Taylor & Theologie I : What if the way you hold me is actually what's holy?

Forschung & Wissenschaft
Ein Plakat von Taylor Swift als Jesus, eine Bibel und ein Smartphone auf dem der Song "Guilty as Sin" läuft, liegen auf einem ungemachten Bett.

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In ihrem gerade erschienenen Buch über die Geschichte der amerikanischen christlichen Popmusik vertritt Leah Payne die Ansicht, dass das Ende von CCM-Popstars (Contemporary Christian Music) in Form von Taylor Swift gekommen ist. Während es jahrzehntelang einen Markt für dezidiert christliche Alternativen zur Mainstream-Popmusik gab, konnte Anfang der 2000er Jahre jemand wie Swift, „die schickliche Kleidung trug und keusche Country-Songs mit viel jugendlicher Sehnsucht und christlicher Symbolik schrieb“, relativ unproblematisch die Rolle des weiblichen christlichen Popstars übernehmen: Sie bot eine sichere Alternative zu potenziell bedrohlichen Formen der Popmusik und ließ sich relativ leicht in konservative evangelikale Vorstellungen von Leben und Romantik integrieren.

Swift hat sich im Laufe der Jahre immer wieder neu erfunden, und während sie nicht selten als kontroverse Persönlichkeit gesehen wurde, ist es bemerkenswert, wie viel Aufsehen ihr jüngstes Album The Tortured Poets Department in Teilen eben dieser christlichen amerikanischen Online-Öffentlichkeit erregt hat. Seit der Bekanntgabe ihrer Beziehung mit Travis Kelce im Jahr 2023 wurde Swift von rechten Kommentatoren im Rahmen eines breiter angelegten amerikanischen Kulturkampfs zunehmend geächtet, aber die Veröffentlichung von TTPD hat eine neue Reihe von Diskussionen mit sich gebracht, von denen sich viele auf die religiöse Dimension des Albums konzentrierten. Sean Feucht, ein ausgesprochen rechter Lobpreisleiter, Anti-Lockdown-Protestler und Donald-Trump-Unterstützer, beschwerte sich auf Facebook: „Fast die Hälfte der Songs auf Taylor Swifts neuem Album enthalten unangemessene Texte (E), machen sich über Christen lustig und sind gotteslästerlich“, und es kamen auch von anderen eine Reihe von Reaktionen, die in eine ähnliche Richtung gingen und die einerseits Swifts Einstellung gegenüber Religion auf diesem jüngsten Album kritisierten und sie andererseits gegen mögliche Überreaktionen zu und Fehlinterpretationen von ihrer grundlegenden Intention verteidigten.

Wie also sind Liebe, Sexualität und das Göttliche in Swifts verschiedenen Alben miteinander verwoben? Und wie fügt sich darin die theologische Symbolik ein? Und was genau versucht Swift in ihrer Rolle als freie, öffentliche Theologin zu erreichen?

Von ihren frühen Alben an sind die romantische Liebe und das Göttliche eng miteinander verwoben. „Our Song“, einer von Swifts ersten großen Hits, beschwört spielerisch Bilder des Schöpfers herauf, der den Soundtrack zu ihrer Beziehung kreiert, und lässt das Bild einer Gottheit entstehen, die ein Augenmerk auf Liebesgeschichten und die Schicksale von Liebenden legt und bei deren Gelingen hilft. „Holy Ground“ verfolgt ein ähnliches Ziel, indem der Song das Gefühl vermittelt, dass bestimmte Aspekte einer Liebesgeschichte, die gescheitert ist, es trotzdem wert sind in religiösen Bildern beschrieben zu werden. In anderen Liedern werden Gebete und das Göttliche mit den Schwierigkeiten, denen wir in Beziehungen begegnen, gleichgesetzt. In „Enchanted“ betet Swift, dass ihre Liebesgeschichte in die Richtung geht, die sie sich verzweifelt wünscht, während in „State of Grace“ ein moralisch zweideutiger Kampf in der Liebe als heiliger Krieg dargestellt wird, bei dem es wichtig ist, auf der Seite des Guten und Richtigen zu kämpfen und daran festzuhalten.

Theologische Themen sind zwar bei weitem nicht die treibende Kraft hinter Swifts künstlerischem Schaffen, aber sie spielen eine entscheidende Rolle innerhalb der übergreifenden Logik ihrer Musik. Swift verwebt märchenhafte Erzählungen, Geschichten über die Leiden und Freuden der Liebe, Fragen nach persönlicher Identität und zwischenmenschliche Probleme und verleiht ihnen einen tieferen Sinn und eine größere Bedeutung. Es überrascht nicht, dass dies einer der Gründe ist, aus denen viele Menschen ihre Musik hören – sie verarbeiten darin ihre eignen Erfahrungen und können diese in etwas Bedeutsameres verwandeln. Swifts Narrative haben oft einen starken Sinn dafür, was richtig und was falsch ist, und vermitteln den Eindruck, dass sich das Leben auf ein Ziel zubewegt, und speisen sich aus einer poetischen Vorstellungskraft, die der Welt gerade dadurch Bedeutung verleiht, dass sie eine Vielzahl von Bildern erzeugt, durch die Lebenserfahrungen interpretiert in einem neuen Licht dargestellt werden. Ihre Musik ist dazu da, das Alltägliche zu interpretieren und es dadurch über seine Alltäglichkeit zu erheben.

The Tortured Poets Department

Die Songs auf dem Album The Tortured Poets Department setzen Swifts Eigenart fort, theologische und romantische Bilder zu vermischen. Anstatt jedoch eine direkte Verbindung zwischen beiden vorauszusetzen, legt Swift ein besonderes Gewicht darauf, die Beziehung zwischen den Narrativen, die ihr von anderen aufgezwungen werden, und der Realität, die sich dahinter verbirgt, zu hinterfragen und zu transformieren. Der Sinn für moralische Ambiguität ist in diesen Songs stärker ausgeprägt als in vielen von Swifts früheren Alben. Nachdem sie während ihrer Reputation-Ära bewusst versucht hat, ihr Image als „braves Mädchen“ zu zerstören, ist Swift daraus nicht als eine Person hervorgegangen, die finster und böse geworden ist, sondern als Frau, die bewusst versucht hat, einem Bild von sich selbst zu entkommen, mit dem sie sich nicht länger identifizieren wollte, und die nun dazu in der Lage ist, sich mit einer größeren Bandbreite an eigenen Impulsen, Situationen und Wünschen auseinanderzusetzen, als sie es in den früheren Phasen ihrer Karriere konnte.

Die theologische Symbolik zieht sich zwar durch das gesamte Album, aber „Guilty as Sin?“ ist vielleicht der Song, in dem sie am deutlichsten in den Vordergrund tritt. Der Song beginnt in einer Welt, die von einem Gefühl des eingesperrt seins und von Frustration geprägt ist und geht dann schnell in das Reich der sexuellen Sehnsucht und Fantasie über. Während dieses Übergangs greift der Song das berühmte Trilemma von C.S. Lewis (ist Jesus verrückt, böse oder Gott?) auf und stellt die Frage, ob die Visionen, denen Swift sich hingibt, sie böse, verrückt oder weise machen. Ihre Fantasien werden im Refrain noch intensiver, wobei die Schrift auf den Oberschenkeln und die Küsse auf die Oberlippe das Szenario fest in einer körperlichen Welt verankern. Die Frage, die hier aufgeworfen wird, ist wiederum stark von den Worten Jesu beeinflusst und ergründet, ob rein mentale Fantasien ohne physische Handlungen jemanden wirklich schuldig machen können. Die dritte Strophe und der darauffolgende Refrain bewegen sich durch Phantasien von Liebesakten und der damit einhergehenden körperlichen Ekstase, bevor sie in der Bridge eine Art theologischen Höhepunkt erreichen.

Nachdem sie in den vorhergehenden Strophen über ihre Schuld nachgedacht hat, wendet sich in der Bridge das Blatt. Indem Swift eine imaginäre Erfahrung von Kreuzigung und Auferstehung durchläuft, macht Swift eine Wandlung durch. Statt über die mögliche Schuld nachzudenken, die ihr von außen auferlegt wurde, lässt sie nun eine neue Art des Denkens aus ihrer eigenen Erfahrung heraus entstehen. Die immer noch unklare Frage, die sie nun stellt: „What if the way you hold me is actually what’s holy? [Was wäre, wenn die Art, wie du mich hältst, eigentlich das Heilige ist?]“, dreht den Spieß um, indem sie fragt, wie es sein könnte, dass die Liebe, von der sie phantasiert, nicht ein Ort der Schuld und Scham, sondern der wahren Heiligkeit ist.

Sie stellt diese Frage auch nicht einfach auf einer abstrakten, körperlosen Ebene; die menschliche Umarmung, das Festhalten einer Person in den Armen, wird zu der Handlung, durch die das Heilige gegenwärtig werden kann, und bildet eine geerdete, greifbare Alternative zur Sinnlosigkeit des „long-suffering propriety [erduldenden Anstands]“, die man ihr sonst vielleicht abverlangen würde.

Wie ein Großteil der exvangelikalen Bewegung und der jüngsten Kritik an der amerikanischen „Purity Culture“ ringt der Song mit einer Sexualethik, die für viele an ihre Grenzen zu stoßen scheint, wenn der einzig gestattete Weg nur zur Auferlegung von unnötigem Leid und der verbotene Weg zu Begegnungen führt, die von Gnade durchdrungen zu sein scheinen. Viele in der Swift-Fangemeinde haben „Guilty as Sin?“ so verstanden, dass es Swifts Erfahrungen beschreibt, als sie nach einer langjährigen Beziehung mit Joe Alwyn sehr schnell wieder mit Matty Healy zusammenkam. Healys in vielerlei Hinsicht zweifelhafter Ruf und die Geschwindigkeit, mit der ihre Beziehung zu Ende ging, können diese Beziehung zu einem leichten Ziel für Kritik und Verurteilung machen. Swift, die öffentliche Theologin, fordert uns jedoch auf, ihre gelebte Erfahrung ernst zu nehmen, sie nicht im Voraus auf der Grundlage eines gut durchdachten religiösen Regelwerks zu interpretieren, sondern sie zu nutzen, um diese zu hinterfragen und zu reflektieren. Wichtig ist, dass die Komplexität ihrer Erfahrung nicht dazu führt, das Heilige völlig aufzugeben, sondern dass sie es im Bereich der authentischen körperlichen Erfahrung und des Verlangens sucht, unabhängig davon, ob diese Suche letztendlich so verläuft, wie der Suchende es sich erhofft hat oder nicht. Die Verbindung mit anderen ist potenziell etwas Heiliges, das entweiht werden kann; Körper sind heilige Orte; und Stimmen, die auf einen sinnentleerten moralischen Rahmen bestehen, sind Stimmen, die die Tiefe wahrer Heiligkeit nicht wahrnehmen.

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Die Gnade des Körpers

Es wird deutlich, dass Swift nicht jeder ihrer eigenen Erfahrungen oder Einschätzungen traut, und sie tut recht daran, dies nicht zu tun, weshalb das durchgängige Formulieren von Fragen während des gesamten Lieds entscheidend für dessen Mehrwert an Bedeutung ist. Das Problem besteht nicht so sehr im Beharren darauf, dass die eine Option richtig und die andere falsch ist, sondern vielmehr darin, dass die eingebildeten moralisierenden Stimmen, die sich gegen sie stellen, sich weigern, überhaupt in Betracht zu ziehen, dass es hier eine echte Spannung geben könnte, der man sich stellen muss, und dass irgendeine Dimension, die über die der Pflicht hinausgeht, bedeutungsvoll sein könnte und es deshalb wert ist, in Betracht gezogen zu werden. In einem berühmten und kontroversen Essay ringt der Theologe und ehemalige Erzbischof von Canterbury Rowan Williams mit ähnlichen Problematiken und geht der Frage nach, was es bedeutet, in die Gnade des Körpers einzutreten, in welchen Situationen dies möglich ist und wie sich dies zu den Regeln und Rahmenbedingungen verhält, die die Kirche im Laufe der Jahrhunderte zur Regelung von Ehe und intimen Beziehungen aufgestellt hat.

Entscheidungen über das eigene Sexualleben, die Fähigkeit, bestimmte Muster als unfruchtbar, unterentwickelt oder sogar korrupt zu bezeichnen, sind [...] Entscheidungen darüber, was unser körperliches Leben aussagen soll, wie unsere Körper in das gesamte Projekt der „menschlichen Sinngebung“ für uns selbst und für andere einzubringen sind. Solche Entscheidungen treffen zu können, ist wichtig: Eine konventionelle (heterosexuelle) Moral stellt einen einfachen Ausweg aus den Schwierigkeiten das, auf die wir dabei stoßen könnten. Die Frage nach dem menschlichen Sinn wird nicht aufgeworfen, es wird uns nicht geholfen zu erkennen, welche Rolle die Sexualität dabei spielt, dass wir lernen, miteinander menschlich zu sein, in die Gnade des Körpers einzutreten, denn alles, was wir wissen müssen, ist, dass die sexuelle Aktivität in einem bestimmten Kontext erlaubt ist und in keinem anderen.

Williams betont, wie wichtig unsere Suche nach Sinn und verkörperter Gnade im Bereich der menschlichen Sexualität und Verbindung ist. Während Swifts Texte auf ein Dilemma hinweisen und einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma aufzeigen, versucht Williams, noch ein wenig weiter zu gehen. Für Williams wie für Swift trägt das Beharren auf sinnentleerten Verpflichtungen und Konventionen nicht dazu bei, die wahre Bedeutung der christlichen Sexualethik aufrechtzuerhalten; diese sind nicht an sich eine Quelle der Gnade und nicht immer der Ort, an dem sie zu finden ist. Auf der Suche nach den Möglichkeiten, auf die sexuelle Beziehungen und menschliche Körper zu Orten der Gnade werden können, betont Williams die Bedeutung von Verletzlichkeit und Risikobereitschaft, die Dynamik des Begehrens und des Begehrtwerdens, den Raum, den anderen wahrzunehmen und von ihm wahrgenommen zu werden, die Akzeptanz, die Sorgfalt, die Fähigkeit, sich selbst als Quelle des Glücks für den anderen zu entdecken und darzubieten und die Bedeutung von Zeit und Bemühen, damit all dies stattfinden kann. Für Williams hat die Art und Weise, wie all dies in der menschlichen Begegnung zusammenkommt, etwas, das die Sexualität zu einem Ort der Gnade machen kann. Das Geschenk der Zeit und das Versprechen, sich nicht zu entziehen, auf dem die traditionellen Verpflichtungen beruhen, kann die Verletzlichkeit und das einander Entdecken ermöglichen, in der die Gnade gedeihen kann, aber dies ist ein Mittel zum Zweck. Dieselbe Gnade kann in anderen Situationen gefunden werden, und die Verpflichtung an sich kann sinnlos erscheinen, wenn andere Elemente nicht gepflegt und entwickelt werden.

Wenn Swift auf der einen Seite ihres Dilemmas die „long-suffering propriety [erduldenden Anstand]“ und auf der anderen Seite die potenzielle Heiligkeit in der Umarmung eines neuen Liebhabers thematisiert, betont Williams die Bedeutung beider Elemente und hebt darüber hinaus die Gründe hervor, warum Swift im Verlauf dieses Liedes tatsächlich ein echtes moralisches Dilemma schildert.

Swift bietet uns etwas Wichtiges in ihrer Sakralisierung der liebenden körperlichen Umarmung und Verbindung und durch ihr Ringen mit der Frage, was heilig ist und was wirklich heilig sein könnte.

Um dies jedoch vollständig erschließen, müssen wir einen Schritt weiter gehen und die Komplexität, die Verletzlichkeit, die Risiken, die wir auf uns nehmen, die Enttäuschungen, die Freuden und die Verpflichtungen, die sich ergeben, wenn wir unser Leben mit dem Göttlichen und untereinander verflechten, noch tiefer erkunden. Durch diese Auseinandersetzung können wir schließlich lernen, Orte zu finden, die in unseren Beziehungen zueinander und zu unserem Körper wirklich und authentisch heilig sind.

Dr. Mark Porter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Fundamentaltheologie und Religionswissenschaft. Mehr Informationen zu seiner Forschung und seinen Publikationen finden Sie auf seiner persönlichen Website:

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