Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,
am Bonifatiustag des Jahres 1952 wurde das philosophisch-theologische Studium in Erfurt eröffnet. Patron wurde allerdings nicht der Tagesheilige, sondern der Heilige Albert der Große, Albertus Magnus. Diese Wahl war und ist gut begründet. Albert war ein in jeder Hinsicht gebildeter Professor und Schriftsteller, vermutlich der letzte Mensch, der das ganze Wissen seiner Zeit im Kopf hatte. Albert war theologischer Lehrer. Er war der erste Nicht-Franzose, der an der Pariser Universität einen der beiden Lehrstühle übertragen bekam, die für die Dominikaner vorgesehen waren. Er betrieb nicht nur theologische Ausbildung, sondern es war ihm auch ein Anliegen, der theologischen Ausbildung Wege zu bereiten. Im Auftrag des Dominikanerordens richtete er in verschiedenen Klöstern der deutschen Provinz den wissenschaftlichen Studienbetrieb ein: in Hildesheim und Freiburg im Breisgau, in Regensburg und Straßburg. Und er gründete die Universität seines Ordens in Köln. Hier war auch Thomas von Aquin sein Schüler. So war die Entscheidung völlig berechtigt, dass Albertus Magnus Patron des philosophisch-theologischen Studiums wurde und auch der Patron der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Erfurt ist.
Als Patron einer theologischen Fakultät weist Albertus Magnus in zwei Richtungen: Er hat die Welt nicht nur erforscht und war mit allen Gebieten der Naturwissenschaft vertraut, sondern er hat die Welt auch gestaltet. Im Jahre 1260 ließ er sich von Papst Alexander IV. in die Pflicht nehmen, die Leitung des Bistums Regensburg zu übernehmen. Damit wurde er auch Reichsfürst. In nur zwei Jahren hatte er die Schwierigkeiten in diesem Bistum bereinigt und wurde von Papst Urban IV. vom Amt des Bischofs von Regensburg entpflichtet. Im Jahre 1273 nahm er trotz seines Alters am Konzil von Lyon teil, um sich dafür einzusetzen, dass die Wahl Rudolf von Habsburgs zum deutschen König auch von Papst Gregor X. anerkannt wurde. In einer Führungskrise hat er so die politische Einheit Europas gerettet. Das Leben des Heiligen Albertus Magnus lehrt, dass Theologie nicht aus der Welt hinausführt, sondern auch Inspiration sein kann, den Auftrag zur Gestaltung der Welt und der Gesellschaft wahrzunehmen.
Das Leben des Heiligen Albertus Magnus zeigt auch, dass Theologie nach innen führt. Albert war von Berufung Dominikaner. Nach der strapaziösen Zeit als Bischof von Regensburg zog er sich als einfacher Mönch zurück. Er suchte die Begegnung mit Gott und fand die Gemeinschaft mit ihm. Von ihm ist der Satz überliefert: „Gehe selber zu Gott, das ist nützlicher, denn dass Du alle die Heiligen hinsendest, die im Himmel sind.“
Bei allem Wissen, das Albert besaß und das schon seinen Zeitgenossen unheimlich vorkam, bei aller spirituellen Tiefe und bei aller Fähigkeit, die Welt zu gestalten, war Albertus Magnus ein Kind seiner Zeit. Auch er hat Kreuzzugpredigten gehalten. Auch er hat 1248 in Paris ein Dokument unterschrieben, das dem Talmud und andere jüdische Texte verurteilte und deren Verbrennung anordnete. Das ist eine wichtige Mahnung für alle, die Theologie studieren und lehren, die Selbstverständlichkeiten der eigenen Zeit zu hinterfragen.
Bischof Ulrich Neymeyr, 15. November 2020 zum Festtag des Heiligen Albertus Magnus
(Es gilt das gesprochene Wort vom 15. November 2020)