Immer wieder betont die Kirche die Bedeutung der Heiligen Eucharistie für das Leben in der Gemeinde. Dennoch wird gerade dort über das “Abendmahl” häufig geschwiegen. Wissenschaftliche Diskussionen zum Thema finden nicht ihren Weg in die Gemeinde, kritisiert Prof. Dr. Dr. Thomas Johann Bauer. Die aktuelle Ausgabe der Schriftreihe “Theologie der Gegenwart” widmet sich dem “Herrenmahl”, seiner Tradition und seiner Deutung.
Das Thema “Eucharistie” bzw. “Abendmahl” kommt in den katholischen und evangelischen Gemeinden heute in Predigt und Verkündigung, in einer kritisch reflektierten Sicht, kaum mehr vor. Wahrscheinlich darf man sogar davon ausgehen, dass in den Gemeinden beider Kirchen von den meisten Mitgliedern eine Belehrung zu Geschichte und Theologie dieser zentralen kirchlichen Feier auch nicht sonderlich vermisst wird. Wenn die “Eucharistie” bzw. das “Abendmahl” in den Gemeinden zum Thema wird, dann beschränkt sich dies meist auf die Frage der eucharistischen Gemeinschaft zwischen Katholiken und Protestanten und in katholischen Gemeinden daneben noch auf die Frage der Zulassung von geschiedenen Wiederverheirateten oder des nicht-katholischen Partners in konfessionsverschiedenen Ehen zum Empfang der Kommunion. Aktuelle wissenschaftliche Diskussionen zu diesem Thema und ihre Ergebnisse werden jedoch kaum mehr in die Gemeinden hinein vermittelt. Historische und theologische Probleme, die damit verbunden sind, werden in Predigt und Verkündigung vermieden und dürften den meisten Mitgliedern der Gemeinden auch nicht einmal bewusst sein.
Das Schweigen über “Eucharistie” bzw. “Abendmahl” in den Gemeinden sowie die im Bewusstsein der Gemeindemitglieder weitgehend ausbleibende Rezeption theologischen Erkenntnisse zu diesem Thema, stehen in einem auffallenden Gegensatz zu der von den Leitungen der Kirchen stets betonten zentralen Bedeutung der Feier von “Eucharistie” bzw. “Abendmahl” für das Leben der Gemeinden. Das Schweigen der Verkündigung und das weitgehende Ausfallen der Katechese zu diesem Thema befremdet auch angesichts der Tatsache, dass katholische und meist auch evangelischen Gemeinden zumindest Sonntag für Sonntag ganz selbstverständlich die “Eucharistie” bzw. das “Abendmahl” feiern. In seiner neusten Ausgabe möchte die Schriftreihe “Theologie der Gegenwart” deshalb einzelne Aspekte der gegenwärtigen wissenschaftlichen Reflexion über “Eucharistie” bzw. das “Abendmahl” aufgreifen und zu einem verstärkten Nachdenken über Ursprung, Geschichte und Deutung dieser im Leben der Kirche zentralen Handlung anregen.
Aus Sicht der neutestamentlichen Forschung thematisiere ich selbst in meinem Beitrag “‘Tut dies zu meinem Gedächtnis …’ Erwägungen zu Ursprung und Deutung des Herrenmahls in der nachösterlichen Jüngergemeinde” eine simple und unkritische Rückführung der Mahlpraxis in den christlichen Gemeinden auf einen Stiftungsakt des historischen Jesus von Nazaret und ein Abschiedsmahl, das er am Abend vor seinem Leiden mit seinen Jüngern gefeiert hat. Problematisiert wird dabei die Annahme, die Anfänge der “Eucharistie” bzw. des “Abendmahls” lägen in einem Abschiedsmahl Jesu, das er mit den Zwölf am Abend vor seinem Leiden gehalten und dessen symbolische Handlungen mit Brot und Becher er ihnen zur Wiederholung aufgetragen habe. Die Erzählungen vom Abschiedsmahl Jesu in den Evangelien hätten ihren Ursprung vielmehr in den Mahlfeiern der christlichen Gemeinden. Diese nachösterlichen Gemeindemähler dienten der Erinnerung an Jesus, der die Gemeinschaft mit Ausgegrenzten und Sündern beim festlichen Mahl als Zeichen der Nähe des Gottesreiches und Erfahrung des Heils verstand, und diese Mähler waren für die nachösterliche Jüngergemeinde der Ort der Erfahrung der bleibenden Wirksamkeit und Gegenwart Jesu über seinen Tod am Kreuz hinaus.
Ausgehend von der sich in patristischer Zeit erst allmählich entwickelnden Sakramententheologie, analysiert Notker Baumann (Erfurt) unter der Überschrift “‘Symbolismus’ und ‘Metabolismus’. Zur theologischen Deutung der eucharistischen Elemente in der Alten Kirche” weiterhin zwei, sich in der Alten Kirche herausbildende, zentrale Modelle des Verständnisses der “Eucharistie” und legt ihre Hintergründe offen. Der Artikel stellt diese beiden Strömungen der Deutungen des eucharistischen Geschehens und der eucharistischen Gaben anhand zentraler altkirchlicher Texte vor. Dabei möchte er zeigen, dass beide Modelle, die bis heute in der Eucharistie- und Sakramententheologie diskutiert werden, einander bei altkirchlichen Autoren nicht ausschließen, sondern sich in ihrem Denken ergänzen können; denn wiederholt finden sich bei ein und demselben Schriftsteller Aussagen beider Richtungen.
Das großen Reformationsgedenken des Jahres 2017 gemahnt an die Frage nach Martin Luther und seinem Verständnis der “Eucharistie”, die der Beitrag von Athina Lexutt (Gießen) aufgreift. Ihr Beitrag “Das ist mein Leib. Grundzüge des Verständnisses Luthers vom Herrenmahl” zielt nicht nur auf eine historische Vergewisserung, sondern thematisiert Luthers Verständnis und Deutung des “Abendmahls” im Blick auf bleibende ökumenische Herausforderungen und Perspektiven für die Zukunft der getrennten Kirchen. Luther begann 1519 ausführlicher, sich mit den Fragen um das Herrenmahl zu beschäftigen. War ihm zunächst der Gemeinschaftscharakter wichtig, so nahm insbesondere in der kontroverstheologischen Auseinandersetzung mit Vertretern der römischen Kirche sowie in der Kontroverse mit den Schwärmern und den Schweizern, die Frage nach dem unmittelbaren Geschehen zwischen zusagendem Christus und vertrauendem Glaubenden die zentrale Rolle ein. Dem ist es auch zuzuschreiben, dass Luther so unbedingt an der Realpräsenz festhielt, die es als einziges “Modell” erlaubte, den zusagenden Christus “beim Wort nehmen” zu dürfen und von dort aus das Vertrauenswürdige des Heilsgeschehens zu erfahren und zu verkünden.
In ihrem Beitrag “Klingende Rezeption des Letzten Abendmahls im Wandel von 50 Jahren. Klangschöpfungen von Max Baumann (1959) und Wilfried Hiller (2009)” lenkt Michaela C. Hastetter (Trumau/Heiligenkreuz, Österreich) den Blick abschließend auf zwei Rezeptionen und Deutungen des Themas in der neueren Musik und legt offen, wie hier für die Verkündigung und Pastoral neue Zugänge erschlossen werden können. Die theologisch-spirituelle Dimension der Musik wird auf der Basis von biblischen, liturgischen, spirituellen und säkularen Inspirationsquellen der Komponisten analysiert. Auf diese Weise werden traditionelle, aber auch unkonventionelle Zugänge zum biblischen Ereignis sichtbar.
Ergänzt wird das Heft durch einen Bericht von Jonatan Burger (Freiburg im Breisgau) zu einer Tagung in Leipzig, die sich der schwierigen Frage widmete, wie sich die katholische Kirche in Deutschland der Herausforderung durch die AfD stellen kann, zumal diese Partei mit ihren Zielen auch in katholischen Kreisen Sympathie findet.
Hinweis der Redaktion: Auf ihrer Homepage bietet “Theologie der Gegenwart” den jeweils ersten Beitrag einer Ausgabe sowie Buchbesprechungen als Volltext zum Nachlesen an. Alle weiteren Beiträge können exemplarisch angelesen werden.
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