Wenn Roboter zur Pflegefachkraft und Apps zum digitalen Seelentröster werden, dann hat die christliche Theologie doch sicherlich etwas dazu zu sagen? Richtig. Nur was? Ende Februar tagte zu dieser Frage im Vatikan die Jahreshauptversammlung der Päpstlichen Akademie des Lebens. Unter dem Titel “Roboethik. Menschen, Maschinen und Gesundheit” berieten Kirchenvertreter sowie internationale Wissenschaftler darüber, welche Auswirkungen der Einsatz künstlicher Intelligenzen auf das menschliche Leben habe und welche ethischen Fragen damit verknüpft seien. Für THEOLOGIE AKTUELL hat Prof. Dr. Josef Römelt, Moraltheologe an der Universität Erfurt, darüber nachgedacht, welche Facetten künstlicher Intelligenz für die Moraltheologie künftig besonders relevant sein werden.
Künstliche Intelligenz und Robotertechnik sind Erfindungen des Menschen, Errungenschaften seiner wissenschaftlichen Forschung und technischen Entwicklung. Die ethischen Fragen berühren nicht, wie manchmal unterstellt wird, die Gefahr menschlicher Selbstüberschätzung. Also dass in der Entfaltung digitaler Medien und technologischer Produkte eine geistige und praktische Macht entfaltet wird, welche das menschliche Maß sprengt: zum Beispiel bei der Bereitstellung von Computern oder Mikrochips, welche aufgrund ihrer Rechenleistung, Lösung komplexester logischer und mathematischer Probleme, Verarbeitung von gigantischen Datenmengen mit unvorstellbarer Schnelligkeit und Genauigkeit die Vorstellung von Geist, Bewusstsein und Spiritualität ins Unendliche steigern könnten; oder dass Roboter selbst den Menschen überflügeln und die Herrschaft bis in die gesellschaftlichen und politischen (auch: militärischen?) Zentren hinein übernehmen würden. Solche Ängste gehören in die Welt von Science-Fiction.
Moralische Fragen aber tauchen dort auf, wo die menschliche Lebenswelt durch den Einfluss digitaler Medien und umfangreicher Unterstützung mithilfe von Automaten, Apparaten usw. belastet wird. Das betrifft insbesondere die Arbeitswelt, die alltägliche Versorgung und besonders jene Bedürfnisse, welche mit Transport, Kommunikation und Pflege zusammenhängen. Die Digitalisierung der Arbeitsabläufe zum Beispiel ermöglicht die Erledigung von Aufgaben häufig rascher, umfassender und effizienter. Gerade gut ausgebildete Facharbeiter*innen und Akademiker*innen werden erleben, wie ihre Tätigkeiten besser von intelligenten Algorithmen übernommen werden. “Der Einsatz digitaler Technologien wird mit größter Wahrscheinlichkeit deutlich mehr Arbeitsplätze vernichten, als neue entstehen lassen.” (Kai Anderson) Aber ich habe die Hoffnung, dass die sozialmarktwirtschaftlichen Mechanismen, die in unserer Gesellschaft Geltung haben, diese Herausforderung meistern können.
– Josef Römelt
Die eigentlichen ethischen Konflikte betreffen die Digitalisierung und Robotorik strukturell. Die Eigengesetzlichkeit menschlicher Verarbeitungsprozesse in ihren kommunikativen, emotionalen und holistischen Aspekten unterscheidet sich vom digitalen System und der Welt der Roboter. Die Tiefenschicht menschlicher Verarbeitung kann vom digitalen System letztlich nicht erreicht werden. Und Automaten begegnen dem Menschen letztlich doch nur imitiert menschlich.
Ein Beispiel: Es ist unrealistisch, die Beurteilung einer medizinischen Behandlung ganz einer Auswertung durch den Computer anzuvertrauen. Ärztliche Erfahrung vermag aus der Fülle der Daten Sinn und Grenzen von Therapieverfahren letztlich so zu bestimmen, dass die Behandlung nicht nur medizinisch sinnvoll, finanziell angemessen und zeitlich machbar ist. Schon das ist eine ungeheure Integrationsleistung, die vielleicht eine technische Auswertung von Patient*innendaten durchaus sinnvoll unterstützen kann. Vor allem aber kann der Arzt im Blick auf die Kooperation der Patient*innen, im Blick auf seine Ressourcen (auch die des therapeutischen Teams und der Pflege), ja auch im Blick auf die „Geheimnisse der Natur“, eine wirklich menschliche Medizin zu gestalten versuchen.
Ein weiteres Beispiel: Nur in der ganzheitlichen Begegnung, die alle Facetten zu umfassen vermag (Mimik, Gestik, aber auch das gemeinsam geteilte „Setting“), scheint menschliche Begegnung ihre eigene Qualität zu finden. Das betrifft professionelle Kommunikation, intime Begegnung, aber auch fürsorgliche Aufgaben! Zum Beispiel erfordern die Bildungsprozesse an der Universität ein gewisses Maß an direkter Begegnung zwischen Lehrenden und Lernenden (vgl. die Diskussion um die Präsenzpflicht bei Vorlesungen), gerade um dem gegenwärtigen Ideal einer Lehre als Begleitung von individuellen Lernprozessen der Studierenden entsprechen zu können. Betriebe verlangen Präsenzpflicht bei besonders sensiblen Kommunikationsprozessen. Bekannt ist auch, dass etwa (verzeihen Sie das etwas schwierige Beispiel) der Pornographiekonsum bei Jugendlichen durch konkrete Beziehungswelten nachweisbar überflüssig wird.
Und auch hier das Beispiel aus Medizin und Behindertenrecht: Ein Betreuungsrichter darf für einen Menschen keine Betreuung verfügen, wenn er diesen nicht unmittelbar aufgesucht und gesehen hat. Ja, auch für jede ärztliche Maßnahme gilt: Keine Diagnose durchs Telefon oder „durch die Hose“, also nicht ohne die persönliche Begegnung von Arzt und Patient. Sicherlich ist es auch eine Frage der persönlichen Präferenzen, sich in der Pflege oder in anderen Lebenszusammenhängen Serviceleistungen eher durch Maschinen bereitstellen zu lassen. Manch einer sucht die Anonymität als Schutz gerade der eigenen Intimität, wenn er sich zum Beispiel via Internet beraten oder mithilfe starker Rehahilfen aus dem Bett heben lässt. Ich lasse mir die Zeit nachts aufgrund meiner eigenen Behinderung auf Sprachbefehl durch mein Handy ansagen. Und ich freue mich über den natürlichen Klang, mit dem die mittlerweile perfekt imitierte menschliche Stimme mir diese Anfrage aus dem Gerät zuverlässig und freundlich beantwortet. Und doch gibt es Situationen, in denen das unmittelbare Gespräch mit einem Gegenüber, in dessen Augen ich schauen kann, und die sensible Berührung durch einen Anderen, dessen Mitgefühl ich tief spüren kann, unverzichtbar sind.
Ein drittes Beispiel: In der fehlenden Anschaulichkeit ist dann auch das Problem der Anonymität begründet, das menschliche Austausch- und Begegnungsprozesse belasten kann. Auch hier ist die Rede von einem Risiko, keinem Automatismus. Aber aufgrund der zeitlichen und räumlichen Verdichtung lassen die digitalen Systeme die menschlichen Subjekte im Hintergrund verschwimmen. Sie können sie der eigenen Logik gefügig machen, ohne die Konsequenzen und Folgen für die dahinterstehenden Schicksale angemessen sichtbar zu machen. Was etwa die Frage nach der informationellen Selbstbestimmung so sensibel macht, ist nicht nur die Gefahr eines möglichen Missbrauchs durch großräumige totalitäre Interessen in Politik und Gesellschaft. Die ganz alltägliche Selbststeuerung wird durch die digitale Systematik beeinflusst. Im hilfreichen Sinne erscheint das als Eröffnung von Optionen, wenn mir durch personalisierte Werbung gezielte Angebote gemacht werden, die mich auf neue Ideen bringen.
Aber all dies wird zu einer massiven Belastung, wenn ich nicht mehr bestimmen kann, welche kognitiven und emotionalen Ressourcen mit „ungebetenen Gästen“ besetzt werden, die in verschiedene Lebensräume der Alltagswirklichkeit eindringen können: Im Letzten lässt sich nicht überschauen, wer welche Daten erhält, wozu er sie nutzt und wann er sie für mein Leben relevant ins Spiel bringt. Ethisch unakzeptabel wird dies, wenn die Privatsphäre unter dem Druck der Weitergabe von Daten und Informationen verschwindet. Eine Ahnung davon vermitteln Internetforen und Kampagnen, welche aufgrund der Schnelligkeit, Anonymität und Unmittelbarkeit normale Mechanismen von respektvoller Distanz und Zurückhaltung zum Verschwinden bringen. Ähnlich wie etwa bei Massenphänomenen das Vermummungsverbot strukturell menschliches Antlitz präsent halten soll, so bedarf es auch in der Gestaltung digitaler Systeme geradezu instinkthafter Mechanismen (Ethikkodices, Supervision von Foren und Plattformen, Aufhebung von Anonymität), damit hier humane Grenzen nicht einfach en passant überschritten werden.
Prof. Dr. Josef Römelt ist Professor für Moraltheologie an der Universität Erfurt. Er forscht unter anderem zu Paradigmen der theologischen Ethik nach dem II. Vatikanischen Konzil und zu Fragen der Rechtsethik sowie der Medizinethik.