"Eine Kirche ohne Sendung, ohne Auftrag ist zahnlos"

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Nahaufnahme Bibel

Seit einigen Jahren hat die Kirche Deutschlands den Missionsbegriff neu entdeckt. Mit den Herausforderungen und Rahmenbedingungen des Missionsverständnisses in einer säkularen und/oder atheistischen Kultur, setzte sich im Sommersemester 2018 auch das Seminar “Missionarische Pastoral” an der Universität Erfurt auseinander. Hans-Herrmann Pompe vom EKD-Zentrum für Mission in der Region Dortmund war dafür am 3. Juli als Fachreferent zu Gast in Erfurt. Für THEOLOGIE AKTUELL legt er sein Verständnis von Mission dar und kommentiert aktuelle Probleme der Kirche im Sendungsauftrag.

Kommentar von Hans-Hermann Pompe
EKD-Zentrum für Mission in der Region Dortmund

“Dann sind Sie so etwas wie ein Missionar?”, fragte mich interessiert ein Nachbar, mit dem ich im Zug ins Gespräch gekommen war. Er hatte von seinem Job in der IT-Branche erzählt, ich meinerseits, dass ich im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bundesweit Kirchenkreise dabei unterstütze, Menschen zum Glauben einzuladen, die wenig oder keinen Kontakt dazu haben. Wie er zu Glaube oder Kirche stand, wusste ich nicht, aber er hatte keine Schwierigkeiten mit meinem Auftrag. Dass ich meiner Mission, meiner Sendung verpflichtet bin, schien er eher zu erwarten als problematisch zu empfinden.

Werbung, Wirtschaft, Sport, Wissenschaft: Alle haben ihre Mission

Weite Teile der Gesellschaft haben mit ihrer jeweiligen Mission kein Problem. In meiner Sammlung finden sich neben dem ADAC und der Sopranistin Cecilia Bartoli auch die Kinokette Cinemaxx und der LKW-Hersteller MAN. Ihre Mission plakatieren öffentlich der Fernsehkoch Jamie Oliver und die Agentenreihe “Mission”. Der OTTO-Versand hat die “Mission Farbe”,  die Grünen  die “Mission Dortmund nazifrei”, die Getränkeindustrie ihre „Mission Durstlöschen”.

Headlines über Missionen finde ich in der Süddeutschen und der WELT, im SPIEGEL und im STERN. Auch German Wings, die deutschen Olympia-Fechter, der WDR, die Technik-Kette Conrad oder die Filmbranche stehen zu ihrer Mission. Stolz auf eine erfüllte Mission sind das Wallraf-Museum in Köln, Hannover 96, Pep Guardiola, aber auch Renault, Porsche oder der Sparkassenverband sind dabei. Der Deo-Anbieter Axe verlockt sogar augenzwinkernd zu einer Stellung als Missionar.

Gerührt, geschüttelt, ungenießbar

Meine Kirche tut sich mit diesem Auftrag eher schwer. Der unausgesprochene Konsens heißt häufig: Wir wollen in keinem Fall missionieren! Und wenn schon Mission, dann möglichst unauffällig, irgendwie nebenbei, auf keinen Fall strategisch – am schönsten erscheint kirchliches Handeln möglichst ohne Mission.

Für viele in der Kirche ist Mission ein Igitt-Wort, angerührt zu einem ungenießbaren Cocktail aus Manipulation und verstaubtem Gestern, geschüttelt mit Dialogverweigerung und Schuldgeschichte. Seltsame Vorstellungen finden sich in den Köpfen: Sektenähnliche Veranstaltungen mit Zwangsritualen, Bibel als Bedrohung, Musik als Seelenschleimerei und öffentliche Bekenntnisse am unteren Ende der Peinlichkeitsskala. Dann doch lieber ganz ohne Mission? Es mag solche schlechte Mission geben – real erlebt haben es die wenigsten, auch ich Gott sei Dank nicht. Aber als Vorurteil halten solche Vorstellungen uns vieles an guter Mission vom Leibe, was unseren kirchlichen Normalalltag aufstören würde.

Nun gibt es einen Auftrag vom Gründer der Kirche an seine Nachfolger*innen. Und den müsste man schon mit vielen Verrenkungen als obsolet, als vergangen erklären oder mühsam uminterpretieren. Ich denke: Wer in der Kirche Jesu Mission nicht will, soll es offen sagen – aber dann bitte erklären, wie er den Auftrag der Kirche anders umsetzen will oder warum er auf ihn verzichten kann. Eines aber bitte nicht mehr: Mission sei ein Unwort. Denn eine klare Mission zu haben ist gesellschaftlich akzeptiert und gebraucht.

Wollen wollen

Das Problem der Kirche: Mit der berechtigten Vermeidung von Penetranz, mit der sinnvollen Abwehr von Aufdringlichkeit kann schnell auch jedes aktive Wollen verschwinden. “Wir wollen niemand auf den Nerv gehen” kann unmerklich werden zu: “Wir wollen niemand mit etwas behelligen, wollen mit allen im Gespräch bleiben und keinen Widerspruch hervorrufen.” Aber – nach einem alten Scherz – wer nach allen Seiten offen sein will, ist möglicherweise nicht ganz dicht. Eine Kirche ohne Sendung, ohne Auftrag ist zahnlos, irrelevant. Sie muss ihren Auftrag neu entdecken, ihr Wollen wieder wollen, um nicht überflüssig am Weg zurückbleiben.

Viele Menschen wollen Kontur und Profil sehen, gerne auch kreative Irritation und freundlichen Widerspruch hören. Der Schriftsteller und Katholik Günther de Bruyn sagte 1997 in einer Rede vor Protestanten: “Besser, als die Leute kommen zu lassen wäre es, sie zu holen. Wenn ich (…) die Evangelische Kirche und die (…) Vertreter derselben betrachte, fällt mir neben vielem Erfreulichen (…) ihre heitere Ruhe ins Auge, mit der sie es sich im Kreis von Gleichgesinnten niveauvoll wohl sein lassen und mit der gleichen Ruhe ihre Schar immer geringer werden sehen (…). Was mir also fehlt an den mir so nahen und vertrauten Protestanten, ist ihr sichtbar werdender Wille, sich nicht nur zu behaupten, sondern verlorene Seelen zurückzugewinnen, also, falls das Wort noch erlaubt ist: Mission. (…) Statt verstärkt die Freiheit (erg: zur Mission) zu nutzen, idealisiert man die Minderheitskirche, so dass der Eindruck erweckt wird, man fände weniger Christen grundsätzlich besser.” 

Glaubwürdig beauftragt

Meine Erfahrung ist: Gottes ungebrochenes Interesse an seine Menschen bleibt hochaktuell. Wer von einem Gott erzählt, der unser Leben trägt, der sich nicht zu schade ist, Mensch zu werden, um unseren mühsamen Alltag zu teilen, findet Gehör. Es geht immer um ein glaubwürdiges Teilen dieser Gottes-Entdeckung. Wer sich an die Seite von Unterdrückten und Opfern stellt, landet bei ihnen – und damit auf der Seite Gottes. Wer zuhören kann und neugierig bleibt, entdeckt Erfahrungen Gottes im Leben anderer – und gewinnt das Recht, vom eigenen Glauben zu erzählen. Wer beten kann, kann für andere hoffen – und für sich. Solche Art von Mission ist heute genauso attraktiv wie in den ersten Tagen des Christentums, als es neu und aufregend war.

Unsere Glaubwürdigkeit als Christ*innen hängt an unserem Auftrag: Wir werden beteiligt an der großen Liebesbewegung Gottes hin zu seinen Geschöpfen. Den Auftrag haben wir uns nicht selber gegeben, er kommt von Jesus. Und glaubwürdiger als Jesus mit seiner Lebenshingabe kann man andere nicht beauftragen. Entlastend ist: “Gott kommt früher als der Missionar” (Leonardo Boff). Mission in den Spuren des gewaltlosen Nazareners bleibt eine Entdeckungsreise auf den Spuren Gottes.


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