Seit heute dürfen in Thüringen wieder Gottesdienste stattfinden. Für viele ist dies ein erster Schritt zurück in Richtung Alltag. Dominique-Marcel Kosack, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Dogmatik an der Uni Erfurt, sieht hierbei jedoch gewisse Probleme, denn: Wie wird entschieden, wer an den stark begrenzten Feiern teilnehmen darf und wer nicht? “Es kann sein, dass sich nun mehr Menschen ausgeschlossen fühlen”, urteilt er und fordert Gottesdienstformen, “die unter den aktuellen Bedingungen das gemeinsame Gotteslob und die Glaubensverkündigung angemessen ermöglichen” können.
In der Corona-Pandemie wird aktuell deutlich, dass eine Lockerung von Einschränkung noch lange nicht zu einem Normalzustand, sondern bestenfalls zu einer verträglicheren Form der Ausnahmesituation führt. Ähnliches zeichnet sich nun auch für das religiöse Leben und insbesondere das gemeinschaftliche Gebet ab, das zuletzt fünf Wochen lang kaum möglich war. Die Bundesländer erlauben demnächst wieder Gottesdienste mit stark begrenzter Teilnehmer*innenzahl (in Thüringen: 30 Personen) und unter Einhaltung von strengen Hygienevorschriften. Und genau an diesen beiden Punkten wird deutlich, dass eine bloße Rückkehr zur bisherigen Praxis erstmal unmöglich ist: Für Gottesdienste werden – das zeigt sich schon jetzt in Sachsen – Anmeldungen notwendig. Wie aber soll der Zugang zu einer Veranstaltung, die nach katholischem Verständnis “das Werk unserer Erlösung” (SC 2) vollzieht, im Einzelfall gewährt oder verweigert werden? Darf nun derjenige mitbeten, der sich zuerst oder am häufigsten gemeldet hat? Soll stattdessen bestimmten Personen vorrangig die Teilnahme ermöglicht werden?
Theologisch bringen solche Fragen gravierende Probleme mit sich. Denn die Überzeugung, dass Gottesdienste Orte der bedingungslosen Zuwendung Gottes sind, verträgt sich nicht mit einem Konkurrenzkampf um begrenzte Plätze. Hinzu kommt, dass insbesondere der Kommunionempfang in der Eucharistiefeier ein wesentlich leibliches Ereignis ist. Doch lassen sich Fühlen und Schmecken in einem gemeinschaftlichen Rahmen nur schwer mit Infektionsschutz verbinden. Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige fragt daher kritisch, ob Gottesdienste mit “einem Desinfektionsritus vor der Gabenbereitung und der Austeilung der Kommunion mittels einer – noch zu erfindenden – liturgischen Zange gottgefällig und heilsdienlich sein sollen”.
– Dominique-Marcel Kosack
Möglicherweise bewirkt das Ende des generellen Gottesdienstverbots also gerade das Gegenteil dessen, was Christ*innen sich von ihm erhoffen: Es kann sein, dass sich nun mehr Menschen ausgeschlossen fühlen, dass die Aussagekraft der gottesdienstlichen Zeichen und Handlungen überlagert wird, dass Erfahrungen von Erlösung, Gnade und Gemeinschaft verbaut statt eröffnet werden. Daher sollte innerkirchlich nicht nur die Frage nach der Zahl oder Auswahl der Mitfeiernden, nach Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen gestellt werden.
Es müsste vielmehr darum gehen, Gottesdienstformen zu wählen, die unter den aktuellen Bedingungen das gemeinsame Gotteslob und die Glaubensverkündigung angemessen ermöglichen. Etwa können Wortgottesdienste, Stundengebete und Andachten gut stattfinden, ohne dass die notwendigen Kontaktbeschränkungen in diesen Feiern zu dominant wirken würden. Und im Gegensatz zu Eucharistiefeiern, denen ein Priester vorstehen muss, können sie auch von anderen Hauptamtlichen oder von Ehrenamtlichen geleitet werden. So ist es möglich, dass über den Sonntag verteilt genug Gottesdienste stattfinden. Das ist noch nicht der erhoffte Normalzustand, aber es ist ein erster Schritt zurück zu einer vor Ort erfahrbaren Glaubens- und Gebetsgemeinschaft.
Dominique-Marcel Kosack ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Dogmatik an der Universität Erfurt. Aktuell forscht er zur “Erlösung des Selbst. Hermeneutik und Kategorien einer spätmodernen Soteriologie”.