Die katholische Kirche habe im Umgang mit Missbrauchsfällen große Fortschritte gemacht, befindet die Erfurter Kirchenrechtlerin Prof. Dr. Myriam Wijlens. Grund dafür sei ein innerkirchlich gewachsenes Bewusstsein für das Problem sowie eine größere Bereitschaft der Opfer, Übergriffe zur Anzeige zu bringen. Im Interview mit vaticannews.de erklärt sie: “Das Recht der Kinder, in einer sicheren Umgebung aufzuwachsen, wird von mehr Menschen wahrgenommen.”
Mittlerweile zehn Jahre ist es her, dass es in Deutschland zum “großen Ausbruch” gekommen ist, erinnert Wijlens und verweist damit auf den medial weithin beachteten Missbrauchsskandal, der 2010 ausgehend vom Berliner Canisius-Kolleg und den Regensburger Domspatzen über die gesamte Weltkirche hinweggerollt war. Die enorme Medienpräsenz habe seinerzeit auch dazu geführt, dass sich zunehmend mehr Opfer getraut hätten, Missbrauchsfälle an die Kirchenleitung zu melden, so Wijlens im Interview weiter. Die Folgen dieser Entwicklung sind bis heute sichtbar: Zwar habe die Zahl der Missbrauchsfälle zugenommen, doch bedeute dies nicht, dass es zu mehr Delikten gekommen sei, wohl aber dass diese immer öfter zur Anzeige gebracht werden: “Die Chance, dass Menschen heute gehört werden, ist sehr viel besser”, urteilt die Kanonistin. “Man sieht, dass sich in vielen Teilen der Welt eine Kultur entwickelt, in der Menschen den Mut haben, Missbrauch zu melden – und wo sie dann auch gehört werden. In den Prozessverfahren selbst wird man sehen müssen, was wir da noch verbessern können.”
– Myriam Wijlens
Doch nicht erst in der Aufarbeitung, auch in der Prävention lassen sich der Kirchenrechtlerin zufolge eindeutige Fortschritte erkennen. Hierbei kommt dem Umgang mit Kichenvertreter*innen in Bistums- und Ordensleitungen, die in der Vergangenheit zum Teil Täter*innen gedeckt hatten, die entscheidende Rolle zu: “Ich glaube, in diesem Bereich hat es geholfen, dass Papst Franziskus gesagt hat, diejenigen, die diese Ämter und die Verantwortung innehaben, müssen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie ihr Amt nicht entsprechend ausgeübt haben. Und das führt jetzt langsam, aber sicher zu Prozessen, in denen das noch einmal untersucht wird.“
Im Gespräch begrüßte Wijlens weiterhin die kürzlich von Papst Franziskus getroffene Entscheidung, in Missbrauchsfällen das päpstliche Geheimnis aufzuheben. “Geheimnis hat etwas Negatives”, befinet die gebürtige Niederländerin. “Und Geheimnis ist etwas anderes als Vertraulichkeit. Vertraulichkeit muss man garantieren, damit auch die Opfer weiterhin geschützt werden. Aber durch diese Aufhebung des päpstlichen Geheimnisses gibt es die Möglichkeit, die Informationen vor allem mit den Betroffenen besser zu teilen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt vorwärts.”
Zum vollständigen Interview mit vaticannews.de zum Nachlesen und Nachhören: Kirchenrechtlerin: Kampf gegen Missbrauch ist vorangekommen
(Titelbild: Servizio Fotografico Vaticano)
Prof. Dr. Myriam Wijlens ist Professorin für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. 2018 ernannte sie Papst Franziskus zum Mitglied der “Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen”. Als Kommissionsmitglied ist es ihre Aufgabe, den Bischof von Rom in Fragen des Kinderschutzes zu beraten.