Erfahrungen in der COVID19-Pandemie zwingen nicht nur Christ:innen immer wieder zur Auseinandersetzung mit der Gottesfrage. Eigenes und fremdes Leid, Krankheit und Tod von Schwachen und Hilfsbedürftigen stell vor die Frage, ob es überhaupt einen Gott gibt und was der Glaube an Gott nutzt, wenn er in der Bedrohung des eigenen Lebens nicht zu retten vermag. Manchmal genügt bereits die Erfahrung, in der eigenen Lebensgestaltung und in der Suche nach Sinn und Glück im eigenen Leben eingeengt zu sein, die Frage nach der Existenz Gottes und der Sinnhaftigkeit und dem Nutzen des Gottesglaubens zu stellen. Wo die Existenz eines Gottes angesichts der Erfahrung von Leid und Tod nicht geleugnet wird, drängt sich zumindest die Frage nach seinem Wesen auf. Kann Gott gut sein, wenn in der aktuellen Pandemie gerade die Schwächsten Krankheit bis hin zum Tod ausgeliefert sind? Oder ist dieser Gott einfach zu schwach, die Menschen aus ihrer Not zu retten und Unglück von denen, die auf ihn hoffen, abzuwenden?
Solche Fragen sind nicht neu. Die COVID19-Pandemie ruft zentrale und grundlegende Fragen der Theologie in Erinnerung und konfrontiert mit der Frage, ob Theologie und Kirche nicht zu schnell und unüberlegt von Gott als gut und allmächtig sprechen.
Ein radikaler und konsequenter Monotheismus, wie er im Christentum, aber auch im Judentum und im Islam vertreten wird, zwingt zur Auseinandersetzung mit der Frage nach dunklen und schrecklichen Zügen im Bild oder sogar Wesen Gottes. Wenn Gott einer und einzig ist und es neben ihm kein anderes gleich mächtiges Prinzip gibt, und wenn in seinem Willen alles, was geschieht, begründet ist, ist er dann nicht auch für alles Böse in Welt und Geschichte verantwortlich? Neuere systematische Reflexionen zu Gott und seinem Wesen haben deshalb die Frage gestellt, ob Gott allmächtig sein kann und darf, wenn er gut sein soll.
Das aktuelle Heft der „Theologie der Gegenwart“ möchte deshalb den Blick auf problematische und schwierige Aspekte lenken, die mit dem Gott der biblischen und christlichen Tradition verbunden sind – Aspekte, die in theologischen Diskursen wie in der Verkündigung der Kirche(n) oft nicht hinreichend beachtet oder beschämt verschwiegen werden. Das Dunkle und Schreckliche an Gott konfrontiert jedoch mit der Frage nach dem Gottesbild und Gottesbegriff, und damit mit der Frage nach einer angemessenen Rede von Gott. Die Auseinandersetzung mit dunklen und schrecklichen Aspekten Gottes im biblischen und christlichen Zeugnis lässt fragen, ob es nicht eine Tendenz gibt, zu menschlich von Gott zu denken und zu reden, Gott zu verharmlosen und zu bagatellisieren und ihn damit letztlich belanglos zu machen.
Der Neutestamentler und Klassische Philologe Thomas Johann Bauer (Erfurt), reflektiert, angeregt durch die aktuelle COVID-19-Pandemie, unter der Überschrift „Dem Sinnlosen Sinn geben? Die Gottesfrage in der Krise von Pandemie und Krankheit“ schwierige und erschreckende Aspekte des Gottesbildes in der Darstellung und Deutung von Seuchen in den biblischen Schriften und in der Literatur von der Antike bis zur Gegenwart. Er zeigt, dass Fragen, wie sie sich in der aktuellen Krise auftun, bereits in der biblischen Überlieferung gestellt wurden und seit der Antike auch die abendländische Kulturgeschichte bestimmen. Die biblische wie auch die abendländische Überlieferung konfrontiert die Menschen dabei immer wieder mit einem dunklen und erschreckenden Gott und mit der Erfahrung von Absurdität und Sinnlosigkeit in Welt und Geschichte.
Die Dogmatikerin Veronika Hoffmann (Fribourg/CH) analysiert und diskutiert in ihrem Beitrag „Hat Gott dunkle Seiten? Der gewalttätige Gott des Buches Josua als ;Testfall‘“ das Gottesbild der Landnahmeüberlieferung im Buch Josua mit Blick auf die problematische Verbindung des göttlichen Handelns mit massiver Gewalt. Sie stellt die Frage, wie man mit einem Text umgehen soll, der so offensichtlich das Bild eines gewalttätigen Gottes zeichnet, zumal wenn diesem Text als Teil des biblischen Kanons eine besondere Dignität als normatives und inspiriertes Zeugnis zukommt. Sind dunkle Seiten und Züge einfach als Teil des biblischen Gottes zu akzeptieren, weil ein Gott angenommen und propagiert wird, der die gesamte Wirklichkeit in ihrer Ambivalenz umfängt und trägt? Oder kann, darf und muss gegen ein biblische Gottesbild, wie es im Buch Josua aufscheint, in Kirche und Theologie nicht begründet Widerspruch erhoben werden?
In einem zweiten Beitrag mit dem Titel „Abseits von Güte und Liebe. Dunkle und erschreckende Züge neutestamentlicher Gottesbilder“ zeigt Thomas Johann Bauer (Erfurt), wie wenig sich auch der Gott der neutestamentlichen Schriften auf Aspekte wie Güte und Liebe reduzieren lässt. Dunkle und erschreckende Züge finden sich auch dort, wo von der heilvollen und erlösenden Zuwendung Gottes zu den Menschen in Jesus Christus die Rede ist, da Heil und Erlösung um den Preis des Lebens des Menschen Jesus von Nazaret erkauft und bewirkt werden. Die Rede von Gott bei Paulus schließt im Blick auf sein erlösendes und rettendes Handeln auch den Verweis auf Allmacht und Souveränität bis hin zur absoluten Freiheit und Willkür ein. Vor allem aber ist und bleibt der neutestamentliche Gott der zornige und strenge Richter, der mitunter sogar unbarmherzig Rache und Vergeltung übt.
Alle drei Beiträge erinnern daran, dass auch der biblisch-christliche Gott ein Geheimnis bleibt und dass menschliches Reden und menschliche Begriffe nie mehr als eine Annäherung an das Geheimnis Gottes sein können. Die biblischen Schriften und ihr Zeugnis von Gott können hier nicht ausgenommen werden.
Weitere Beiträge im Heft
Ergänzt wird das Heft durch zwei weitere Beiträge. Der Philosoph und Theologe Thomas Brose (Berlin) stellt den im vergangenen Jahr verstorbenen Schriftsteller Günter de Bruyn vor und würdigt ihn als katholischen Intellektuellen der DDR. Der Liturgiewissenschaftler Stephan Winter (Tübingen) bespricht die 2019 in Bonn abgeschlossene Dissertation von Wolfgang Meurer zu Genese, Theologie und Praxis der Wort-Gottes-Feier, wie sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil angeregt, aber in der Praxis der Kirche noch immer zu wenig realisiert wird.
Thomas Johann Bauer