Paula Josephine Greiner-Bär ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Exegese und Theologie des Neuen Testaments. Seit Beginn der Pandemie war sie an der Planung und Durchführung verschiedener Gottesdienste beteiligt. In diesem Interview teilt sie ihre Erfahrungen.
Wann haben Sie die ersten Erfahrungen mit der Organisation von Gottesdiensten unter Pandemie-Bedingungen gemacht? Gibt es etwas, was Sie heute wissen, das Sie damals gerne schon gewusst hätten?
Der erste Gottesdienst, an den ich mich erinnern kann, in dem irgendwie etwas anders war als sonst, war der Eröffnungsgottesdienst zur Misereor-Fastenaktion Anfang März 2020 im Erfurter Dom. Das Virus war schon in den Medien präsent, aber es konnte noch keiner so richtig ahnen, was da auf uns alle zukommt. Die Weihwasserbecken waren schon leer und die Kommunionspender:innen desinfizierten sich vor der Austeilung des Leibes Christi die Hände. Sonst war alles noch recht normal.
Und dann kam Ostern - irgendwie. Ein gewisser Kraft- und Balanceakt zwischen Ohnmacht, Hilflosigkeit und dem Versuch die Osterbotschaft zu den Menschen zu bringen. Es durfte kaum noch jemand in die Kirchen kommen – zumindest nicht in den Zahlen, wie es viele gewohnt waren; Kirchentüren blieben vor allem sonntags geschlossen oder es wurde in ganz kleinen Kreisen unter den Mitarbeitenden an den jeweiligen Kirchorten gefeiert. Aus vielen Kirchen und Gemeinden wurden die liturgischen Feiern der Kar- und Ostertage gestreamt. In den pastoralen Gemeindegremien wurde abgewägt, was gehen kann und was nicht. Wer darf kommen? Wer steht oder sitzt wo? Ich habe die ersten Pandemiewochen, vor allem um die Osterzeit zunächst als eine physische Platzfrage der Menschen im realen und virtuellen Kirchenraum erlebt und weniger als zum Beispiel das Ringen um das Verständnis von Eucharistie über das kleine Stück Brot allein in den priesterlichen Händen hinaus oder die Diskussion um die Gleichwertigkeit einer geistigen Kommunion.
Im Frühsommer 2020, als liturgische Feiern dann in den Kirchen mit Gemeinde wieder möglich waren, galt es und gilt es bis heute, die gesellschaftlichen Regelungen und Hygiene-maßnahmen auch in den Kirchen umzusetzen. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut.
Für mich persönlich bedeutete der Corona-Einschnitt, dass ich nicht mehr ministrieren und die Kommunion spenden konnte, also dass ich zunächst keine liturgischen Dienste mehr übernommen habe. Die Priester haben alles allein gemacht. Es war schon komisch, nicht mehr auf diese Art am liturgischen Geschehen teilzuhaben. Vielen wird es sicher ähnlich gegangen sein.
Man hört immer wieder, dass Gottesdienst mehr ist als Liturgie. Vielleicht habe ich das in den sommerlichen Pandemie-Wochen zum ersten Mal richtig erlebt. Der Dienst ging dann zum Beispiel vor der eigentlichen liturgischen Feier los, indem ich die Kontaktnach-verfolgungslisten geführt habe und den Mitfeiernden die jeweils geltenden Hygienemaß-nahmen und Sitzordnungen mitgeteilt habe.
Mein Blick auf die Frage, was Gottesdienst ist, hat sich sehr verändert und die Frage nach dem physischen Platz im Kirchenraum ist in den Hintergrund gerückt.
Vielleicht hätte ich das gern vor zwei Jahren gewusst – dann hätte ich im Pfarreirat und als aktives Gemeindemitglied manche Entscheidung im Bezug auf die Organisation von Gottesdiensten unter Pandemie-Bedingungen möglicherweise in einer gewissen Leichtigkeit, die mir doch manchmal in den letzten Monaten abgeht, besser oder zumindest anders mittragen können.
Was stellt Ihrer Erfahrung nach bei der Planung und dem Feiern von Gottesdiensten unter Pandemie-Bedingungen die größte Herausforderung dar?
So, wie ich es erlebt habe bzw. erlebe, ist eine große Herausforderung, die Bedürfnisse der Menschen zumindest wahrzunehmen. Dass man nicht allen gerecht werden kann, war auch vor der Pandemie nicht anders. Aber die Gefahr ist doch sehr groß geworden, dass die Anliegen und die Bedürfnisse, in denen Menschen Liturgie bzw. Gottesdienst feiern, bei all der Planung und der Einhaltung von Hygiene- und Schutzmaßnahmen, die unbedingt notwendig sind, aus dem Blick geraten. Und dieses Erleben zeigt sich für mich auch hin und wieder an unserer Fakultät. Und gerade deshalb ist es wichtig, dass wir als Fakultät in verschiedenen liturgischen Formen auch immer wieder gemeinsam das bzw. DEN feiern, womit wir uns täglich wissenschaftlich auseinandersetzen.
Eine weitere große Herausforderung ist sicherlich auch die Leute „am Ball“ zu halten. Abzuwägen, wie die vielen Talente und das Engagement eingesetzt werden können, auch wenn manches momentan nicht in der gewohnten Art und Weise gehen kann. Eine wichtige Frage ist dabei für mich immer, wie möglichst viele, mit dem was sie gut können oder ihnen Freude macht, einbezogen werden können. Das kreative Potential ist auf jeden Fall da, manchmal fehlt es aber eben ein bisschen an Mut und Leichtigkeit. Was nicht heißen soll, dass wir es uns zu leicht machen sollten.
Und welche Herausforderung die beiden eben erwähnten auf eine gewissen Weise in sich vereint, ist die Frage nach der Digitalisierung in Bezug auf Gottesdienst und Gemeindeleben auf vielen Ebenen. Da geht es los mit der Anmeldung zu den liturgischen Feiern über ein Anmeldeformular auf den Homepages der Pfarreien und Kirchorte. Dann stellt sich die Frage, ob die Pfarrei einen eigenen Zoom-Account braucht, damit der Kurs zur Vorbereitung auf die Firmung auch digital per Video-Konferenz stattfinden kann. Sollen liturgische Feiern gestreamt werden und wenn ja, mit welcher Ausstattung? Wie kriege ich das Internet für den Stream in die Kirche? Das sind einige wenige der Fragen, die wir uns vor zwei Jahren noch gar nicht oder nicht in der Dringlichkeit gestellt haben. Vielleicht ist es auch genau diese Dringlichkeit, die herausfordert.
Welche Aspekte eines Gottesdienstes in Präsenz fehlen Ihrer Meinung nach bei einem Online-Gottesdienst am meisten oder sind nur sehr schwer abbildbar?
Ein Gottesdienst, oder sagen wir in dem Fall tatsächlich besser eine liturgische Feier, hat verschiedene Dimensionen, von denen sie lebt. Das sind visuelle, akustische, haptische, aber auch emotionale und soziale Dimensionen. Ich denke, dass sich alle objektiv wahrnehmbaren Eindrücke und Dimensionen, wie Musik – z.B. das Kirchenlied, das ich zu einer bestimmten Zeit im Kirchenjahr besonders gern singe, das Hören von Texten, das Bild vom geschmückten Kirchenraum, der Weihrauchdampf, die brennende Kerze und sogar eben die Bedeutung des gewandelten Stück Brotes in den Händen der Menschen auch in digitalen Formen von Liturgie bzw. Online-Gottesdiensten auf die ein oder andere Weise abbilden lassen. Dazu gibt es verschiedene gute Möglichkeiten. Auch in der Frage nach der Partizipation der feiernden Gemeinde. Auch auf der emotionalen Ebene lassen sich Menschen von diesen digitalen Gottesdiensten und Liturgien ansprechen.
Was sich jedoch nur schwer abbilden lässt, ist die soziale Dimension. Das tatsächliche Miteinander-Feiern.
In gestreamten Gottesdiensten im virtuellen Kirchenraum findet ab und zu über die Kommentar- und Chatfunktion ein gewisser Austausch statt. Aber der freundliche Blick beim gegenseitigen Wunsch des Friedensgrußes fehlt. Das Gespräch vor und nach dem Gottesdienst auf dem Kirchhof ist – und das teilweise auch in Gottesdiensten vor Ort im realen Kirchenraum (und ja, ich sträube mich irgendwie davor, von Präsenzgottesdiensten zu sprechen, weil wir dann fragen müssen, von wessen oder über welche Präsenz wir sprechen) – verschwunden. Die einzelnen Schicksale der Menschen spielen im Digitalen nicht mehr dieselbe Rolle. Ich sehe nicht, wie es dem oder der anderen geht, der:die neben mir in der virtuellen Kirchenbank, sprich zu Hause auf dem Sofa, sitzt. Aber gerade das zu sehen und wahrzunehmen ist auch Gottesdienst.
Fragen und Redaktion: Sophie v. Kalckreuth