“Um uns ist und wird es dunkel, und Finsternis bedeckt die Erde”, befindet Prof. Dr. Dr. Thomas Johann Bauer, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, über die aktuelle weltpolitische Lage. In seiner Ansprache anlässlich der Eröffnung des neuen Wintersemesters wandte sich Bauer insbesondere an alle Studienanfängerinnen und -anfänger. Er formulierte die Hoffnung, sie mögen zu “Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wahrheit werden und zu mutigen Streiterinnen und Streitern mitten in der Finsternis des Irrtums und der Lüge.” Bauer verwies dabei sowohl auf politischer als auch auf kirchlicher Bühne auf Strukturverfall und akuten Reformbedarf.
von Desiree Haak
Der Dekan prangerte einen gesellschaftlichen Wandel an, der zunehmend von Abschottung und mangelndem Mitgefühl geprägt werde: “Dunkel und finster ist es, weil die Solidarität zwischen den Völkern schwindet und Ordnungen und Systeme, die dem Ausgleich, dem Zusammenwachsen und der Verständigung zwischen den Völkern dienen sollten, leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Um uns droht die Europäische Union an einem neu erwachten Nationalismus und am wachsenden Egoismus der europäischen Völker zu zerbrechen.” Dass diese Entwicklung unter einer kulturellen und religiösen Verklärung des Bildes vom “christlichen Abendland” geschehe, bezeichnete Bauer als “paradox”. Schließlich sei das “christliche Abendland” selbst das Produkt von mehr als nur einer kulturellen und religiösen “Überfremdung”.
Auch innerkirchlich übte Bauer massive Kritik: “Erschrecken, Entsetzen und tiefste Scham muss über einen kommen, wenn man auf das blickt, was uns die letzten Wochen, Monate und Jahre darüber offenbart haben, was über Jahrzehnte in allen Teilen der Welt durch die Kirche und in der Kirche geschehen ist. Angesichts des gewaltigen Ausmaßes an sexueller Gewalt gegen Minderjährige und Schutzbefohlene, angesichts des Ausmaßes von Machtmissbrauch durch kirchliche Amtsträger, angesichts einer Kultur des Verschweigens und des Vertuschens, angesichts der unendlichen Größe des Leids, das unzählige Menschen in der Kirche durch zahlreiche Amtsträger und durch viele Christinnen und Christen erfahren haben, kann man es nicht verdenken, wenn eine kritische Öffentlichkeit, nicht nur Opfer, offen und anklagend danach fragt, welche Berechtigung der Existenz Kirche heute überhaupt noch hat, noch haben kann und haben darf”, resümierte er. “Die Erklärungen für das Grauenvolle, das in der Kirche und durch die Kirche geschehen ist, sind vielfältig. Erklärungen und Differenzierungen mögen nötig sein. Sie dürfen aber nicht dazu führen, dass am Ende niemand mehr schuld ist.”
Kirche bestehe immer auch aus Sünderinnen und Sündern, erklärte Bauer weiter. Dennoch zeigten die jüngsten Ereignisse, dass sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch in der Kirche mehr seien als nur individuelle Vergehen einzelner Mitglieder und Amtsträger. “Es gab und gibt auch so etwas wie eine Struktur des Versagens oder eine strukturelle Sünde in der Kirche. Das geht uns alle an, weil wir alle Glieder der Kirche sind, weil wir Kirche sind.” Kirche brauche ein “echtes und aufrechtes mea culpa”, forderte der Theologe. Ein solches mea culpa sei die notwendige Voraussetzung für eine wahre Reform der Kirche. Wahre Reform bedeute dabei aber auch immer “reformatio in capite et in membris”, also eine Umkehr und Erneuerung an Haupt und Gliedern.
Damit betonte Bauer die Pflicht aller, gemeinsam auf eine Strukturerneuerung hinzuwirken: Jede und jeder einzelne sei dazu angehalten, sich zu erneuern und umzukehren, “damit die Kirche neu wird und die Kirche ihrer Sendung und ihrem Auftrag genügen kann, dass sie Hilfe, nicht Hindernis für alle Menschen auf dem Weg zu ihrem Ziel und ihrem Glück ist.”
Prof. Dr. Dr. Thomas Johann Bauer ist Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments an der Universität Erfurt. Er steht der Katholisch-Theologischen Fakultät seit Juli 2017 als Dekan vor.