Am heutigen 17. Juni gedenkt Thüringen der Opfer des SED-Unrechts. Damit soll an all jene erinnert werden, die im “Arbeiter-und-Bauern-Staat” unter Repressalien und Diskriminierung zu leiden hatten. Davon betroffen waren auch Christinnen und Christen. Bis heute stellen sie, auch in Folge der kirchenfeindlichen Politik der Sozialistischen Einheitspartei, eine Minderheit in den neuen Bundesländern dar. Wie genau gestaltete sich die Diskriminierung und was tut die Forschung heute dafür, dieses Unrecht aufzuarbeiten? Darüber hat Dr. Martin Fischer, Kirchenhistoriker an der Forschungsstelle für kirchliche Zeitgeschichte an der Universität Erfurt (FKZE), für THEOLOGIE AKTUELL nachgedacht.
In der DDR erlebten die Menschen bis 1989 staatliche Bevormundung und persönliche Unfreiheiten, sie waren eingesperrt hinter Mauer und Stacheldraht. Wer sich nicht systemkonform verhielt, lief Gefahr, in Konflikt mit dem Staat zu geraten und Repressalien oder Formen von subtiler Ausgrenzung oder Benachteiligung zu erfahren. So konnte beispielsweise das Stellen eines Ausreiseantrages zum Verlust des Arbeitsplatzes oder zu anderen Schikanen führen.
Diskriminierungen betrafen natürlich nicht exklusiv Christ*innen in der DDR, sondern es konnte in der Diktatur jeden treffen, der nicht in das Raster der ‚Arbeiter-und-Bauern-Macht‘ passte. Christ*innen konnten aus solch einem Raster schon deshalb fallen, weil sie durch ihren Glauben an Gott der atheistischen Staatsideologie des Marxismus-Leninismus konträr gegenüberstanden. Ein Bekenntnis zum Christentum bedeutete zwar nicht sofort direkte Repressalien, aber bestimmte Berufswege, beispielsweise im Staatsdienst oder in leitenden Funktionen, blieben Mitgliedern der Kirchen weitgehend verschlossen. Diese Form der Benachteiligung im Beruf, bei der die Parteizugehörigkeit zur SED anstelle beruflicher Fähigkeiten ausschlaggebend für Karrierewege war, prangerte der damalige Berliner Bischof, Joachim Kardinal Meisner, zum Katholikentreffen 1987 vor rund 100.000 Katholik*innen öffentlich an:
“Die Weisen aus dem Morgenland folgten damals dem Stern von Bethlehem und brachten dem Kind ihre Gaben dar. Die Christen in unserem Land möchten ihre Begabungen und Fähigkeiten in unsere Gesellschaft einbringen, ohne dabei einem anderen Stern folgen zu sollen als dem von Bethlehem. Wie viele brachliegende Kräfte und stille Reserven würden dann aktiviert werden, wenn für den beruflichen Einsatz des einzelnen Bürgers vorrangig Sachkompetenz ausschlaggebend wäre. Wir Christen wollen keine Privilegien, sondern nur die Möglichkeit für unseren christlichen Weltdienst.”
Die beiden christlichen Kirchen waren in der DDR die einzigen Institutionen, die dem Machtbereich des Staates und seiner aktiven Einflussnahme entzogen waren und in denen Opposition möglich war. So wurde beispielsweise die Frage der Erziehung der Kinder zu einem neuralgischen Konfliktpunkt. Während der Staat die Erziehung von der Kinderkrippe und Kindergarten über Pionierorganisation und dem staatlichen Jugendverband FDJ in seiner Hand wissen wollte, forderten die Kirchen das Erziehungsrecht der Eltern ein und wehrten sich gegen das atheistische Bekenntnis der Jugendweihe. Der Zugang zu höheren Bildungswegen, wie zum Abitur oder einem Studienplatz, konnte dann verwehrt sein.
Im ostdeutschen Katholizismus existiert heute ein ganz starkes Narrativ, das von solchen Diskriminierungserfahrungen aus der DDR-Zeit stark geprägt ist: dass unabhängig der persönlichen Leistungen höhere Bildungs- oder bestimmte Berufswege nicht möglich waren, weil man sich als Christ*in engagierte oder Jugendweihe und FDJ ablehnte. In der bisherigen Forschung zur kirchlichen Zeitgeschichte wurde vor allem das Verhältnis der Institution Kirche zum Staat thematisiert, die Bischöfe biografisch erschlossen, wichtige Schriften und Akten in Quellenbänden zugänglich gemacht sowie das Handeln der Kirche in ihren unterschiedlichen seelsorglichen Feldern analysiert.
Im Hinblick auf die konkreten Fragen nach einer Diskriminierung von Christ*innen in der DDR haben wir zunächst dieses starke Narrativ, das auf individuellen Diskriminierungserfahrungen beruht. Diese im kollektiven Gedächtnis befindlichen Erinnerungen gilt es, wahr und ernst zu nehmen und entsprechend zu würdigen. Gleichwohl müssen wir feststellen, dass wir diese Geschichten zwar erzählen können, diese aber bislang nicht hinreichend wissenschaftlich untersucht wurden.
Es ist deshalb Aufgabe der Kirchen- und Allgemeinhistoriker, sich dieser Frage anzunehmen. Dabei stehen die Wissenschaftler vor einer Reihe von Schwierigkeiten: Zum einen handelt es sich um individualbiografische Erfahrungen. Diese können durch Zeitzeugenbefragungen mit Hilfe der ‚Oral History‘ nur exemplarisch anhand der konkreten Schicksale erforscht werden. Zum anderen existieren gerade bei diesem hochsensiblen Thema im Umgang mit den staatlichen Aktenbeständen entsprechende quellenkritische Anforderungen. So wissen die Geschichtswissenschaften durchaus aus anderen Kontexten, dass Sachverhalte in den schriftlichen Zeugnissen anders dargestellt, relativiert oder verschleiert werden, oft auch gar keine Erwähnung finden, und nicht selten erst – wenn vorhanden – eine Gegenüberlieferung Aufschluss zu geben vermochte. Letztlich wird die zu sichtende Aktenfülle enorm sein, denn möchte man Aussagen über Diskriminierung von Christ*innen treffen, so muss man zum Vergleich auch die Akten zu den Nichtchristen ansehen.
Dieser schwierigen Forschungsaufgabe stellt sich nun Dr. Ringo Müller. Er arbeitet am Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an dem Forschungsprojekt “Zwischen Erfahrung und Erinnerung: Bildungs(um)wege von Christ*innen von der sozialistischen Gesellschaft bis in die Gegenwart.”
Dr. Martin Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für kirchliche Zeitgeschichte Erfurt (FKZE) an der Universität Erfurt. Er forscht zum christlichen Leben in der DDR.