung, ein kriminelles Elternhaus, Missbrauch oder anderes lassen die Frauen zu (Mit‑) Täterinnen werden. Die Justizvollzugsanstalt, in der sie als Seelsorgerin arbeitet, ist mit 52 Plätzen eher klein. Die Gründe für die Haft gehen von Ersatzhaftstrafen über Beschaffungskriminalität bis hin zu Totschlag und Mord. Doch warum die Frauen einsitzen, weiß sie als Gefängnisseelsorgerin nicht immer. Es ist auch nicht relevant, denn es geht darum zu wissen, wer diese Frauen sind, die da zu ihr kommen und mit ihr reden.

Sie dürfen nicht auf ihre Straftaten reduziert werden, sondern sie bleiben Menschen mit Geschichten, Persönlichkeiten und Fähigkeiten, verdeutlicht Frau Röde.

Sie sieht es als ihre Aufgabe, den Frauen zuzuhören, eine Auszeit vom Vollzugsalltag zu bieten und einen offenen und verschwiegenen Raum zu eröffnen, in dem Platz zum Weinen und Lachen ist – aber auch, um über Träume und Wünsche für die Zukunft nach der Haft zu reden, sich über den Glauben auszutauschen und einfach SEIN zu können. Ihr Büro wird so zu einer Art Ruhe-Oase, in der manchmal nur geschwiegen, aber immer eine Kerze entzündet wird.

Gefängnis als ein besonderer Ort von Gottesdienst und Liturgie

Als besonders intensiv und berührend erfährt Angelika Röde die Gottesdienste, die sie alle zwei Wochen in der Justizvollzugsanstalt für die Gefangenen und mit den Gefangenen gestaltet. Diese Gottesdienste sollen Einladung und Angebot für allen Frauen sein, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit, und sie werden deshalb partizipativ und interreligiös gefeiert. Gemeinsam mit den Frauen entwickelt sie den Gottesdienst weiter und bereitet ihn vor. Den Ausgangspunkt bildet meist das Sonntagsevangelium. Ein zentrales Element jedes Gottesdienstes ist die Möglichkeit für alle Frauen, für ihre Anliegen eine Kerze zu entzünden: für sich, für ihre Kinder, für Angehörige, für ihre Freund:innen. In entspannter Atmosphäre, oft durch etwas Musik begleitet, geht jede Frau einzeln nach vorn – einige berühren das Altarkreuz, andere verharren in Stille oder segnen sich selbst –, um dann die brennende Kerze auf den Altar zu stellen.

Gefängnisseelsorge als herausfordernde Tätigkeit für Theolog:innen

Der Bericht von den Erfahrungen aus der Gefängnisseelsorge beeindruckte die Teilnehmenden und weckte Interesse. So wurde beispielsweise gefragt, wie man sich auf diese Tätigkeit vorbereitet und wie man einen guten Einstieg finden kann. Frau Röde nannte den Einsteigerkurs „Kirche im Justizvollzug“, den auch sie selbst zu Beginn ihrer Tätigkeit absolviert hat. Er bietet ein Grundgerüst, doch sie betont auch, dass der Einstieg dauert, weil man sich in die Regularien und in das Umfeld einer Justizvollzugsanstalt erst einfinden muss. Die kollegiale Beratung und der Austausch mit Kolleg:innen ist für sie ein wichtiger Baustein um die Erfahrungen verarbeiten zu können und nicht allein dazustehen. Auch ihr Glaube ist für sie ganz entscheidend.

Das Gefängnis ist ein wichtiger und spannender Kirchort, das hat Frau Röde an diesem Abend deutlich gemacht, und die Arbeit dort hat mehr an Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Anerkennung verdient. Für die Einblicke sei an dieser Stelle nochmal herzlich gedankt.

Die Veranstaltung "Frauen begleiten – Frauen in der Gefängnisseelsorge" war die zweite Veranstaltung in der Reihe „Frauen der Kirche – Kirche der Frauen“. Eine Zusammenfassung der ersten Veranstaltung zu Frauen in der Notfallseelsorge finden Sie hier:

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