Wie schon in vergangenen Jahren brachte auch in diesem Sommer das von Holger Zaborowski und Martin W. Ramb organisierte Festival Denkbares Vertreter*innen aus Wissenschaft, Politik und Kunst zusammen, um an besonderen Orten und in verschiedenen Formaten über ein aktuelles Thema zu diskutieren. Der Fokus lag in diesem Jahr auf Religion und Politik. Gäste waren unter anderem Prof. Dr. Gesine Schwan und Ministerpräsidentin a. D. Christine Lieberknecht. Wir haben mit Prof. Zaborowski über die Entstehung des Festivals gesprochen und darüber, warum man die Rolle von Musik niemals unterschätzen sollte.
Die erste Beschreibung des Festivals, auf die man im Internet trifft, lautet: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Denkbares führt Menschen über Themen auf Augenhöhe zusammen. Und das an besonderen Orten am Rhein, Lahn und im Westerwald - oftmals mit einer musikalischen Begleitung.“ Wie genau ist diese Idee entstanden?
Martin Ramb vom Bistum Limburg und ich haben diese Idee vor etwas mehr als 9 Jahren entwickelt. Uns geht es darum, in der Region Koblenz – Westerwald – Montabaur Räume des Nachdenkens und des Gespräches über wichtige Fragen der Zeit zu eröffnen. Manchmal sind die Veranstaltungen – bewusst – sehr klein, so dass ein tiefes Gespräch entstehen kann. An diesem Format besteht ein sehr großes Interesse. Vielleicht hängt das auch mit der Situation nach der Pandemie zusammen. Es besteht ein Bedürfnis nach echter Begegnung. Manchmal sind wir aber auch in einer Stadthalle wie in diesem Jahr mit Gesine Schwan und Hendrik Hering, dem Landtagspräsidenten von Rheinland-Pfalz. Dann erreichen wir auch schon mal 150-200 Menschen.
Das Festival scheint darauf abzuzielen, eine große Breite an Menschen über eine Vielzahl von Themen zu erreichen. Welche Kriterien spielen bei der Themenfindung und der Auswahl der Gäste eine Rolle? Und wie setzt sich das Publikum des Festivals zusammen?
Seit einiger Zeit beschäftigen wir uns mit der Frage danach, was Europa eigentlich ist und zusammenhält. Wir sprechen dabei von den "Koordinaten Europas". In jedem Jahr steht eine Koordinate im Vordergrund. Nach den Koordinaten "Solidarität und Verantwortung", "Freiheit und Menschenwürde" und "Ökologie und Ökonomie" stand in diesem Jahr die Koordinate "Religion und Politik" im Vordergrund. Bei der konkreten Programmgestaltung versuchen wir, verschiedene Perspektiven einzubringen. So haben wir in diesem Jahr christliche, islamische und ganz säkulare Sichtweisen auf das Spannungsverhältnis von Religion und Politik berücksichtigt.
Das Publikum ist ebenfalls sehr unterschiedlich. Wir erreichen auch dadurch, dass wir mit verschiedenen Kooperationspartnern zusammenarbeiten, verschiedenste Kreise. Dadurch, dass wir auch mit Schulen und Universitäten kooperieren, erreichen wir auch erfreulich viele junge Menschen.
Das Diesjährige Thema ist „Religion und Politik“ und in den verschiedenen Veranstaltungen wird eine große Bandbreite an Fragestellungen zur Sprache gebracht – von Religionsfreiheit über die Deutsche Sprache bis hin zum Klimawandel. Die Auswirkungen der aktuellen Umbrüche und Krisen in der Gesellschaft und der Politik sind häufig schwer abzusehen oder in Worte zu fassen. Kann ein Festival wie Denkbares, das geisteswissenschaftliche Reflektion und Gespräche mit Kunst und Musik verbindet, die aktuelle Lage anders einfangen als eine klassische Tagung oder Podiumsdiskussion?
Auf jeden Fall. Zum einen erreichen wir auch ein nicht-wissenschaftliches Publikum. Viele Gäste nehmen an zahlreichen Veranstaltungen teil, so dass sich ein richtiger Gesprächsfaden entwickelt. Auch die Atmosphäre spielt eine besondere Rolle. Wir wählen die Orte sehr sorgfältig aus. Im Anschluss an die Veranstaltungen gibt es meistens die Möglichkeit, noch in informellem Rahmen zusammen zu sitzen und das Gespräch fortzusetzen. Im Laufe der Zeit sind dadurch auch viele Freundschaften entstanden.
Außerdem geht es uns darum, die Inhalte des Festivals durch eine Buchpublikation oder auch durch Podcasts zugänglich zu machen. Auch zum diesjährigen Festival wird es einen Band geben, der die einzelnen Vorträge, aber auch weitere Beiträge versammelt. Diese Bände stoßen auf eine sehr erfreuliche Resonanz.
Wir stellen sie dann auch regelmäßig auf dem Festival vor. In diesem Jahr haben wir im Rahmen einer Matinee den Band "Freiheit und Menschenwürde" vorstellt und dabei am Tag der Deutschen Einheit über die Gabe und Aufgabe der Freiheit angesichts der aktuellen politischen Situation gesprochen – aus ostdeutscher, philosophischer und ökonomischer Perspektive.
Neben Vorträgen und Podiumsdiskussionen gibt es bei Denkbares auch viel Musik zu hören. Welche Rolle spielt die musikalische Begleitung beim Festival und welche Wirkung hat sie, Ihrer Erfahrung nach, auf die Zuhörerenden?
Man kann die Rolle der Musik nicht unterschätzen. Wir verstehen die Musik nicht einfach nur als "schöne Begleitung" einer Veranstaltung. Das musikalische Programm ist thematisch auf die einzelnen Veranstaltungen abgestimmt, so dass ein wirklicher Dialog zwischen Philosophie und Musik entsteht. Bei der Präsentation von Gesine Schwans neuem Buch Warum ich die Hoffnung nicht aufgebe wurde sehr beschwingte Jazzmusik gespielt. Das hat nicht nur den Gästen, sondern auch Frau Schwan und dem Landtagspräsidenten sehr gut gefallen.
Auf der Website des Festivals finden Sie weitere Informationen sowie einen Rückblick auf die vergangenen Jahre und alle im Rahmen des Festivals entstandenen Publikationen.