Tagungsbericht: Schriftrezeption in der katholischen DDR-Diaspora am Beispiel der Predigtreihe „Das Wort an die Gemeinde“

Veranstaltungen
Hand, die in der Bibel blättert

von Anna Sophie Reitnauer, Marlen Bunzel und Martin Nitsche

Am 26.03.2022 fand die digitale Arbeitstagung „Schriftrezeption in der katholischen DDR-Diaspora“ statt, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die einzige katholische Predigtreihe aus der DDR (von Karljosef Lange in den 1970’er Jahren im St-Benno-Verlag herausgegeben) mehrperspektivisch zu untersuchen. Die Tagungsleitung lag bei Dr. Martin Nitsche (Universität Frankfurt) und Dr. Marlen Bunzel (Universität Erfurt), die die Tagung mit einem Vortrag über Hintergründe zur Entstehung der Predigtreihe eröffneten und wertvolle Eindrücke aus den zahlreichen Gesprächen mit Autor:innen der Reihe wiedergaben. Prof. Dr. Norbert Baumgart (Exegese und Theologie des Alten Testaments, Universität Erfurt) präsentierte Statistiken zur Reihe sowie die Arbeitsweise der staatlichen Zensur am Beispiel einer Bundesarchivakte von 1978. An die komplexe Frage nach der Zensur knüpfte Prof. Dr. Jörg Seiler (Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Universität Erfurt) an. Er führte eine strukturelle Analyse sowohl von staatlichen als auch von kirchlichen Zensurhandlungen durch.

Der zweite Block der Tagung bündelte verschiedene Predigtlektüren. Dr. Cornelia Assmann (Universität Erfurt) analysierte die Rezeption einer Predigt über den im Exil lebenden Propheten Ezechiel und machte deutlich, inwieweit spezifische Themen des Ersten Testaments als Grundlage für lebensweltorientierte, politisch-aktuelle Predigten in der DDR dienten. Prof. em. Dr. Georg Hentschel (Erfurt), der selbst an der Predigtreihe mitwirkte, blickte Jahrzehnte später auf seine eigene Mitarbeit an „Das Wort an die Gemeinde“ zurück. Dr. Martin Nitsche fokussierte sich im folgenden Vortrag auf bestimmte Autor:innenpersönlichkeiten und die Analyse der digitalisierten Predigten anhand von Stichwortsuchen. Franziska Rauh (Universität Mainz) hatte sich der Frage der Literaturrezeption in der Predigtreihe gestellt, war allerdings erkrankt. Ihr Beitrag wird im Tagungsband nachzulesen sein.

Im letzten Block der Tagung beschäftigten sich Prof. Dr. Maria Widl (Pastoraltheologie und Religionspädagogik, Universität Erfurt) und Dr. Christof Gärtner (Bielefeld / Paderborn) aus der Perspektive der praktischen Theologie mit der Predigtreihe. Maria Widl ging dabei insbesondere auf die grundlegende Wirkmächtigkeit von Predigt aus der Perspektive der Evangelisierung ein, während Christof Gärtner die Tagung mit einem anschaulichen Vortrag über Karljosef Langes „divergierende Richtlinien“, die dieser während der Herausgabe der Reihe entwickelte, schloss.

Nicht nur die aktiv Vortragenden trugen dazu bei, dass die Arbeitstagung für alle mit neuen Einsichten und bereichernden Diskussionen endete, sondern auch drei besondere Gäste, die ihre Perspektiven einbrachten. Erika Buhl blickte auf ihre Tätigkeit als Autorin der Reihe zurück – sie war eine von vier Frauen unter den 182 Autor:innen. Stephan Lange, der Neffe des Herausgebers, berichtete von jüngsten Kontakten zum schwer erkrankten Karljosef Lange. Landesbischöfin a.D. llse Junkermann leitet die „Forschungsstelle kirchliche Praxis in der DDR“ und erläuterte Kooperationsmöglichkeiten.

Während der Tagung wurde die Komplexität von Forschungsfragen zur Reihe deutlich. Dabei zeigte sich, dass eine multiprofessionelle Untersuchung notwendig ist, um insbesondere den Umgang mit und den Einfluss von Zensur, die Erforschung theologischer Kernaussagen und die Rezeption spezifischer Sujets des Ersten Testaments zu ermitteln.

Im Wintersemester 2022/2023 wird es eine Veranstaltung zur Präsentation des Tagungsbandes in Erfurt geben.

Die Tagung wurde von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert, das Projekt erhielt zuvor Förderungen der Erich und Maria Russel-Stiftung und des Grade-Center RuTh der Goethe-Universität Frankfurt am Main.