Die Erklärung „Fiducia supplicans“[1] (FS) vom 18.12.2023 ist in einigen Teilen der Weltkirche sehr positiv aufgenommen worden. In anderen traf sie auf harsche Ablehnung. Zustimmung und Kritik gründeten auf der gleichen Annahme, dass FS eine Korrektur der bisherigen katholischen Sexualmoral initiieren, mittelfristig vielleicht sogar die katholische Ehe für alle öffnen könnte.
Kritik von rechts kam vor allem von Bischöfen aus Afrika, Osteuropa und den USA. Aber auch unter Priestern in Spanien und Frankreich formiert sich Widerstand. Katholische Identität wird hier formal durch Stagnation (keine Änderung der Lehre, niemals!) und inhaltlich durch homo-negativity (vorgeblich im Namen Gottes) bestimmt. Widerspruch gegen FS gilt in diesen Kreisen deshalb als Beweis katholischer Rechtgläubigkeit.
Dieser offene Dissens zum päpstlichen Lehramt bewog das Dikasterium für die Glaubenslehre dazu, sich binnen zwei Wochen erneut zur Sache zu äußern. Die Pressemitteilung (P)[2] betont, was schon in FS steht: dass die Erklärung dogmatisch gänzlich folgenlos bleibt.
Ausführlich wird wiederholt, was ein kirchlicher Segen über Paare in „irregulären“ Situationen alles nicht sein soll: „keine Weihe“ (P4, gemeint ist wahrscheinlich: keine sakramentale Trauung), „keine Rechtfertigung“ oder „Bestätigung für das von ihm (dem Paar) geführte Leben“ (P4), „keine Absolution“ (P6) für die Sünde, ohne (kirchlichen) Trauschein Sex zu haben, keine Anerkennung, keine Wertschätzung, kein Glückwunsch (P6). Nichts dürfe den Anschein erwecken, es würde eine Trauung (light) gefeiert. Der „Segen“ soll inhaltlich vage bleiben und formlos und spontan in „10 oder 15 Sekunden“ (P5) erfolgen. Denn es gehe „lediglich um die Antwort eines Hirten auf die Bitte zweier Menschen um Gottes Hilfe“ (P5).
Diese Menschen kommen auch nach FS als Bittsteller und Sünder. Und sie gehen als Bittsteller und Sünder.
Kein großes Ding also, kein Grund zur Sorge, dass „mit diesen Segnungen … die Welt untergeht“[3], so der Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre. Das stimmt: Von diesem kleinen Segen geht die (katholische) Welt nicht unter. Aber damit kommt sie auch nicht weiter. In Deutschland wurde im März 2023 die offizielle Einführung von Segensfeiern beschlossen.[4] In verschiedenen Bistümern und Netzwerken arbeiten Theolog:innen, Liturg:innen und Seelsorger:innen längst an konkreten Formularen. Sie werten praktische Erfahrungen aus, die es längst gibt. Im Vergleich dazu ist der „Segen to go“, den FS nun weltkirchlich erlaubt, ein erheblicher Rückschritt.
Erklärung und Debatte sind allerdings aufschlussreich dafür, wie Kirchenentwicklung im Pontifikat von Franziskus geht bzw. was realpolitisch möglich ist. Entwicklungsimpulse setzten in FS weder theologische noch zeitgenössische Erkenntnisse. Im Gegenteil. Die Ekklesiologie der Erklärung ist traditionell, das Sakramenten- und Liturgieverständnis altbacken. Seelsorge wird ausgesprochen paternalistisch konzipiert. Die weltweiten kulturellen und politischen Entwicklungen zugunsten der Gleichstellung von LGBTIQ Personen sind nicht der Rede wert. Es fällt kein einziges selbstkritisches Wort zur kirchlichen Sexuallehre. FS ist theologisch ein Armutszeugnis und seelsorglich eine Zumutung.
„Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“[5], betonte Franziskus zwar zum Auftakt seines Pontifikats. Die Realität dürfe nicht ideologisch bezwungen werden. Das war wegweisend. Aber die Umsetzung klappt nicht. Das wird mit FS wieder deutlich. Denn Franziskus bricht das ideologische Gerüst der Kirche und ihrer Morallehre nicht auf. Er will kirchliche (Un-)Kulturen verändern, ohne Hierarchie und Morallehre anzutasten. Vormalige „Kontrolleure der Gnade“[6] sollen zu weitherzigen Hirten werden und moralinsaure Kleriker sich seelsorglich etwas lockerer machen. Aber eine Revision kirchlicher Ämter und Strukturen kommt nicht in Frage.
Das reicht nicht. Dafür ist die Kirchenkrise zu gravierend, der Vertrauensverlust zu groß. Es reicht auch nicht, queeren Paaren im Vorbeigehen einen Segen zu gönnen. Dafür ist die kirchliche Schuldgeschichte ihnen gegenüber zu gewaltig.
FS war kein (Weihnachts-) „Geschenk an das gläubige Volk Gottes“ (FS), keine angemessene Antwort auf das „flehende Vertrauen“ von Katholik:innen, die aufgrund ihrer sexuellen Identität oder ihrer Entscheidung für einen geliebten Menschen von ihrer Kirche verurteilt und ausgeschlossen werden. Denn daran soll die Erklärung ja nichts ändern. Sie ist genau deshalb kein Grund zum Jubel, weil sie für diejenigen, die katholische Identität gegen die gleiche Würde aller Menschen profilieren, kein Grund zur Sorge sein soll.
[1] www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_ddf_doc_20231218_fiducia-supplicans_ge.html
[2] www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_ddf_doc_20240104_comunicato-fiducia-supplicans_ge.html
[3] www.katholisch.de/artikel/50256-drohbriefe-an-glaubenspraefekten-wir-werden-sie-vernichten
[4] www.synodalerweg.de/fileadmin/Synodalerweg/Dokumente_Reden_Beitraege/beschluesse-broschueren/SW13-Handlungstext_Segensfeiern-fuer_Paare-die-sich-lieben_NEU.pdf
[5] Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (2013), Nr. 213ff: https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium.html
[6] Ebd., Nr. 47.
Von den Erläuterungen des Glaubensdikasteriums vom 4. Januar 2024 zur Erklärung „Fiducia supplicans“ hätte man sich Klarheit in einem Vorgang versprochen, den man gerne verstehen würde. Von den Erläuterungen (E) zum Segen für – nach Meinung der Kirchenleitung – irregulär lebende Paare kann man das leider beim besten Willen nicht sagen. Was schnell deutlich wird und schon in der Erklärung „Fiducia supplicans“ (FS) eingeschärft wurde: Ein Segen gleichgeschlechtlicher Paare wie nach einer Scheidung erneut Verheirateter ist zwar möglich, darf aber nicht mit einer Trauung verwechselt werden. Deshalb müssen sich solche „Segnungen aus pastoraler Fürsorge“ (E 5) von Liturgie und Ritual unterscheiden und en passant vollzogen werden, denn das Kirchenvolk ist offensichtlich leicht zu verwirren – was für eine Einschätzung der Gläubigen, was für ein Umgang mit Menschen.
Wie hat man sich eine nichtrituelle Segnung vorzustellen? Ein einfaches Gebet und ein Kreuzzeichen, also doch wohl ein Segensgestus, müssen genügen, sagen die Erläuterungen. Was wäre weniger Ritual als ein Segensgestus? Und was weniger ritualisiertes Sprechen als ein Gebet, das mit verschiedenen Anliegen an Gott gerichtet ist? Es gibt keinen Segen, der nicht in irgendeiner Weise Ritual ist. Da hilft es auch nicht, diesen Segen als eine „Angelegenheit von 10 oder 15 Sekunden“ (E 5) zu deklarieren, also als etwas, das schnell abgetan ist. Wie passt dieser Speed-Segen zur pastoralen Fürsorge, dem Anliegen des Papstes? (FS 13)
Der ‚Segen‘ zeugt nicht von wertschätzendem Umgang mit Menschen, die um den Segen für ihre Lebensbeziehung bitten. Er ist peinlich, einer Kirche und der Menschen unwürdig.
„Fiducia supplicans“ kennt offensichtlich zwei „Arten“ von Segen, den absteigenden: vom Gott zum Menschen und den aufsteigenden: vom Menschen zu Gott (FS 15). Die Erklärung hält diese theologisch fragwürdige Unterscheidung aber nicht durch. Wenig später wird deutlich, dass göttliche Gabe und menschliche Danksagung Teil eines komplexen Geschehens und gleichsam, theologisch einzig sinnvoll, zwei Seiten einer Medaille sind. Das konnte man bereits besser im Benedictionale Romanum von 1984 und zuvor im deutschsprachigen Benediktionale von 1978 lesen. Wo jetzt von manchen die angeblich dichte und bereichernde Segenstheologie in „Fiducia supplicans“ bejubelt wird, sei die Lektüre der beiden liturgischen Bücher empfohlen – von theologischer Literatur ganz abgesehen.
Je länger man liest, umso weniger überraschend ist, welch „einfaches Gebet“ die Erläuterungen anbieten (E 5). Wo um alles in der Welt findet man dort den Segen? Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Es mag als Pedanterie abgetan werden, aber beim als Mustertext mitgegebenen Gebet handelt es sich um ein schlichtes Bittgebet. Von Segen ist dort gar nicht die Rede, dafür vom „Kreuzzeichen über einen jeden von ihnen“ (E 5). Man mag einwenden, wenn es um pastorale Fürsorge gehe, seien das alles Petitessen. Doch wenn nach beiden Texten der Segen Gottes für die Menschen theologisch und spirituell so gewichtig sein soll, muss erwartet werden dürfen, dass dieser Segen stimmig dargelegt und kraftvoll zum Ausdruck kommt. Die liturgischen Bücher bieten theologische Qualitätsmaßstäbe an, die nicht unterboten werden dürfen. Wieso übrigens ein Segen als „Weiheakt“ (E 6) verstanden werden könnte, bleibt theologisch ein Rätsel.
Damit der Irritation nicht genug. Dieser „spontane Segen“ (FS 38) verlangt „keine vorherige moralische Vollkommenheit“ (FS 25) und ist „keine Bestätigung der Lebensführung“ (E 6) der zu Segnenden. Das wird offensichtlich als pastorale Innovation verstanden. Aber was bedeutet das im Umkehrschluss für den „liturgischen“ Segen, was bedeutet es für andere Formen der Liturgie? Setzen sie etwa den vollkommenen Menschen voraus? Man kommt aus dem Staunen nicht heraus.
Geht es den Texten überhaupt um den Segen eines Paares? Kein Mal ist mit Blick auf die Paare von Liebesbeziehung die Rede, so sehr dominiert die Fixierung auf die Irregularität.
Was der deutsche Synodale Weg darunter versteht, ist jedenfalls nicht gemeint. Nimmt man das Beispielgebet beim Wort, soll u. a. um Gesundheit, Arbeit und Frieden gebetet werden. Das Kreuzzeichen wird über jede Person einzeln gezeichnet. Das hat mit einer Paarsegnung nichts zu tun.
Eines muss positiv hervorgehoben werden, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber nach den Reaktionen aus Teilen der katholischen Kirche auf FS wohl nicht: Die Erläuterungen treten ein für den Schutz Homosexueller vor Gewalt, denen in einigen Ländern sogar die Todesstrafe droht. Sie fordern die „Verteidigung der Menschenwürde“ (FS 3). Aber kann man dann eine solch diskriminierende Weise des Segens propagieren? Auch das gehört zu den ärgerlichen Fragen, die die Erläuterungen provozieren.