Neue Monographie zu Tertullians Schrift über die Flucht in der Verfolgung (de fuga in persecutione)

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Seite eines alten Textes auf Latein
Buch-Cover

Tertullian von Karthago (ca. 160–220 n. Chr.) gehört zu den bedeutendsten Theologen der frühen Kirche. Er gilt als der erste Kirchenschriftsteller, der seine Werke in lateinischer Sprache abfasste. Wie auch andere nordafrikanische Theologen, etwa Laktanz oder Augustinus, hatte Tertullian vor seiner Konversion zum Christentum eine rhetorische Ausbildung durchlaufen. Er bekleidete kein Amt in seiner Gemeinde, sondern war als eine Art freier Lehrer in der afrikanischen Provinzhauptstadt Karthago tätig und hinterließ ein äußerst umfangreiches literarisches Œuvre: Apologetische Schriften wie das berühmte apologeticum, die sich mit der antiken Kultur, Philosophie und Religion auseinandersetzen und versuchen, das Christentum gegenüber Vorwürfen und Anfeindungen zu verteidigen, dann Traktate, die sich mit Häresien seiner Zeit auseinandersetzen und diese zu widerlegen suchen, so etwa die fünf Bücher gegen Marcion von Sinope (adversus Marcionem) oder die Schrift gegen den modalistischen Monarchianer Praxeas (adversus Praxean). Gerade in letzterer gelang es Tertullian in der Auseinandersetzung mit der Lehre seines Gegners einen eigenen trinitätstheologischen Entwurf zu liefern, der Einheit und Dreiheit in Gott gleichermaßen berücksichtigt und in diesem Kontext erstmals das Wort „Trinität“ (trinitas) gebraucht. Schließlich schreibt er in praktisch-theologischen Schriften u. a. über Theologie und Liturgie der Taufe (de baptismo) oder über das Fasten (de ieniunio). Etwa ab dem Jahr 205 bezeugen seine Texte eine Hinwendung zur sogenannten Neuen Prophetie. Diese Bewegung stammte ursprünglich aus Kleinasien, fand aber auch in Nordafrika einigen Zuspruch und berief sich auf neue Offenbarungen des Heiligen Geistes (des Parakleten), der die von ihren Anhängern praktizierte entschiedene und rigorose Lebensführung einfordere. Tertullian fühlte sich davon angezogen und bestätigt und vertrat seine strikten Forderungen noch pointierter. 

In all seinen Werken erscheint Tertullian als äußerst wortgewandt, rhetorisch geschickt und angriffslustig. Was die christliche Lebensführung anging, war er wenig kompromissbereit und vertrat eine harte Linie, etwa auch in der Frage, wie ein Christ Anfeindungen und Verfolgung zu begegnen habe. Mit diesen Fragen befasst sich der Theologe in seinem Traktat de fuga in persecutione, der im Zusammenhang mit einer Christenverfolgung unter dem afrikanischen Prokonsul Scapula (212) entstanden sein dürfte. Ein Freund, so schildert der Autor den Abfassungshintergrund, habe bei ihm angefragt, ob man in der Verfolgung fliehen solle oder nicht. Tertullians ebenso von der klassischen Rhetorik wie der stoischen Philosophie und dem Kontakt zur Neuen Prophetie beeinflusste Argumentation kommt zu einem klaren Ergebnis: Einzig Standhaftigkeit und Martyriumsbereitschaft können die rechte Antwort auf die Verfolgung sein. Dabei geht Tertullian davon aus, dass die Verfolgung der Christen etwas Gutes sei. Sie komme nämlich von Gott, von dem nichts Böses ausgehen könne, und diene auch einem ganz konkreten Zweck: der Prüfung der Christen, biblisch gesprochen: der Trennung von Spreu und Weizen – die Spreu bilden diejenigen, die sich der Verfolgung aus Angst entziehen, den Weizen diejenigen, die im Vertrauen auf Gott standhaft bleiben. Flucht bedeute damit einen Abfall von Gott und sei nicht anders zu werten als Apostasie.

Doch so klar scheint die Sache nicht, wenn man die Heilige Schrift hinzuzieht: Wenn Jesus seine Jünger in Mt 10,23 auffordert, zu fliehen, wenn sie verfolgt werden sollten, stellt sich die Frage: Gilt diese Aufforderung nicht für alle Jünger Jesu zu allen Zeiten? Und, hat Jesus sich denn nicht bisweilen selbst vor seinen Gegnern verborgen und ist Gewalt aus dem Weg gegangen (z.B. Mt 2,13-15; Mt 4,12; Joh 8,59, 10,39f., 12,36)? Ist nicht Paulus aus Damaskus geflohen, um denen zu entgehen, die ihm nach dem Leben trachteten (Apg 9,23-25)? Dass man auf Basis dieser Stellen die Flucht in der Verfolgung auch ganz anders bewerten und in ihr durchaus etwas Positives, ja sogar etwas dem Willen Gottes Entsprechendes sehen kann, zeigen zeitgenössische Texte anderer Theologen. Tertullian verwendet angesichts dieser und anderer Schriftzeugnisse, die seiner Ansicht zu widersprechen scheinen, viel Mühe darauf, seinen Standpunkt auch exegetisch zu verteidigen und die Schriftstellen als „rhetorischer Exeget“ (Jakob Speigl) in seine argumentative Strategie einzubinden.

Mit der neu erschienenen Monographie legt Dr. Daniel Greb, Vertreter der Professur für Alte Kirchengeschichte, Patrologie und Christliche Archäologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, die erste deutsche Übersetzung der Schrift de fuga in persecutione auf Basis der neuesten kritischen Textedition sowie eine Einleitung und umfassende Kommentierung vor. Dabei wird der Traktat im historischen und theologischen Kontext seiner Zeit ausgelegt und gewürdigt. Die Publikation wurde durch eine großzügige Förderung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein ermöglicht.

Bibliographische Angaben:

Daniel Greb, Die Flucht in der Verfolgung – eine legitime Alternative zu Martyrium oder Apostasie? Tertullians Traktat de fuga in persecutione im historischen und theologischen Kontext seiner Zeit (Patrologia – Beiträge zum Studium der Kirchenväter 41), Berlin 2021; 626 S.

ISBN (Hardcover): 9783631836149

ISBN (PDF): 9783631852378

ISBN (ePUB): 9783631852385

ISBN (MOBI): 9783631852392

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