Emile Alexadrov ist Doktorand an der University of Notre Dame in Australien und zur Zeit als Gastwissenschaftler an der Professur für Philosophie unserer Fakultät. Seine beiden Forschungsschwerpunkte sind die Philosophie Martin Heideggers und der Neuplatonismus. Dieses Interview mit ihm wurde im Dezember 2021 auf Englisch geführt.
Sie sind seit einigen Wochen Gastwissenschaftler bei Prof. Zaborowski am Lehrstuhl für Philosophie der Katholisch-Theologischen Fakultät. Haben Sie sich aus einem bestimmten Grund für die Universität Erfurt und unsere Fakultät entschieden?
Ja, ich war Gastwissenschaftler bei Dr. Ingo Farin an einer anderen Universität in Australien, der University of Tasmania und Dr. Farin ist mit Prof. Zaborowski befreundet. Er hat empfohlen, dass ich einige Zeit bei ihm in Deutschland verbringe, weil Holger Zaborowski über eine große Expertise in meinem Forschungsbereich verfügt. So wurde mir der Aufenthalt hier empfohlen. Und ich glaube, es war Dr. Farin, der dann Prof. Zaborowski zuerst kontaktiert hat und so sind wir in Verbindung getreten.
Und wie lange werden Sie in Erfurt bleiben?
Ich habe ein Stipendium für drei Monate, also bis Mitte, Ende Februar.
Im Rahmen Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich vor allem mit Heidegger. Können Sie sich daran erinnern, wann und warum Sie angefangen haben, sich für Heideggers Philosophie zu interessieren? Und warum glauben Sie, dass Prof. Zaborowskis Forschung in diesem Bereich besonders spannend ist?
Kurz und knapp gesagt, habe ich mich schon während meines Master-Studiums auf Heidegger fokussiert. Zu dieser Zeit habe ich mich vor allem mit Heideggers Arbeiten auf den dreißiger Jahren beschäftigt. Nachdem ich meinen Abschluss gemacht hatte, habe ich gemerkt, dass es auf diesem Gebiet noch so viel mehr gibt, womit man sich beschäftigen könnte. Deswegen habe ich dann, als ich anfing, an meinem Promotionsprojekt zu arbeiten, begann ich wieder genau dort, wo ich bei meinem Masterabschluss aufgehört hatte. Da Heidegger – offensichtlich – ein deutscher Philosoph ist, war für mich klar, dass ich einige Zeit in Deutschland verbringen wollte, vor allem, weil ich mit den Originaltexten auf Deutsch arbeite und englische Übersetzung nur dann nutze, wenn es nicht anders geht. Allerdings sind viele seiner Texte gar nicht übersetzt worden.
Bezüglich Prof. Zaborowski: Er ist ein anerkannter und angesehener Experte für Heideggers Philosophie [Holger Zaborowski ist u.a. Mitherausgeber des Heidegger-Jahrbuches und der Martin Heidegger-Briefausgabe und Mitglied des Vorstands der Martin-Heidegger-Stiftung, Anm. d. Red.] und natürlich versteht er dadurch, dass Deutsch seine Muttersprache ist, die deutschen Texte viel besser als das bei nicht Muttersprachlern der Fall ist. Zudem ist Prof. Zaborowski auch Theologe. Ich beschäftige mich im Rahmen meiner Forschung auch mit der griechischen Antike, vor allem mit dem Neuplatonismus, was sehr nah an der theologischen Expertise von Prof. Zaborowski ist. Anders gesagt: In beiden Bereichen, nicht nur bezüglich Heidegger, sondern auch was den Neuplatonismus betrifft, passen wir sehr gut zusammen.
Da Sie die Theologie erwähnt haben: Ich würde gerne wissen, welche Rolle Theologie in Ihrer Forschung spielt. Und in welchem Verhältnis stehen für Sie Philosophie und Theologie?
Je mehr ich an meinem Projekt arbeite, desto überzeugter bin ich davon, dass es sehr, sehr schwer ist, Philosophie und Theologie als getrennt voneinander zu betrachten – vor allem, wenn man sich mit der griechischen Antike beschäftigt. Denn im antiken Griechenland gab es so etwas wie Theologie gar nicht. Platon, zum Beispiel, hat nicht zwischen der Tugend und den Göttern unterschieden. Theologie beginnt also eigentlich erst wirklich mit dem Christentum. Und deswegen denke ich, dass meine Arbeit, vor allem, weil ich zum Neuplatonismus forsche, einen sehr starken Bezug zu theologischen Interpretationen hat – nicht im Sinne der christlichen Theologie, weil ich mich nicht mit christlichen Neuplatonisten, sondern mit Denkern wir Plotin und Proclus beschäftige. Letztere sprechen aber trotzdem viel über Theologie im Sinne von göttlicher Eingebung und ähnlichen Dingen.
Daher denke ich, dass Philosophie und Theologie als untrennbar miteinander verbunden erscheinen, wenn man zum Beginn der Philosophie zurückgeht.
Was Heidegger betrifft: Er unterscheidet natürlich zwischen beiden Bereichen und denkt Philosophie und Theologie als voneinander getrennt. Er ist schließlich auch zu Beginn seines Studiums in ein Priesterseminar eingetreten. Aber ich glaube, dass er sich, wenn er über Theologie schreibt, vor allem auf christliche Theologie bezieht. Und ich würde zustimmen, dass die christliche Theologie eine eigene Wissenschaft darstellt, was, meiner Meinung nach, auch Heidegger so sehen würde. Aber wenn es um Theologie an sich geht als eigenständiges Grundfeld, dann ist diese Trennlinie schwerer zu ziehen.
Ich fände es spannend, ein bisschen mehr über Sie und Ihren Werdegang zu sprechen. Sie haben neben Ihrem Masterabschluss in Philosophie auch Diplome in Software Development und Fitness erhalten. Das ist ja schon eher ungewöhnlich und scheint darauf hinzudeuten, dass Sie neben der Philosophie viele weitere Interessen haben.
Ja, das stimmt, ich interessiere mich für sehr viele verschiedene Dinge. Was meine anderen beiden Abschlüsse betrifft: Als ich jünger war, habe ich im IT-Bereich gearbeitet und ein Diplom erhalten, als ich mich mit einfachem Software Development beschäftigt habe. Ich habe außerdem viel Sport gemacht und ein Diplom in Sportwissenschaften gemacht. Ich habe z. B. viel Kampfsport gemacht. Das mit der Philosophie kam erst später, als ich Mitte Zwanzig war.
Können Sie sagen, was genau Ihr Interesse für Philosophie geweckt hat? Hatte sich irgendetwas verändert?
Ich habe mein ganzes Leben lang sehr viel gelesen, sowohl literarische als auch philosophische Texte. Ich habe Dostoevsky gelesen, als ich dreizehn, vierzehn Jahre alt war. Ich habe das nie wirklich ernst genommen, aber je älter ich geworden bin, desto mehr habe ich gemerkt, wie schwer es war, die Bücher wegzulegen. Also dachte ich mir, dass es eine gute Idee wäre, irgendeine Art von akademischer Laufbahn einzuschlagen. Am meisten hat sich verändert, als ich Platon gelesen habe. Als ich das erste Mal Platon gelesen habe muss ich ungefähr zwanzig oder einundzwanzig Jahre alt gewesen sein – da habe ich die Republik gelesen. Und ich glaube, das war es, was mich davon überzeugt hat, dass ich früher oder später Philosophie studieren würde.
Eine weitere Sache, die ich in Ihrem Lebenslauf gesehen habe, und die ich sehr eingängig fand, war, dass Sie über Ihre Auslandsaufenthalte geschrieben haben, dass es sehr hilft, das Land und die Sprache kennenzulernen, in dem und auf der Philosoph*innen gedacht und geschrieben haben. Könnten Sie ein bisschen mehr über diese Beziehung zwischen Philosophie und dem Kontext, in dem sie entstanden ist, sagen?
Natürlich! Philosophie ist einer der Bereiche, in dem wir es mit Sprachen zu tun haben, die heute nicht mehr gesprochen werden, wie z. B. Altgriechisch. Wir können Texte auf Altgriechisch lesen und übersetzen, aber es ist sehr schwer zu erfahren, wie damals der alltägliche Sprachgebrauch war. Wir haben das moderne Griechisch als Vergleich, aber das stellt natürlich eine neue, weiterentwickelte Form der ursprünglichen Sprache dar. Ich denke trotzdem, dass es wichtig ist zu sehen, wie sich die Gesellschaft zu ihrer modernen, zeitgenössischen Form entwickelt hat und inwieweit das antike Griechenland immer noch die heutige griechische Gesellschaft und Kultur beeinflusst.
Und dasselbe gilt meiner Meinung nach für zeitgenössische Philosoph*innen. Wenn wir uns beispielsweise mit Heidegger beschäftigen, denke ich, dass es für Studierende und Wissenschaftler*innen sehr wichtig wäre, die Universität von Freiburg zu besuchen, wo Heidegger Vorlesungen gehalten hat oder seine Berghütte zu sehen, in der er viele seiner Werke geschrieben hat. Das gibt einem das Gefühl, in die Fußstapfen des Denkers zu treten, mit dem man sich beschäftigt.
Es wäre leicht zu sagen, dass all das nicht wirklich notwendig ist, aber ich würde entgegnen, dass es dem Ganzen so etwas wie eine persönlichere Note verleiht. Und was die Sprachen betrifft, denke ich, dass es nicht nur wichtig ist, die Texte im Original zu verstehen, sondern auch die Sprache so gut zu beherrschen, dass man über Variationen von oder Alternativen zu einer bestimmten Übersetzung nachdenken kann.
Bei Heidegger und Sprache fällt mir eine Anekdote ein, die mir einmal ein Philosophieprofessor in Italien erzählt hat: Auch er war während seiner Promotion als Gastwissenschaftler in Deutschland und hat sich mit Heidegger beschäftigt. Dadurch, dass er Heidegger auf Deutsch gelesen hatte und sehr wenig deutsche Alltagssprache beherrschte, kam es dann oft zu lustigen Missverständnissen, weil er einige der von Heidegger erfundenen Begrifflichkeiten im Alltag verwendete. Ist Ihnen das auch schon mal passiert?
Doch, das kommt mir sehr bekannt vor, weil die deutsche Alltagssprache sich wirklich sehr stark von der Sprache, die Heidegger verwendet, unterscheidet. Ich kann Heideggers Texte auf Deutsch lesen und weil ich mich inzwischen mit seinen Arbeiten auskenne, verstehe ich in den meisten Fällen, was er meint – also, ich hoffe, dass ich verstehe, was er sagen will. Aber das hat nichts mit dem Deutsch zu tun, was im Alltag verwendet wird, überhaupt nicht.
Ganz allgemein gefragt: Gefällt es Ihnen in Erfurt und haben Sie sich schnell an das Leben hier gewöhnt? Und sind Ihnen irgendwelche grundlegenden Unterschiede zwischen der Universität in Australien und der Universität in Deutschland aufgefallen?
Bezüglich der ersten Frage: Ja, es gefällt mir hier sehr gut. Erfurt ist eine sehr schöne Stadt. Es kommt einem fast so vor, als würde jede einzelne Straße gut aussehen; die Architektur ist sehr beeindruckend. Es ist wirklich schön. Und ich meine, die Kirche von Meister Eckhart und das Kloster von Luther zu sehen, welche Leute, die sich für Philosophie interessieren fänden das denn nicht toll? Ich habe auch einige Zeit in Berlin verbracht. Im Vergleich dazu ist Erfurt sehr viel ruhiger und es ist leichter, überall hinzukommen. Das finde ich persönlich besser.
Was die Universität betrifft, wenn ich Erfurt und Notre Dame vergleiche, sind sich beide Universitäten eigentlich sehr ähnlich. Aber ein Unterschied, der mir aufgefallen ist, ist, dass die Bibliothek hier sehr viel besser besucht ist und mehr genutzt wird. Die Bibliothek hier ist auch sehr viel größer. Aber abgesehen davon, ist alles sehr ähnlich. Notre Dame unterscheidet sich aber auch dadurch von der Universität Erfurt, dass sie eine Katholische Universität ist und daher einen sehr starken Fokus auf Theologie hat.
Gibt es irgendetwas, was Sie ganz besonders an Australien vermissen? Und gibt es etwas, von dem Sie denken, dass Sie es an Deutschland vermissen werden, wenn Sie zurück in Australien sind?
Was ich an Australien vermisse, sind die Strände. Und natürlich meine Freunde und meine Familie. Und an Deutschland – das deutsche Wetter finde ich angenehmer. Meine Familie hat russische Wurzeln und ich mag den Winter und die Kälte. So wie jetzt gerade ist es perfekt. Ganz sicher werde ich auch die Architektur vermissen. Ich bin ein großer Fan guter Architektur und habe Schopenhauers Text über Architektur mehrmals gelesen. Das werde ich vielleicht am meisten vermissen. Aber in Deutschland ist es auch einfach generell sehr schön. Es ist sehr schwer etwas zu finden, was einen stört oder einem nicht gefällt. Und Prof. Zaborowski und alle, die ich über ihn kennengelernt habe, waren sehr nett und offen. Ich habe also nur Gutes zu sagen.
Fragen, Übersetzung und Redaktion: Sophie v. Kalckreuth