Am 2. Juli 2019 feierte das Interdiözesane Offizialat Erfurt sein 40-jähriges Bestehen. Als Kirchengericht beschäftigt sich das Offizialat mit der Annullierung ehelicher Beziehungen, denn eine “Scheidung” der Ehe, die nach den Grundsätzen der katholischen Kirche als Sakrament gilt, ist nicht möglich. Die Professur für Dogmatik der Universität Erfurt, unter Leitung von Prof. Dr. Julia Knop, nahm das Jubiläum zum Anlass für einen Studientag. Er warf theologische Schlaglichter auf die Sakramentalität der Ehe und fragte nach den Bedingungen für ein zeitgemäßes kirchliches Eheverständnis.
Katholikinnen und Katholiken heiraten zweimal – einmal auf dem Standesamt und einmal in der Kirche. Im Traugottesdienst stellen zwei Menschen, die ihre rechtlichen Verbindlichkeiten vor dem Standesbeamten geregelt haben, ihre Beziehung in den Horizont des Glaubens und unter den Segen Gottes. Die kirchliche Trauung macht ihre Beziehung weder liebevoller noch resistenter gegenüber den Herausforderungen des gemeinsamen Lebens. Aber sie spricht dem Paar Gottes Gnade und Segen zu. Die Eheschließung ist deshalb in der katholischen Kirche ein “Sakrament”: ein kraftvolles Zeichen, in dem Gottes Zuwendung erbeten und erfahren wird. Die Sakramentalität der Ehe kann keineswegs auf Regeln und Abläufe oder formale rechtliche Fragen reduziert werden. Gerade als Sakrament steht die Ehe im größeren Kontext von Glauben und Leben, Gebet und Gottesdienst. Das ist für Theologie, Pastoral und Kirchenrecht, die sich je auf ihre Weise mit der Ehe beschäftigen, eine Herausforderung ersten Ranges.
– Julia Knop
Dieser Herausforderung stellten sich am 2. Juli gut 60 Interessierte aus dem ganzen Bundesgebiet, die zu einer Tagung nach Erfurt gekommen waren. Der Studientag zur Theologie der Ehe fand im Anschluss an den Festakt zum 40. Jubiläum des Interdiözesanen Offizialates in Erfurt statt. Professorinnen und Professoren aus dem In- und Ausland traten mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Ordinariaten und Offizialaten, Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Verantwortlichen der Ehe- und Familienberatung, Studierenden und Promovierenden ins Gespräch.
Ein solcher Austausch ist ebenso selten wie notwendig, sind doch die jeweiligen Perspektiven auf die Ehe recht verschieden, teils unvereinbar. Lehre und Leben, Kirchenrecht und Erfahrung gehen bekanntlich gerade im Bereich von Familie und Partnerschaft weit auseinander. Der Anspruch der katholischen Kirche, Paarbeziehungen von Christen moralisch zu beurteilen und rechtlich zu regeln, steht zudem in einer modernen Gesellschaft insgesamt in Frage. Denn seit fast 150 Jahren erfüllen die Religionsgemeinschaften keine zivilrechtlichen Funktionen mehr. Lebens- und Beziehungsfragen sind Gewissensfragen im strengen Sinne. Auch der Staat agiert nur subsidiär, er stützt und schützt, was für die Gesellschaft stützens- und schützenswert ist.
Was bedeutet das für eine zeitgemäßes kirchliches Eheverständnis? Papst Franziskus hat dazu 2016 in seinem nachsynodalen Schreiben “Amoris Laetitia” starke Impulse gesetzt. Die Kirche sei “berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen” (Nr. 37). Sein Schreiben sollte ein “Aggiornamento”, also eine “Verheutigung”, kirchlichen Lebens initiieren, die den Gläubigen wirklich gerecht wird. Was das im Einzelnen bedeutet und was in den verschiedenen Kulturen der Weltkirche jeweils nötig ist, lässt sich freilich nicht zentral dekretieren. Hier ist neben einer erneuerten Pastoral und Rechtsprechung die Theologie vor Ort besonders gefragt, die Franziskus 2017 als “kulturelles Laboratorium” beschrieben und zu einem “mutigen Paradigmenwechsel” aufgefordert hat (Veritatis Gaudium, Nr. 4). Sie kann und sie muss auch diejenigen Fragen diskutieren, bei denen bisherige Antworten der Kirche an ihre Grenzen kommen. Damit kann sie den eingeschlagenen synodalen Weg der Kirche in Deutschland konstruktiv unterstützen.
Die Themen liegen auf der Hand; sie sind nicht neu: Über die Option einer Ehe-Annullierung hinaus geht es darum, einen angemessenen Umgang mit Brüchen von Partnerschaften und Lebensläufen zu entwickeln. Erkenntnisse heutiger Sexual- und Genderforschung sind ernsthaft zu rezipieren und in kirchliche Geschlechteranthropologien zu integrieren; entsprechende gesellschaftspolitische und grundrechtliche Standards sind aufzunehmen; Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Identität, des Geschlechts oder der Lebensform muss auch in der Kirche entgegengewirkt werden. Dogmatische, ethische, ökumenische und liturgische Fragen zu Partnerschaft, Ehe und Familie stellen sich heute anders und müssen womöglich auch anders beantwortet werden als in der Vergangenheit – zumindest dann, wenn sich die katholische Kirche auch 2019 wirklich der “Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute” (II. Vatikanisches Konzil, Gaudium et Spes, Nr. 1) annehmen will.
An der Tagung wirkten durch Vorträge mit:
Prof. Dr. Julia Knop ist Professorin für Dogmatikan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt.
Zu ihren aktuellen Forschungsschwerpunkten zählt die Frage der Verortung und Begründung dogmatischer Theologie angesichts der zunehmenden Irrelevanz und Implausibilität der Gottesfrage. Weitere Interessensschwerpunkte sind die Hermeneutik des II. Vatikanischen Konzils sowie die metakritische Analyse systematisch-theologischer Konzepte und Ansätze.