Gender lernen – Perspektiven für Theologie und Kirche

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Kirchenfassade mit weiblichen Statuen
Notizen zum Workshop Gender in Theologie und Kirche

Mit dem Ziel der Sensibilisierung für die Anliegen aktueller Gender-Diskurse und einer Qualifizierung im Bereich der Gender-Studies veranstaltete die Professur für Exegese und Theologie des Neuen Testaments im Rahmen der Frauenförderung und Gleichstellung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt vom 29.09.-01.10.2021 einen digitalen Workshop mit dem Titel „Gender in Theologie und Kirche“.

Gender und die Gender-Studies beeinflussen und prägen die öffentlichen Diskurse immer mehr auf vielfältige Weise, weshalb auch von Theolog:innen in der wissenschaftlichen Arbeit und in der kirchlichen Praxis eine solide Kompetenz in diesem Bereich erwartet werden kann.

Schnell wurde deutlich, dass es sich bei den Gender-Studies um einen Sammelbegriff verschiedener Ansätze und Gebiete handelt, die ein plurales trans- und interdisziplinäres Forschungsfeld aufspannen. Zudem besteht ein Zusammenhang zwischen den Gender-Studies und der feministischen Bewegung der 60er Jahre, wie Irina Gradinari, Junior-Professorin für literatur- und medienwissenschaftliche Genderforschung an der Fern-Universität Hagen ausführte. Gemeinsam mit Frau Gradinari haben sich die Teilnehmer:innen mit Texten von Michel Foucault, französischer Philosoph und Begründer der macht- und wissenstheoretischen Diskursanalyse, und Judith Butler, US-amerikanische Philosophin und Wissenschaftlerin im Bereich der feministischen und Queer-Theorie, befasst.

In der sog. Performativitätstheorie beschreibt Butler Gender als „Tun“ und damit als (wiederholbare) Praxis (doing gender). Gender muss also durch die je einzelnen Subjekte hervorgebracht werden. Eine Unterscheidung in Sex als biologisches Geschlecht und Gender als sozio-kulturelle Bestimmung der Geschlechterdifferenz und Geschlechterrollen ist dabei unabdingbar.

Auch im Vortrag von Claudia Paganini, Professorin für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München, zeigte sich, dass Gender keine analytisch isolierte Kategorie ist, sondern dass sie als Deutungskategorie in vielen wissenschaftlichen Bereichen die Genderdebatte einbringt. Nicht zuletzt in den Naturwissenschaften, wie Kerstin Palm, Biologin und Professorin für Gender und Science am Institut für Geisteswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, in den Diskurs des Workshops einbrachte. Mit der Frage, ob der Geschlechtskörper aus naturwissenschaftlicher Sicht (k)eine Grundlage für eine gesellschaftliche Geschlechtsordnung sei, betonte Frau Palm, dass ein biologischer Körper als Analyse-Objekt immer in einen sozial-kulturellen Kontext situiert werden muss. Zentral für biologische Verkörperungstheorien seien dabei die entwicklungsbiologische Auffassung von einer eigenlogisch sich selbst gestaltenden lebenden Materie. Der (Geschlechts-)Körper müsse also immer in einem bestimmten Kontext gelesen werden.

Dass diese Kontextualisierung des Menschen und seines Körpers auch einer philosophischen Differenzierung bedarf und in dieser Differenzierung vor allem der Begriff der Objektivität zentral ist, war Inhalt des Beitrages von Brigitte Buchhammer, Philosophin mit den Schwerpunkten Religionsphilosophie, Gender- und Feministische Philosophie. Daran anschließend wurden mit Blick in die Bibel und insbesondere auf den Teil der Schöpfungserzählung im Buch Genesis „Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie“ (Gen 1,27) Grundlagen der Interpretation und Konstruktion des Menschen in der Theologie diskutiert. Im Rahmen eines Triells wurden mit dem Text „Zwischen Schöpfung und Erlösung: drei christlich-theologische Variationen über Geschlecht“ von Ruth Heß die Positionen von Benedikt XVI., Catherina Halkes und Gregor von Nyssa zu dieser Thematik ausgetauscht. Ausgehend von diesen biblischen bzw. theologisch-anthropologischen Aspekten gab Katharina Mairinger, Universitätsassistentin am Institut für Systematische Theologie und Ethik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, einen Einblick in die Genderthematik aus Sicht der theologischen Ethik.

Nicht nur in verschiedenen lehramtlichen Schreiben, sondern auch generell in der kirchlichen Praxis sei bis heute die Männlichkeit als Distinktionsmarker im Römisch-Katholischen bestimmend und führe somit quasi zu einer Sanktifizierung des Männlichen. Darüber hinaus werde die Kritik am binären Denken häufig als radikale Orthodoxiekritik aufgefasst. Als theoretische Denkrahmen stehen sich dabei naturrechtliche und menschenrechtliche Argumentationen in einem Spannungsfeld gegenüber.

Wie kann und sollte aber auf eben dieser spannungsgeladenen Grundlage geschlechtersensible oder gar gendersensible Pastoral praktiziert werden? Oder, wie Sabine Demel, Inhaberin des Lehrstuhls für Kirchenrecht an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg, fragte: „Endet die Gleichstellung am Stoppschild Weihesakrament?“ Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Teilnehmer:innen am Nachmittag des zweiten Workshop-Tages und stellten fest, dass zwar auf unterschiedlichen kirchlichen Ebenen ein gewisses Bewusstsein für Geschlechtersensibilität im pastoralen Wirken vorhanden ist, dass jedoch immer noch ein Ungleichgewicht vor allem hinsichtlich der Frauenfrage besteht und man in vielen Bereichen auch noch weit weg von einer praktizierten Gendersensibilität ist. Ausgehend von can. 208 CIC/1983 „Unter allen Gläubigen besteht, und zwar aufgrund ihrer Wiedergeburt in Christus, eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit, kraft der alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken“, erläuterte Frau Demel eindrücklich, inwieweit die entscheidende Passage in can. 1024 CIC/1983, die immer wieder als kirchenrechtliches Argument gegen eine Frauenordination herangezogen wird, in einem gendersensiblen Anliegen geändert werden müsse. Dann empfinge „[d]ie heilige Weihe […] gültig [nicht] nur ein getaufter Mann“ (can. 1024 CIC/1983), sondern: Die heilige Weihe empfängt gültig nur eine getaufte Person. Solch eine Änderung ist grundsätzlich möglich, aber mit can. 841 CIC/1983 „hat allein die höchste kirchliche Autorität zu beurteilen oder festzulegen, was zu[r Gültigkeit der Sakramente] erforderlich ist“, also der Papst, „[d]a die Sakramente für die ganze Kirche dieselben sind und zu dem von Gott anvertrauten Gut gehören.“ (can. 841 CIC/1983)

Wie sich die Weiterentwicklung des staatlichen Rechts aufgrund der Genderdebatte gestaltet, erläuterte Anja Böning, Professurvertreterin am Lehrstuhl für Gender im Recht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Fernuniversität Hagen, und zeigte dabei vor allem, wie das Recht als Konstrukteurin der sozialen Ordnung rechtliche Geschlechtskonzeptionen entwickelt. Ausgangspunkt dieser Entwicklungen sind die Wahrnehmung und Analyse von gesellschaftlichen Ungleichheiten und sog. geschlechtsbedingter „Gaps“.

Ein weiterer praktischer bzw. lebensweltlicher Bezug wurde mit Blick auf die Medien und die veränderte Wahrnehmung und Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit diskutiert, denn die verschiedenen Medien – seien es die Social Media oder auch Film und Fernsehen – fungieren immer mehr als Spiegel und Motor in aktuellen Diskursen zu Gender und Geschlechtsidentität.

Neben den vielfältigen Fragestellungen und Ansätzen, die im Workshop thematisiert und diskutiert wurden, hat sich auch gezeigt, dass die Sichtbarkeit von Gender-Diversität maßgeblich über unsere Sprache gesteuert wird. Wie schreibe oder spreche ich Personen an? Wie kommuniziert man, dass im generischen Maskulinum eben doch nicht alle „Anderen“ mitgemeint sind? Dabei scheint die bloße analytische Unterscheidung von Sex und Gender überholt und die Kategorie Gender wird immer bedeutsamer für die Erkenntnis des Menschen allgemein. Wie lese ich Personen und wie will ich selbst gelesen werden? Unter diesen Ansätzen und Fragestellungen ergeben sich aktuell insbesondere für anthropologische Studien große Forschungsgebiete.

Gender und die Gender-Studies bleiben ein Spannungsfeld, über welches die Teilnehmer:innen des Workshops einen guten Überblick und neue Erkenntnisse für eigene Argumentationen und Handlungsmöglichkeiten in dieser Thematik gewinnen konnten. Wie sich gendersensible Ansätze insbesondere im Recht und in der Praxis im Alltag der Kirche(n) tatsächlich durchsetzen, wird sich allerdings erst noch zeigen müssen. Es wird also weiterhin im Bereich Gender bzw. Gender-Studies noch viel auszuloten und zu lernen geben – vor allem für Theologie und Kirche, um heute verantwortet und sensibel über Geschlechtlichkeit und sexuelle Identität zu reden.

Paula Greiner-Bär (wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Exegese du Theologie des Neuen Testaments)