von Antonia Dölle
Die sogenannte „Frauenfrage“ – das Ringen um die Frauenordination – wie sie in der katholischen Kirche seit Jahrzehnten debattiert wird, ist kein genuin christliches Problem. Der Blick über den katholischen Tellerrand verdeutlicht, dass es sich beim strukturellen Ausschluss von Frauen von religiösen Leitungsämtern um ein flächendeckendes Problem innerhalb der zeitgenössischen institutionalisierten Religionen handelt. Auch die Debatte um die Frauenordination verlief im modernen Judentum und im Christentum zeitlich und argumentativ auffallend parallel.
Während jedoch in allen Denominationen des modernen Judentums und in vielen christlichen Konfessionen die Frauenordination im 20. Jahrhundert diskutiert und seit den 1970er Jahren Schritt für Schritt eingeführt wurde, schloss die katholische Kirche sie im selben Zeitraum kategorisch aus.
Judentum und Christentum eint, dass sie im Kontext patriarchalischer Gesellschaften entstanden sind. Die männlich dominierten Sozialstrukturen wurden ideologisch untermauert und als unveränderbarer Wille Gottes in den heiligen und religionsgesetzlichen Schriften kodifiziert. Das Ergebnis dieser Entwicklungen ist ein misogynes Zweiklassensystem, das Frauen nicht die Möglichkeiten zur gleichen religiösen Entfaltung gewährt. Dieses System wird trotz gesellschaftlicher Emanzipationsprozesse von den religiösen Autoritäten vehement aufrechterhalten. Unter dem Begriff der „Gleichwertigkeit“ wird zwischen spezifisch weiblichen und männlichen Rollen differenziert. Gleichberechtigung dagegen kann es erst geben, wenn auch Frauen uneingeschränkten Zugang zu allen religiösen und leitenden Ämtern erhalten. Erst dann können inhärente patriarchalische Strukturen und misogyne Traditionen in den Religionen nachhaltig abgebaut werden.
Für die katholische Kirche wurde in den Schreiben Inter Insigniores [1] von 1976 und Ordinatio Sacerdotalis [2] von 1994 der Ausschluss von Frauen zur Ordination festgelegt. Es heißt darin, dass die Kirche „aus Treue zum Vorbild ihres Herrn nicht dazu berechtigt [ist], die Frauen zur Priesterweihe zuzulassen“. Das vorbildhafte Handeln Jesu Christi wird darin gesehen, dass dieser nur Männer in den Zwölferkreis berufen habe. Da die Apostel und spätere Generationen an dieser Praxis festgehalten hätten, werde darin eine Tradition grundgelegt, die bleibende Bedeutung habe und vermeintlich zu keinem Zeitpunkt des katholischen Bestehens angezweifelt worden sei. Außerdem wird betont, dass Christus selbst Mann war und zwischen ihm und dem Priester eine „natürliche Ähnlichkeit“ bestehen müsse, damit in diesem „das Abbild Christi“ erblickt werden könne. Die Ungleichbehandlung der Geschlechter wird mit diesen Begründungen als göttlich geboten postuliert und als unveränderbare Tradition klassifiziert.
Das Judentum ist in Bezug auf die Entwicklungen zur Frauenordination um Meilen weiter als die katholische Kirche. In allen vier Denominationen des modernen Judentums der westlichen Welt gibt es heute Rabbinerinnen: im Reformjudentum seit 1972, im Rekonstruktivismus seit 1974, im Konservativen Judentum seit 1985 und in der Modernen Orthodoxie seit 1994, dort allerdings noch ohne offizielle Anerkennung seitens der Rabbinerkonferenz.
Rabbinerinnen sind das Ergebnis jahrzehntelanger Debatten, die bereits in den 1890er Jahren begonnen haben. Die Forderungen lauteten: Religiöse Gleichstellung der Geschlechter und der uneingeschränkte Zugang von Frauen zum höchsten Amt in der Gemeinde, dem Rabbinat. Die Diskussionen wurden in den jeweiligen Denominationen auf unterschiedlichen Ebenen geführt und am Ende in Beschlüsse überführt. Die entscheidenden Argumente, die schließlich die Öffnung des Rabbinats für Frauen ermöglichten, wurden unterschiedlich gewichtet, tauchten in der Sache aber nahezu überall auf. Sie lassen sich in vier Kategorien unterteilen. Deutlich wird, dass eine religionsinterne Frage wie die Frauenordination kontextuell, also nicht losgelöst vom kulturgesellschaftlichen Umfeld, beantwortet wurde.
1. Argument: Die Gesellschaft wandelt sich – Religion kann das auch!
Ein anhaltender Rabbinermangel, der Mehrwert des weiblichen Wirkens für das Judentum und die feministischen Emanzipationsprozesse der Gesellschaften im 20. Jahrhundert ließen die Frage der Frauenordination zu einer Prinzipienfrage werden, wie sehr das Judentum im Einklang mit den fortschrittlichen Entwicklungen seiner Zeit steht.
2. Argument: Geschlechtergerechtigkeit – auch in der Religion!
Die Frauenordination wurde als eine logische Konsequenz bewertet, da Frauen zum Zeitpunkt der Debatten bereits sämtliche, vormals nur für Männer zulässige Berufe übernommen hatten und diese erfolgreich ausführten. Auch innerhalb der Religion konnten Frauen und Männer den gleichen Bildungsgrad erreichen. Es wurde daher geschlussfolgert, dass es perfide und diskriminierend sei, ein Bildungssystem aufrechtzuerhalten, das Frauen und Männer gleichermaßen fördert, aber an der letzten Stufe vor dem Eintritt ins Rabbinat auf der Grundlage des Geschlechts differenziert. Eben dieser gleiche Bildungsgrad begründet, dass Frauen denselben Beschäftigungen nachgehen dürfen wie Männer.
3. Argument: Rabbiner:in soll werden, wer es kann!
Frauen sollte das Recht zur Ordination gegeben werden, da es keine auf das Geschlecht zurückzuführenden Unterschiede in der Bereitschaft und Fähigkeit gibt, um rabbinische Aufgaben übernehmen zu können.
4. Argument: Die Tradition spricht nicht dagegen!
Hierbei ging es darum darzulegen, dass das jüdische Gesetz die Ordination von Frauen nicht verbietet. Nur weil die Frauenordination in der Traditionsliteratur nicht erwähnt wird, kann daraus für die Moderne nicht abgeleitet werden, dass Frauen nicht ordiniert werden dürften.
Diese komprimierte Zusammenstellung der Argumentationen für die Zulassung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Kampf um die Ordination von Frauen im Judentum, ihre Akzeptanz in den Gemeinden und ihre Gleichstellung mit den männlichen Kollegen über mehr als ein Jahrhundert erstreckt hat. Zentrales Hindernis war durchweg die Angst vor Machtverlust seitens männlicher religiöser Autoritäten. Der orthodoxe Rabbiner Chaim Seidler Feller bringt diesen Missstand treffend auf den Punkt: „Das wichtigste Hindernis der Ordination von Frauen sind die Männer, die den Zugang zur Ordination kontrollieren.“ [3]
Die weltweit erste Rabbinerin war die Berlinerin Regina Jonas. Sie wurde 1935 ordiniert. Ihr Erbe wurde 1972 von der Reformrabbinerin Sally Priesand, 1974 von der Rekonstruktivistin Sandy Eisenberg Sasso, 1985 von der konservativen Rabbinerin Amy Eilberg und 1994 von der orthodoxen Rabbinerin Mimi Feigelson in den USA und in Israel weitergetragen.
Ihnen gingen dutzende Pionierinnen voraus, die, bestärkt durch den politischen Feminismus des 20. Jahrhunderts, religiöse Gleichberechtigung forderten. Sie erlangten das religiöse Wahlrecht von Frauen in der Gemeinde und erkämpften sich die Zulassung zu den Rabbinerseminaren, an denen die Rabbiner ausgebildet werden.
Die Frauenordination im Judentum kann somit als das Resultat des gesellschaftlichen Wandels und einer konstruktiven Anpassung der Jüdinnen:Juden an die westliche Gesellschaft gewertet werden. Unter diesem Einfluss haben sich die Jüdinnen innerhalb der vier Denominationen wesentlich selbst emanzipiert und ihre Partizipationsrechte eingefordert.
Mit dem Eintritt von Frauen ins Rabbinat sind theologische, liturgische und soziologische Entwicklungen in Gang gekommen, die darauf abzielen, die gesellschaftliche Vielfalt im Judentum stärker sichtbar zu machen sowie Machtmechanismen und bestehende hierarchische Strukturen aufzubrechen und zu dekonstruieren. Das Bild in den Synagogen hat sich grundlegend verändert. Frauen sind sichtbarer geworden. Sie haben eine Stimme erhalten. Rabbinerinnen bemühen sich nicht nur, die gleichen Rollen wie Männer übernehmen zu dürfen, sondern prägen diese mit ihrem eigenen Verständnis. Unter ihrem Einfluss sind spezifisch weibliche Fragestellungen und Problemfelder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Zugleich wurde das dominierend androzentrische Gottesbild und die damit einhergehende Liturgie reflektiert, erweitert und neu konzipiert. Mit dem Anspruch, die Erfahrungen und spirituellen Bedürfnisse von Frauen angemessen widerzuspiegeln, wurden Gebete in gerechter Sprache und neue sowie längst vergessene Rituale von und für Frauen entwickelt.
In der katholischen Kirche dagegen werden mit dem Ausschluss der Frauen vom sakramentalen Amt (Diakonin, Priesterin, Bischöfin) Lehre und Leben, die Identität wie auch die Spiritualität der katholischen Glaubensgemeinschaft der Deutungs- und Urteilshoheit einer extrem kleinen, ausschließlich männlichen Gruppe leitender Kleriker unterworfen. Im Blick auf das Judentum wird deutlich, welches immense Potenzial dadurch verschenkt wird. Frauen könnten stärker zur theologischen und liturgischen Vielfalt in der katholischen Kirche beitragen, die Stimme der Marginalisierten hörbar machen und als notwendiges Korrektiv sowie im Abbau eines vulneranten religiösen Systems wirken, das hochgradig anfällig für (Macht-) Missbrauch ist.
Am Ende ist allen Debatten um die Forderung nach dem Zugang von Frauen zu den religiösen und leitenden Ämtern eines gemeinsam: Es geht und ging nicht um weibliche Privilegien, sondern um die Realisierung von Gleichberechtigung!
[1] Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung INTER INSIGNIORES über die Frage der Zulassung der Frauen zum Priesteramt. 15. Oktober 1976, in: AAS 69 (1977) 98–116, dt.: VApS 117, 11–29.
[2] Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben ORDINATIO SACERDOTALIS über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe. 22. Mai 1994, in: AAS 86 (1994), 545–548, dt.: VApS 117, 3–7.
[3] Chaim Seidler-Feller, Female Rabbis Male Fears, Judaism 33 (1984) 79–84, 79, Übersetzung bei: Pnina Navè-Levinson, Die Ordination von Frauen als Rabbiner, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 38 (1986) 289–310, 294.
Dieser Text wurde nicht im Rahmen der Publikation "Gottes starke Töchter" veröffentlicht, sondern beruht auf der Magistra-Arbeit von Antonia Dölle, die sich jedoch in gleichem Maße thematisch mit den starken Töchtern Gottes auseinandersetzt.
Antonia Dölle, Magistra-Arbeit im Fach Dogmatik zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra Theologiae. Traditionsbruch: Frauenordination im Judentum. Entwicklungen – Argumente – Perspektiven, 31.05.2023.