Das deutsche Grundgesetz garantiert uns die Religionsfreiheit. Niemand wird durch den Staat zu einem religiösen Bekenntnis oder einer spezifischen Weltanschauung gezwungen. Doch wie “frei” sind wir in unser Entscheidung wirklich? Können wir selbstbestimmt “wählen”, woran wir glauben? Und was bedeutet es, wenn wir uns von diesem Glauben abwenden? Danach fragt die aktuelle Ausgabe der Schriftreihe “Theologie der Gegenwart”.
“Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.” (GG, Art. 4)
Das Grundrecht auf Religionsfreiheit ist ein Abwehrrecht: Glaube, Religion und Weltanschauung sind staatlichem Zugriff entzogen. Das bedeutet allerdings gerade nicht, dass der Staat seine Bürger vor Religion schützen müsste. Im Gegenteil. Religionsfreiheit ist die Freiheit, religiös zu sein oder nicht, einer Glaubensgemeinschaft anzugehören oder nicht, ein Bekenntnis zu wechseln oder nicht. Dieses Grundrecht gewährleistet, dass, wenn ein Mensch glaubt, an einen Gott glauben zu können, er dies tun darf und keinerlei äußere staatliche Eingriffe zu fürchten braucht.
Wie kommt aber jemand zu einem religiösen Bekenntnis? Geht die Zustimmung zu bestimmten Glaubensinhalten, geht das Gottvertrauen, das ich in mir spüre, auf einen Freiheits-, also auf einen Willensakt zurück? War der gläubige Mensch einmal frei, sich für oder gegen diesen Glauben zu entscheiden? Kann man wählen, im Glauben zu bleiben, seinem Gott also stabil zu vertrauen? Ist folglich auch die Abkehr von einem Glauben Resultat von Freiheit? Entscheide ich mich, nicht mehr zu glauben, oder ist es „Schicksal“, meiner Macht entzogen, wenn ich meines Glaubens verlustig gehe? Kurz: Ist Glaubensfreiheit aus religiöser Perspektive ein inneres menschliches Potenzial, eine Freiheit zum Glauben, die im ersten und letzten und dazwischen auf eine unvertretbare freie Entscheidung zurückgeht?
Die zum Themenschwerpunkt des aktuellen Heftes der “Theologie der Gegenwart” gehörenden Beiträge behandeln Religions- und Glaubensfreiheit aus dieser eher ungewohnten Perspektive: Uta Poplutz thematisiert anlässlich der Diaspora-Situation der Gemeinde des ersten Petrusbriefs Motive, trotz Fremdlingserfahrung am Glauben festzuhalten.
Philipp Schmitz greift mit Paulus und Martin Luther prominente Freiheitstheoretiker der Christenheit auf, die darin übereinkommen, den rechtfertigenden Gottesglauben gerade nicht als Resultat menschlicher Entscheidung, sondern als unverfügbare Gottesgabe zu beschreiben. Anja Middelbeck-Varwick sondiert das Verständnis von Glaubensfreiheit in den drei großen monotheistischen Religionen. Andreas Fincke beleuchtet die reduzierte Lesart des Grundrechts auf Religionsfreiheit in prominenten säkularistischen Organisationen.
Ursula Nothelle-Wildfeuer beschreibt die sozialethischen Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung. Josef Pilvousek erinnert an die Anfänge und die Entwicklung des inzwischen 55-jährigen Friedrich-Dessauer-Kreises in Erfurt.
Hinweis der Redaktion: Auf ihrer Homepage bietet “Theologie der Gegenwart” den jeweils ersten Beitrag einer Ausgabe sowie Buchbesprechungen als Volltext zum nachlesen an. Alle weiteren Beiträge können exemplarisch angelesen werden.