Bereits die erste Vollversammlung des Synodalen Weges der katholischen Kirche in Deutschland habe “eine Erfahrung von Partizipation ermöglicht”, urteilt Prof. Dr. Julia Knop. Gemeint ist damit allem voran die Teilhabe “ganz normaler Gläubiger” am kirchlichen Diskurs sowie die Berücksichtigung von Expert*innenmeinungen – auch aus Reihen jenseits des Klerikerstandes. Ihre Stimmen sollen in einer Reform der katholischen Kirche künftig mehr Gehör finden. Die Synodalversammlung, die vom 30. Januar bis 1. Februar erstmals in Frankfurt am Main zusammenfand, habe die “formale Reduktion kirchlicher Autorität auf Amtsträger […] eines Besseren belehrt”, so Knop. Für THEOLOGIE AKTUELL erörtert die Dogmatikerin der Uni Erfurt, die selbst am Synodalen Weg beteiligt ist, Struktur und Ablauf der ersten Versammlung und resümiert über aktuelle Stimmungsbilder unter Klerikern sowie Katholikinnen und Katholiken.
Vom 30. Januar bis 1. Februar tagte die erste Synodalversammlung des Synodalen Wegs. 230 Delegierte kamen nach Frankfurt am Main um Themen, Aufgaben und Perspektiven des Synodalen Weges zu beraten. Unter ihnen sind 69 Bischöfe, 35 Priester und 4 Diakone, insgesamt also 108 Kleriker, und 121 “Laien”. Unter den Synodalen sind 159 Männer, 70 Frauen und eine diverse Person. Mehr als die Hälfte von ihnen ist hauptamtlich in der Kirche tätig – in der Bistumsleitung, in Pfarreien, Akademien und Verwaltung – andere ehrenamtlich, auch Universitätstheolog*innen und Vertreter*innen anderer Fakultäten sind dabei. Die Altersspanne reicht von 16 bis über 70 Jahren, knapp 20 der Delegierten sind unter 30 Jahren. Ein Querschnitt der katholischen Kirche in Deutschland ist das weder hinsichtlich des Verhältnisses von Klerikern (ca. 47%) und “Laien” noch was die Verteilung von Männern und Frauen (ca. 30%, genauso wie der Anteil der Bischöfe), Akademiker*innen und Nichtakademiker*innen, Alten und Jungen in der Kirche angeht. Es handelt sich durchweg um hoch engagierte Katholik*innen, die bereit sind, ihre Erfahrungen und Kompetenzen, ihre Zeit und Kraft, ja, ihre ganze Persönlichkeit zu investieren, damit die katholische Kirche in Deutschland in einer ihrer tiefsten Krisen wieder Zukunft und Glaubwürdigkeit gewinnt.
– Julia Knop
Die (forcierte) Krisendiagnose, die letztlich den Anstoß zum Synodalen Weg gab, hatte im September 2018 ein Forschungskonsortium gestellt, das im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz Personalakten von Klerikern auf Hinweise auf sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen untersucht hatte. Neben erschütterndem Zahlenmaterial enthält ihr Bericht Hypothesen dazu, welche systemischen Faktoren in der katholischen Kirche Missbrauch an Schutzbefohlenen durch Kleriker und seine Vertuschung durch kirchlich Verantwortliche nicht verhindert und womöglich sogar begünstigt haben. Die Forscher*innen nennen einen prekären Umgang mit Macht in der Kirche, die exklusiv zölibatspflichtigen Männern zugemessen wird, und “ambivalente Aussagen und Haltungen der katholischen Sexualmoral zur Homosexualität”. Sie empfehlen außerdem, “die Bedeutung des Zölibats zu diskutieren”.
Der Synodale Weg greift diese Themen auf, ohne den Prozess auf das Drama sexualisierter Gewalt von Klerikern zu reduzieren. Viele Gläubige hatten in diesen Feldern schon lang Reflexions- und Erneuerungsbedarf benannt. Ihr Votum hatte bisher allerdings keinen substanziellen kirchlichen Reformprozess initiiert. Aber nun ist von externer wissenschaftlicher Seite in diesen Fragen ein besonderes Gefährdungspotenzial für (Macht-)Missbrauch identifiziert worden. Man darf ihnen nicht mehr ausweichen. Das kirchliche Priesterbild, das kirchliche Frauenbild, sexualethische Vorgaben und die Verurteilung bzw. Tabuisierung von Homosexualität müssen auf den Prüfstand. Denn sie stützen ein System, in dem die körperliche und seelische Integrität von Jungen, Mädchen und Frauen über Jahrzehnte Schaden genommen hat und weiter Schaden nehmen kann.
– Julia Knop
Wie kann eine ernsthafte, die Tiefe der Probleme wirklich auslotende, theologisch valide und systemisch konstruktive Auseinandersetzung gelingen? Dass dazu herkömmliche kirchliche Beratungsformate nicht hinreichen, war rasch deutlich. Sie sind in aller Regel durch die strikte Trennung von Beratung und Entscheidung geprägt: “Laien” sind (auch wenn sie Profis sind) von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Doch wenn der Fehler mutmaßlich im System liegt, brauchen Diagnose und Therapie den Blick und Korrektur von außen. Kein System heilt sich selbst. Es braucht eine Vielfalt von Kompetenzen und Perspektiven – die der “ganz normalen Gläubigen”, die von Expert*innen und natürlich die der Opfer kirchlicher Gewalt –, um die ideellen Voraussetzungen und eingeübten Verhaltensweisen zu erkennen und aufzubrechen, die Machtmissbrauch begünstigen. Es braucht (auch) andere als die Entscheider dieses Systems, um die Pathologien des Systems zu identifizieren und eine nachhaltige Reform zu erarbeiten.
Der Synodale Weg wird sich in Arbeitsgruppen, den so genannten “Foren”, und in der Synodalversammlung mit den genannten Themen beschäftigen. Die Foren sind aus Mitgliedern der Synodalversammlung und externen Expert*innen zusammengesetzt. Dabei wurde sorgfältig auf ein ausgewogenes Verhältnis sowohl der jeweiligen Kompetenzen als auch der Perspektiven und Positionen geachtet. Hier werden die Vorlagen erarbeitet, die zur Entscheidung in die Synodalversammlung kommen. Sie ist das oberste beschlussfassende Gremium des Synodalen Wegs. Da jede Vorlage in zwei Lesungen beraten werden muss, ist frühestens bei der übernächsten Plenarversammlung Anfang 2021 mit ersten Beschlüssen zu rechnen. Da manche Themen Fragen betreffen, die über die Kompetenzen der deutschen Kirche hinaus gehen, werden Voten nach Rom weitergeleitet werden – und dort hoffentlich nicht in der Schublade verschwinden. Dass intensiv und durchaus kontrovers diskutiert werden wird, ist zu erwarten. Das zeigte bereits die erste Versammlung, in der eine erste Befassung mit den anstehenden Themen erfolgte.
– Julia Knop
Die Debatte wurde nach einer Vergewisserung über Ziele und Möglichkeiten des Synodalen Wegs durch Berichte über die Vorarbeiten der “Vor-Foren” sowie eine erste Sichtung der über 5.300 Eingaben einer Umfrage auf der Homepage www.synodalerweg.de eingeleitet. Es folgte eine Aussprache im Plenum. Sie war in mancher Hinsicht bemerkenswert. Einmal deshalb, weil überhaupt solch “heiße Eisen” – im Jargon der Boulevardpresse ausgedrückt: Macht, Sex, Zölibat und Frauen – in einem solchen Gremium angefasst wurden. Aber vor allem deshalb, weil sie so angefasst wurden, wie es in Frankfurt zu erleben war, nämlich in einer bis in die Sitzordnung hinein bunt gemischten, nicht hierarchisch organisierten Konferenz und in einer Offenheit und Authentizität, die ihresgleichen sucht. Die Intensität der Beteiligung am Gespräch war groß, ebenso die Herausforderung, in diesem Setting die eigene Rolle (neu) zu (er-)finden. Viele Frauen, viele der jungen Leute und viele Pfarrer meldeten sich zu Wort und sie äußerten sich frisch und klar, ohne Verharmlosung und Harmonisierung, ohne Angst und voller Entschiedenheit. Von der “Täterkirche” war die Rede, von der Empörung über die kirchliche Diskriminierung von Frauen, vom demütigenden kirchlichen Umgang mit Homosexuellen, von struktureller Überforderung der Priester, die vor ihrer Weihe gehypt und danach verheizt werden, von der kaum mehr zu ertragenden Ungeduld der Gläubigen, dass sich endlich etwas bewege.
Solch freimütige Debatte gefiel natürlich nicht allen. Wo der eine Bischof “eine großartige Zukunftswerkstatt” erkannte, sah sein Amtsbruder Verrat an den Grundfesten des Glaubens. Was der eine als “Zeugnis echter Katholizität” erlebte, diskreditierte der andere als “protestantisches Kirchenparlament”. Dass sich natürlich auch die katholische Kirche in einer “Welt der Freiheit” bewähren muss, konnte der eine Bischof beherzt bejahen, während fünf seiner Amtskollegen (erfolglos) beantragten, Diskussionsbeiträge nur dann zur Debatte und am Ende zur Beschlussfassung zuzulassen, wenn sie der Lehre der Kirche entsprechen. Während der eine die moralische Verbindlichkeit einer Mehrheitsentscheidung betonte, setzte der andere auf formale Autorität: “Laien beraten, Bischöfe entscheiden.”
Schon dass alle Delegierten sich zu Wort melden konnten, dass sie nach gleichen Maßstäben zu Wort kamen und dass anstelle thematischer Tabus die Freiheit der Rede galt, brachte einige wenige Teilnehmer und Beobachter zu zersetzender Fundamentalkritik. Der ganze Prozess sei illegitim, unkatholisch, zerstörerisch, war in einem Interview zu lesen, das ein bischöflicher Delegierter bereits während der Versammlung gab. Und der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, vergriff sich nicht nur im Ton, sondern in der Sache, als er den geschichtsvergessenen und völlig unangemessenen Vergleich der Synodalversammlung mit dem Reichsermächtigungsgesetz wählte (vgl. dazu den Kommentar eines der beiden Prozessbegleiter des Synodalen Wegs).
– Julia Knop
Weitaus qualitätsvoller als solche verheerenden Invektiven des einst übermächtigen Kirchenmannes war die reale Debatte in Frankfurt. Was dort zählte, war die Kraft des Arguments, das Gewicht der Erfahrung und die Qualität der Expertise. Pastorale Phrasen und Katechismuswissen fanden entsprechend wenig Beifall; das authentische klare Wort umso mehr. Dass zwischenzeitlich die Redezeit von drei auf zwei und schließlich eine Minute verkürzt wurde, zeigte den großen Redebedarf und das hohe Engagement der Synodalen. Wer sich traute, frei zu sprechen statt im Vorfeld vorbereitete Vorträge abzulesen, war doppelt im Vorteil: Er stand mitten in der Debatte statt ihr belehrend gegenüber. Er konnte respektvoll auf die Vorredner reagieren und lief nicht Gefahr, über sie hinwegzureden (was es natürlich auch gab). An Stelle vorformulierter Drei-Minuten-Texte spontane 60-Sekunden-Statements zu halten, ist in der Tat herausfordernd – aber es bringt die Dinge auf den Punkt und das Gespräch in Schwung. Dass man dazu kein*e Berufsredner*in sein muss, bewiesen die jungen Leute der Synodalversammlung, die sich engagiert einbrachten – wie auch die Frauen, die, obgleich zahlenmäßig in der Minderheit, in eindrücklichen Redebeiträgen bewiesen, dass in der Kirche nicht nur Männer etwas zu sagen haben.
– Julia Knop
Wohin das ganze führt, bleibt abzuwarten. Der rechtliche Status des Synodalen Wegs ist strittig. Die Satzung gibt eine Zweidrittelmehrheit des Plenums und eine weitere der Bischöfe zur Beschlussfassung vor. Laut Geschäftsordnung kann auf Antrag zusätzlich eine Mehrheit der anwesenden Frauen zur Bedingung gemacht werden (Geschäftsordnung §6 [3]). Solche mit dreifacher Mehrheit getroffenen Beschlüsse entfalten jedoch “von sich aus keine Rechtswirkung. Die Vollmacht der Bischofskonferenz und der einzelnen Diözesanbischöfe, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit Rechtsnormen zu erlassen und ihr Lehramt auszuüben, bleibt durch die Beschlüsse unberührt.” (Satzung §11 [5]). In dieser paradoxen Konstellation zeigt sich zweierlei: das breite Bewusstsein, dass eine partizipative Entscheidungsfindung durch die, die “gemeinsam Kirche” sind, nötig und angemessen ist, und zugleich die Geltung kirchenrechtlicher Vorgaben von Synodalität, die “laikale” Kompetenzen strukturell aus kirchlichen Entscheidungsprozessen ausschließen.
Diese typisch römisch-katholischen Sicherungsmechanismen, die bewirken, dass selbst dreifache Mehrheitsvoten keines Bischofs Recht einschränken, machen den Prozess als ganzen zumindest formal zu einem reinen Konsultations-, bestenfalls Beratungsprozess. Beschlüsse der Synodalversammlung repräsentieren formal lediglich das Stimmungsbild eines Gremiums, das kirchenrechtlich keinerlei Befugnisse geltend machen kann. Theoretisch muss deshalb kein Bischof um seine “Macht” fürchten. Bezeichnenderweise wird von Seiten der Kritiker des Synodalen Wegs trotzdem zuerst und vor allem das hierarchische Moment als Konstitutivum der Versammlung und ihrer Darstellung im Gottesdienst und im Konferenzraum eingefordert, weil mit der kirchlichen Hierarchie angeblich das Katholische steht und fällt.
Das zeigt überdeutlich, dass (Kirchen-)Recht und (kirchliche) Realität, Geltungsanspruch und Rezeption kirchlicher Vorgaben, zwei Paar Schuhe sind, die selbst in der Wahrnehmung derer, die auf althergebrachte Rechte pochen, mehr und mehr auseinandertreten (das übergeht Norbert Lüdecke, der die Realität des Synodalen Prozesses rechtspositivistisch zum “Partizipations-Avatar” erklärt: Norbert Lüdecke, Die Freiheit des Herrn Woelki, in: feinschwarz.net (4.2.2020)).
Wie der Synodale Weg ausgehen, welche strukturellen Wirkungen er zeitigen und welche seiner Deutungen am Ende Recht behalten und womöglich neues Recht setzen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt offen. Tatsache ist aber, dass bereits die erste Synodalversammlung eine Erfahrung von Partizipation ermöglicht hat, welche die formale Reduktion kirchlicher Autorität auf Amtsträger und die künstliche Trennung und hierarchische Zuordnung von Beratung und Entscheidung eines Besseren belehrt.
Bild: © Synodaler Weg/Malzkorn
Prof. Dr. Julia Knop ist Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Sie ist außerdem Mitglied im Forum “Macht, Partizipation und Gewaltenteilung” anlässlich des Synodalen Weges. Die vier Foren, die sich weiterhin mit den Themen „Sexualmoral“, „Priesterliche Lebensform“ und „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ beschäftigen, bilden eine Grundlage für die Umsetzung des Synodalen Weges.