Vom 04.–06. Oktober 2022 fand am Institut für Theologie an der Leibniz-Universität Hannover eine Summer School zum Thema „Emotion und Körper“ in der Reihe „Emotionen in der Bibel“ statt, ausgetragen von den evangelischen Neutestamentler*innen Nils Neumann und Anna-Lena Senk.
Viele negative Emotionen?
Erstaunlich war, dass vor allem über Emotionen und körperliche Aspekte gesprochen wurde, die wir heute eher als negativ bezeichnen würden. Es ging nicht etwa um Liebe, Hoffnung, Zuversicht oder Freude, die uns in biblischen Texten häufig vermittelt werden. Viel mehr waren Schrecken, Angst und Furcht, Wut und Trauer, Narben und Weinen, das Ringen mit Gott im Blick.
Vielleicht ist es angesichts der leidvollen Erfahrungen der vergangenen Monate und Jahre aber auch kein Zufall, dass biblische Texte, in denen es um menschliches Leid und existentielle Not geht, wie etwa im Buch Iob, aktuell zugänglicher oder sogar realitätsnäher erscheinen.
Vielleicht bin ich manchmal einfach einem Petrus näher, der auf dem See Gennesaret versinkt, weil er Zweifel hat (Mt 14,30), als einem, der selbstbewusst den Menschen das Pfingstereignis deutet oder zu Taufe und Umkehr aufruft (Apg 2,14–38).
Körperliche Reaktionen in Furchtsituationen
In meinem Vortrag zum Thema „Niederfallen als affektive Reaktion in Situationen von EhrFurcht bei Matthäus“ lag der Fokus dabei vor allem darauf zu zeigen, wie sich die innerlich empfunden Gefühle Furcht bzw. Ehrfurcht in der konkreten Situation auch körperlich bzw. nach außen hin sichtbar (affektiv) zeigen.
In der katholischen Liturgie hat das Niederknien, ja sogar das flach auf den Boden Legen in der Weiheliturgie und am Karfreitag einen festen Platz. Bei der Anbetung oder auch zur Huldigung und zum Ausdruck von Ehrfurcht ist dieses – wenn man es hart ausdrückt – Niederwerfern eine zentrale Körperhaltung.
Sich niederzuwerfen vor etwas oder vor jemandem ist eine Demutsgeste. In biblischen und liturgischen Kontexten geht es darum, sich klein zu machen vor Gott.
Der Aspekt des Sich-Kleinmachens kommt besonders auch in der typischen muslimischen Gebetshaltung zum Ausdruck. Bei der Sudschud (im Deutschen: Niederwerfung), wie die Gebetshaltung auf Arabisch heißt, berühren sieben Punkte des Körpers (Stirn und Nase, beide Hände, Knie, Füße und Zehen) gleichzeitig den Boden.
Auch in den kanonischen Evangelien ist davon zu lesen, dass verschiedene Personen und Personengruppen niederfallen oder sich niederwerfen. Aber warum? Meist steht dieses Niederfallen in Verbindung mit dem Empfinden von Ehrfurcht (Mt 2,1–12; 4,8–11), aber auch ganz konkreter Furcht im Sinne von Angst oder existenzieller Not (Mt 8,1–4; 9,18–26; 15,21–28; 17,14–21). Besonders bei Matthäus wird neben typischen Reaktionen in Furchtsituationen, die wir selbst von uns kennen, wie etwa Zittern oder Schreien, vor allem das Niederfallen oder sich Niederwerfen berichtet. Meist fallen die Menschen vor Jesus Christus und meistens in Verbindung mit göttlichen Erscheinungen (Engel, Stimme aus der Wolke etc.). Aber Jesus geht auch selbst aus Angst in die Knie (Mt 26,37–39).
Furcht und Ehrfurcht der Jünger auf dem Wasser
Besonders interessant finde ich die Textstelle von der Offenbarung Jesu auf dem Wasser bzw. der Sturmstillung (Mt 14,22–33 par. Mk 6,45–52), weil hier Furcht in Ehrfurcht übergeht und besonders deutlich wird, wie nah die beiden Gefühle bzw. Emotionen beisammen liegen können. Zum einen erschrecken die Jünger, weil sie Jesus nicht erkennen und für ein Gespenst halten. Die Begleiterscheinung dieser Furcht bzw. die Affekthandlung ist das Schreien. Die Jünger erhalten von Jesus die Zusage, sich nicht fürchten zu müssen, da er bei ihnen ist.
Petrus scheint noch zu zweifeln, wenn er sagt: „Herr, wenn Du es bist, heiße mich zu Dir zu kommen über die Wasser bzw. das Wasser.“ (14,28) Wenn das Gespenst also nicht Jesus wäre, könnte oder würde er auch nicht kommen. Er geht zwar los, aber scheint immer noch nicht darauf zu vertrauen, dass es Jesus ist, der die Macht hat, ihn auch bei Sturm über das Wasser kommen zu lassen. Petrus bekam Furcht und begann zu sinken und schrie. Als Jesus mit ihm in das Boot steigt, legt sich der Wind. Die Jünger fallen vor Jesus nieder. Diesem Ehrfurchts- und Huldigungsgestus der Jünger folgt das Bekenntnis „Du bist wirklich Gottes Sohn.“ (14,33), das eine besondere Bedeutung auch deshalb hat, weil es das erste dieser Art ist, das bei Matthäus aus einem menschlichen Mund gesprochen wird. Die Furcht der Jünger und insbesondere des Petrus wandelt sich also in dieser Perikope hin zum ersten menschlichen Gottes-Sohn-Bekenntnis, das verbunden ist mit dem Niederfallen, der Proskynese.
Jesus sagt zu den Jüngern im Boot, als sie ihn für ein Gespenst halten: „Fürchtet euch nicht!“ Diese Zusage der Menschen untereinander oder durch verschiedene Gottesboten, sich nicht fürchten zu müssen, hat in der ganzen Bibel ein großes Gewicht. Dieser Zuspruch ist Ermutigung und gibt Kraft zur Überwindung der Furcht und Ängste und lässt wieder Vertrauen schöpfen.
Paula Josephine Greiner-Bär ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Exegese und Theologie des Neuen Testaments.