Seit ein paar Jahren schon sind Klimaproteste sowohl in unseren Städten als auch in den Nachrichten immer wieder präsent. Extinction Rebellion, Fridays for Future, School Strike for Climate, Just Stop Oil, Insulate Britain, Letzte Generation und andere standen alle schon einmal im Rampenlicht, und sind die Gruppen, die auch weiterhin die Art und Weise prägen, auf die wir Klimafragen auf nationaler und internationaler Ebene verhandeln und darauf reagieren.
In den verschiedenen Gruppen spielen auch Fragen zu Religion und Spiritualität eine wichtige Rolle, sei es durch die implizite Spiritualität, die in den verschiedenen Aktionen und gewaltfreien Protesten der verschiedenen Gruppen zum Ausdruck kommt, durch den lauten Aufschrei und Vorwurf der Gegner*innen, die Demonstrant*innen seien eine Art fundamentalistische Endzeitsekte, oder durch die Beteiligung von Gruppen von Gläubigen an den Protestbewegungen.
Diese letztgenannten Gruppen haben mich in den letzten Jahren bei meinen Recherchen besonders interessiert. Autor*innen wie Maria Nita haben hierzu bereits viel erarbeitet, indem sie grüne christliche Gruppen auf allgemeiner Ebene dokumentiert haben; ich hingegen interessiere mich besonders dafür, wie sie Musik einsetzen. Der Einsatz von Musik und Ritualen durch das Christian Climate Action-Netzwerk in Großbritannien war mein erster Ansatzpunkt, um von verschiedenen Demonstrant*innen etwas über ihre Erfahrungen und Beweggründe für die verschiedenen Proteste, an denen sie teilgenommen und die sie mitgestaltet haben, zu erfahren. Spiritualität ist ein zentraler Bestandteil der Christian Climate Action als Bewegung - als Gruppe haben sie regelmäßig gemeinsam online gebetet, sie beziehen Gebete, christliche Rituale, Symbole und Lieder in ihre Proteste mit ein und sie sind sich der starken symbolischen Bedeutung bewusst, wenn zum Beispiel ein*e klar an der Kleidung erkennbare Pfarrer*in verhaftet und vor Gericht gestellt wird, weil er oder sie im Dienste des Klimas gehandelt hat.
Sie sind nicht einfach nur Protestierende, die zufällig Christ*innen sind, sondern ihre Proteste sind ein wichtiger Teil der Art und Weise, wie sie ihren Glauben leben, und ihr Engagement im Protest ist zutiefst von christlichen Überzeugungen geprägt sowie von einem breiteren Bündnis gläubiger Menschen, das als Gemeinschaft diese Anliegen und Überzeugungen miteinander verbindet.
Die Rolle der Musik bei diesen Protestveranstaltungen fasziniert mich, weil sie so viele verschiedene Funktionen erfüllt und mit einem hohen Maß an Kreativität verbunden ist. Musik wird eingesetzt, um Überzeugungen zu artikulieren, die Emotionen der Demonstrant*innen zu steuern und potenziell gewalttätige Situationen zu deeskalieren. Sie hat eine symbolische Dimension, eine prophetische und spirituelle Dimension und kann auch dazu beitragen, über religiöse Grenzen hinweg Interaktionen zu schaffen und multireligiöse Solidarität zu fördern. Ich habe mit einer charismatischen Liedermacherin gesprochen, die prophetisch in einer Situation singen will, die die Vermischung von Glauben und Öffentlichkeit ermöglicht; mit einer Priesterin, die Weihnachtslieder umtextet, um die vertrauten Melodien mit einem Gefühl von Schock und Überraschung zu verbinden; mit einer Künstlerin, die ein Einladungs- und Willkommenslied schreibt, das als Teil einer Pilgerreise verwendet werden soll; und mit Demonstrant*innen, die „Amazing Grace“ umgeschrieben haben, um es auf der Aktionärsversammlung eines internationalen Ölkonzerns zu singen. Dieses letzte Beispiel zeigt besonders gut die verschiedenen Ebenen, die in einigen dieser Protestaktionen zusammenkommen und gleichzeitig alle auf Eines abzielen: den Geist Gottes in die Situation zu bringen; auf ein Lied zurückzugreifen, das eindeutige Resonanz findet, wenn es um Geschichten über Gerechtigkeit geht; den Anwesenden im Raum Gottes Gnade anzubieten; und für Gegner*innen der Aktion ein Dilemma zu schaffen, weil es nun einmal schlecht aussieht, wenn ältere Frauen, die religiöse Lieder singen und beten, abgewiesen werden.
Während es manchmal schwer ist, Liturgie an außergewöhnliche Situationen und Zwecke anzupassen, ist Musik ein sehr offenes Medium, das individuell genutzt, angepasst und für verschiedenen Zwecke verwendet werden kann. Sie unterliegt nicht den gleichen Legitimations- oder Autorisierungsprozessen und ist daher oft eine der naheliegendsten Möglichkeiten, wenn es um spezifische Handlungen während einer Protestaktion geht.
Meine Beziehungen zur Christian Climate Action in Großbritannien haben mich dazu veranlasst, nach ähnlichen Forschungsverbindungen hier in Deutschland zu suchen. Mein erster Kontakt mit der Bewegung Letzte Generation kam durch einen ihrer Musiker zustande, ein Mitglied von Christians4Future, der unter anderem begann, während des Lockdowns einen Klimachor zu organisieren, um auf diese Weise die Bewegung bekannt zu machen. Im Gegensatz zu Christian Climate Action hat man hier weniger das Gefühl einer identifizierbaren christlichen Gruppe, sondern eher, dass es sich um interessierte Einzelpersonen mit vielfältigen Zugehörigkeiten, Identitäten und Verbindungen handelt. Die Kirchen zögern, sich offiziell hinter Letzte Generation zu stellen, was eine koordinierte christliche Aktion etwas schwieriger macht als in anderen Kontexten. Dennoch gibt es bei denjenigen, die mitmachen, klare Versuche, ihren Glauben in den Protest zu integrieren, insbesondere durch die Verwendung von Jesus als Vorbild für zivilen Ungehorsam. Christlicher Glaube wird nicht in erster Linie als ein Glaube verstanden, der nach rechtlichen und politischen Normen funktioniert und sich problemlos in die Normen der Staatsführung des 21. Jahrhunderts einfügt, sondern als eine Bewegung, die, dem Handeln ihres Begründers folgend, für das Richtige und das Gute kämpft, auch wenn dies einen Konflikt mit ungerechten Regierungssystemen bedeutet.
Einiges an der öffentlichen Wahrnehmung der Bewegung Letzte Generation ist meiner Meinung nach nicht ganz fair. Die Menschen sind verärgert über die Störungen im Straßenverkehr, sie halten dieses spezifische Modell des legalen Ungehorsams für sozial problematisch, sie stellen die strategische Angemessenheit der Entscheidung für diese Form des Protests in Frage und greifen dabei gerne auf dieselben sprachlichen Formulierungen zurück, die verwendet werden, wenn es um Terrorismus geht, um die Aktionen der Demonstrant*innen zu delegitimieren. Dies sind zwar verständliche Reaktionen von Menschen, die sich über das, was die Gruppe tut, aufregen, doch werden sie der Gruppe nicht gerecht, wenn es um ein gegenseitiges Verständnis der verschiedenen Standpunkte und einen ernst gemeinten Versuch geht, deren eigene Beweggründe und deren eigene Logik von innen heraus zu verstehen.
Die Grenzen zwischen Feldforschung und persönlichem Engagement sind nicht immer ganz klar, und nachdem ich eine der Aktivistinnen per Videoanruf interviewt hatte, half ich schließlich dabei, einen Kirchenraum zu finden, der bereit war, einen Gottesdienst für die Demonstrant*innen zu veranstalten, bevor sie auf die Straße gingen. Daraufhin wurde ich auch gebeten, den Gottesdienst musikalisch zu begleiten. Gemeinsam mit den Demonstrant*innen zu beten hilft, ein Gefühl der Empathie und der Gemeinschaft zu fördern, es hilft, die beteiligten Menschen und ihre Aktionen zu sakralisieren und zu respektieren. Nachdem ich mit ihnen in der Kirche gebetet hatte, war es umso schockierender, nur einen Tag später auf Twitter Videos von denselben Demonstrant*innen zu sehen, die von wütenden Autofahrer*innen aufgegriffen und herumgestoßen wurden. Der Eindruck wurde durch die geschlechterspezifische Dynamik in dem Video noch verstärkt: junge Frauen, die auf die Straße gegangen waren, um zu protestieren, wurden von wütenden Männern grob herumgezerrt, die eindeutig glaubten, dass körperliche Gewalt ihnen helfen könnte, ihren Willen durchzusetzen.
Es ist für mich von entscheidender Bedeutung, dass wir als Religionswissenschaftler*innen und Theolog*innen diesen neu entstehenden Räumen des Glaubens und der Rituale Aufmerksamkeit schenken.
Der christliche Glaube und die christliche Spiritualität haben sich selten einfach nur auf die offiziellen und geregelten Räume des kollektiven Gottesdienstes beschränkt und die Dynamiken der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts haben zudem bewirkt, dass die Grenzen zwischen Glauben, Spiritualität und den verschiedenen Interessens- und Handlungsbereichen immer fließender werden und schwerer zu bestimmen sind.
Die Spiritualität des Klimaprotestes und der Klimaerfahrung im Allgemeinen ist ein sich rasch entwickelnder Bereich und Christlicher Glaube ist ein Teil dieser Dynamik. Sie entsteht auf vielfältige Weise und aus verschiedenen Richtungen, von denen einige für die institutionalisierten Kirchen leicht abzusegnen sind, während andere diese Kirchen dazu herausfordern, sich zu fragen, ob das Christentum vielleicht seine radikale Seite wiederfinden muss, um der Situation, in der wir uns befinden, gerecht zu werden.
Dr. Mark Porter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Für Fundamentaltheologie und Religionswissenschaft.