„Marginalisiert und dennoch stark. Die Frauen im Stammbaum Jesu Mt 1,1-17“ – Eine Ausstellung im Entstehungsprozess

Forschung & Wissenschaft , Veranstaltungen
Rahab und die Kundschafter Josuas

Der Theologe Paul Bruderer schreibt auf seinem Block über den Stammbaum Jesu in Mt 1,1-17:

„Keine Schönfärberei in der Ahnenreihe von Jesus! Kein Vertuschen von schwarzen Schafen in seiner Familie! Die Liste beinhaltet Frauen, die mitunter als gesellschaftlich außenstehend gegolten haben oder sogar als religiös gefährlich erachtet worden sind.“[1]

Diesen „schwarzen Schafen“, die Mt 1,1-17 als Ahnfrauen Jesu präsentiert, widmet sich eine Ausstellung in der Freiberger St. Petri Kirche vom 1.12. bis 27.12.2023. Organisiert und konzipiert wird die Ausstellung durch Dr. Cornelia Aßmann und Paula Greiner-Bär, beide Mitarbeiterinnen an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt sowie Inga Maria Schütte, Mitarbeiterin des Gleichstellungsreferats an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Die Ausstellung befasst sich mit dem alttestamentlichen Hintergrund der im ersten Kapitel des Matthäusevangeliums erwähnten Frauen - Tamar, Rahab, Rut, Batseba - sowie deren Funktion im Stammbaum Jesu. Sie verdeutlicht mit den Frauennamen, dass Mt 1,1-17 keine historische Genealogie bietet sondern ein theologisches Programm für das Matthäusevangelium.[2] Die Namen rufen Frauenfiguren des Alten Testaments auf, die durch ihre Outsiderposition und ambivalente Darstellung in den Fokus exegetischer und aktueller Debatten geraten sind. Irmtraud Fischer[3] beispielsweise regt mittels der Rut-Figur Diskurse an wie: Frauenfreundschaften im Kontext des Zusammenlebens gleichgeschlechtlicher Paare, das Miteinander der Generationen, ein veränderter Blick auf (Wirtschafts-)Flüchtlinge.

Alle vier Frauen verbindet, dass sie als nicht-israelitische, fremde Frauen durch ihre Eigeninitiative das (Über-)Leben des Volkes Gottes – Israels – sichern.[4]

Die Kanaaniterin[5] Tamar täuscht ihren Schwiegervater Juda, indem sie sich als Prostituierte verkleidet. Auf diese Weise zeugt sie die notwendigen männlichen Nachkommen – Perez und Serach –, die den Namen ihres verstorbenen Mannes fortführen und damit den Fortbestand des Stammes Juda sichern sollen (Gen 38). Mit List kämpft sie „um das ihr zustehende Recht auf Zeugung eines Nachkommens.“[6]

Rahab, die zōnāh aus Jericho, rettet die israelitischen Kundschafter vor ihren Verfolgern und nimmt ihnen das Versprechen ab, dass sie und ihre Sippe bei der Eroberung Jerichos verschont bleiben (Jos 2,1-21). Sie sichert damit nicht nur das Überleben ihrer Familie, sondern ermöglicht so die Landgabe Gottes an sein Volk Israel.[7] Das Bild Rahabs als zōnāh – Prostituierte oder Wirtin[8]

„hat schon zu vielem gedient. Sie ist eine schillernde Gestalt zwischen klugem Arrangement mit dem Neuen und dem Opportunismus, zwischen Vorbildsein im Glauben und Verruchtheit.“[9] 

Egbert Ballhorn sieht in ihr ein Korrektiv, da die Fremde angesichts des Zauderns Israels gläubiger erscheint als das von Jhwh erwählte Volk.[10]

Rut symbolisiert gegenüber den ersten beiden Frauengestalten eine sich aufopfernde Schwiegertochter. Doch ihre moabitische Herkunft macht sie selbst nicht nur zur Fremden, sondern stellt sie „ferner mit dem sogenannten Moabiterparagraphen [vgl. Dtn 23,4] des deuteronomischen Gemeindegesetzes in Spannung, welcher die Aufnahme von Menschen aus Moab in die Gemeinde JHWHs verbietet.“[11] Rut ist damit eine religiös Gefährliche – wie Paul Buderer schreibt. Dennoch findet sie durch die Leviratsehe mit Boas einen Zugang zum Volk Israel und wird mittels der Geburt Obeds zur Großmutter Davids (Rut 4,17.21-22).[12]

Ähnlich wie Rut ist auch Batseba Teil der Genealogie des davidischen Könighauses. Durch die Geburt Salomos wird sie zur Königsmutter. Nachdem David mit ihr Ehebruch begeht und ihren Mann Urija ermorden lässt, nimmt er sie zur Frau (vgl. 2Sam 11). Ihr erstes gemeinsames Kind verstirbt, während ihr zweitgeborener Sohn Salomos durch Hofintrigen, in die Batseba involviert ist, zum Nachfolger Davids erhoben wird.  Die Deutung der Figur Batsebas reicht von einer Typisierung als Opfer männlicher Gewalt[13] bis hin zur Verführerin[14].

Im Stammbaum Jesu werden den ominösen Frauen drei Funktionen zugeschrieben. (1) Sie gelten als Sünderinnen, die zu Musterbeispielen des Glaubens werden.[15] (2) Als Nicht-Israelitinnen eröffnen sie einen Zugang zum Heil für Juden und Heiden.[16] (3) Mit ihrem Auftreten als starke Frauenpersönlichkeiten fordern sie ihre Rechte ein und schreiben so Geschichte.[17]

Über die vier Frauen wird ein personalisierter Zugang zu biblischen Texten und den mit ihnen verbundenen – bis heute teils brisanten – biblisch-sozialgeschichtlichen Fragestellungen geschaffen, der sich an ein religiös, christlich geprägtes Publikum ebenso wie an nicht-religiös gebundene, kulturell Interessierte richtet. Denn aufgrund voranschreitender Säkularisierungsprozesse sind selbst in einem christlich sozialisierten Milieu bibelkundliche Wissensbestände nicht mehr vorauszusetzen, sodass biblisch begründete Motive in der abendländischen Kunst, Literatur etc. immer weniger erkannt und verstanden werden.[18] Dem will die Ausstellung durch ein niederschwelliges Bildungsangebot begegnen.

Begleitend zur Ausstellung wird im WS 2023/2024 ein Studium Fundamentale mit dem Titel „Marginalisiert und dennoch stark. Was Man(n) von den Frauen im Stammbaum Jesu für gesellschaftliche und innerkirchliche Diskurse lernt“ angeboten, worin Studierende aller Studienrichtung Erfahrungen mit der Projektierung und Durchführung von Ausstellungen sowie dem Verfassen und Publizieren einer Ausstellungsbroschüre machen können.

 

[1]     Paul Bruderer, Die unerwarteten Frauen im Stammbaum von Jesus (22. Dezember 2019), URL: danieloption.ch/kultur/die-unerwarteten-frauen-im-stammbaum-von-jesus/ (abgerufen am 7.11.2022, 13.45 Uhr).

[2]     Vgl. Thomas Hieke (Frauen und Männer in Jesu Ahnengalerie: zur Genealogie Jesu bei Matthäus und Lukas, in: BiKi 66 (2011), 4-8, 4.

[3]     Vgl. Irmtraud Fischer, Rut (HThk.AT), Freiburg i. Br. 2001, 263-266.

[4]     Vgl. Dorothea Schwarzbauer-Haupt/Franz Kogler, Die Ahnfrauen Jesu. Tamar – Rahab – Rut – Batseba, Linz 2006, 10.

[5]     Vgl. Doris Reif, Mit Hilfe einer List zum Frauenrecht. Tamar (Genesis 38), in: Angelika Meissner (Hg.), Und sie tanzen auf der Reihe. Frauen im Alten Testament (STB 10), Stuttgart 1992, 30-42, 31.

[6]     A.a.O. 30.

[7]     Vgl. Ernst A. Knauf, Josua (ZBK.AT 6), Zürich 2008, 49.

[8]     Vgl. Renate Jost, Von »Huren und Heiligen«. Ein sozialgeschichtlicher Beitrag, in: Hedwig Jahnow u.a. (Hgg.), Feministische Hermeneutik und Erstes Testament, Stuttgart 1994, 126-137, 127.

[9]     Sabine Bieberstein, Gegen alte Gebundenheiten das tun, was frau für richtig hält, in: Angelika Meissner (Hg.), Und sie tanzen auf der Reihe. Frauen im Alten Testament (STB 10), Stuttgart 1992, 61-77, 61.

[10]   Vgl. Egbert Ballhorn, Israel am Jordan. Narrative Topographie im Buch Josua (BBB 162), Göttingen 2011, 490-491.

[11]   Fischer, Rut, 41.

[12]   Vgl. a.a.O. 61.

[13]   Vgl. Andrea Fischer, Königsmacht, Begehren, Ehebruch und Mord. Die Erzählung von David, Batseba und Urija (2Sam 11), Narratologische Analysen (Exegese in unserer Zeit. Kontextuelle Bibelinterpretation 26), Berlin 2019, 288-289 und Schroer, Samuelbücher, 166.

[14]   Vgl. Fritz Stolz, Das erste und zweite Buch Samuel (ZBK.AT 9), Zürich 1981, 236-237.

[15]   Vgl. Hieke, Frauen, 5.

[16]   Vgl. a.a.O. 6.

[17]   A.a.o. 7.

[18]   Vgl. Peter Müller, Schlüssel zur Bibel. Eine Einführung in die Bibeldidaktik, 2009 Stuttgart, 32-33.