Auch während des Osterfestes werden die Kirchen infolge der Corona-Pandemie leer bleiben. Eben diese menschenleeren, sakralen Räume seien “biblisch gesagt, ein Zeichen der Zeit”, befindet der tschechische Theologe Prof. Dr. Tomáš Halík. Der Ehrendoktor der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt sieht in den verschlossenen Kirchengebäuden “ein Zeichen Gottes” und “einen Aufruf” zu einer neuen Suche nach Christus. In einem Beitrag für die Online-Plattform theologie-und-kirche.de plädiert er außerdem für ein neues und “radikal erweitertes” Verständnis von Kirche.
Nach der Corona-Pandemie werde die Welt nicht mehr dieselbe sein wie zuvor, konstatiert Halík – “und offensichtlich soll sie auch nicht mehr dieselbe sein.” Die Zeit der verschlossenen Kirchen könne für die katholische Kirche ein “warnender Blick durch das Fernrohr in eine verhältnismäßig nahe Zukunft” darstellen: “So könnte das in ein paar Jahren in einem Großteil unserer Welt aussehen”, warnt der Theologe. Dabei zeige die Zeit der leeren Gotteshäuser der Kirche auch symbolisch ihre eigene “verborgene Leere” sowie eine mögliche Zukunft, die eintreten könne, sollten die Kirchen nicht ernsthaft versuchen, der Welt “eine ganz andere Gestalt des Christentums” zu präsentieren. Halík ruft daher zu einer Reform auf und appelliert, “das jetzige Fasten von den Gottesdiensten und vom kirchlichen Betrieb als einen kairos” anzunehmen, “als eine Zeit der Gelegenheit zum Innehalten und zu einem gründlichen Nachdenken vor Gott und mit Gott.”
Insbesondere kritisiert der Wissenschaftler dabei auch den bisherigen Austausch der Kirchen mit Nicht-Gläubigen (oder auch “Suchenden”): “Zu sehr waren wir darauf bedacht, dass die ‘Welt’ (die anderen) umkehren müsste, als dass wir an unsere eigene ‘Umkehr’ gedacht hätten”, mahnt Halík. Die Befreiungstheologie lehre, dass Christus bei den Menschen am Rande der Gesellschaft zu suchen sei, erinnert er weiter. Jedoch sei eine solche Suche auch bei jenen notwendig, die von der Kirche marginalisiert werden. “Wir müssen unsere proselytischen Absichten ablegen”, fährt er fort zu erläutern. “Wir dürfen deshalb in die Welt der Suchenden nicht eintreten, um diese schnellstmöglich zu ‘bekehren’ und sie in die bestehenden institutionellen und mentalen Grenzen unserer Kirchen einzuengen.” Stattdessen müssten Kirche und Theologie “die Grenzen unseres Verständnisses von Kirche radikal […] erweitern.”
Der aktuelle Ausnahmezustand aufgrund von Covid-19 und die damit verbundene (Neu-)Gestaltung kirchlichen und geistlichen Lebens könne hierbei ein Hinweis auf eine “neue Form der Kirche” sein.
Prof. Dr. Tomáš Halík ist Professor für Soziologie an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Prag sowie römisch-katholischer Priester. 1978 hatte er in Erfurt die geheime Priesterweihe empfangen. Seit 2014 ist er außerdem Ehrendoktor der Universität Erfurt. Am 21. Oktober 2019 ist Tomáš Halík in der deutschen Botschaft in Prag mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet worden.