Corona als Chance für unsere Gesellschaft – für ein solches Verständnis der Krise plädiert der christliche Sozialethiker Dr. Jakob Drobnik. Die notwendige Isolation des Einzelnen bringe nur umso stärker zum Ausdruck, wie sehr der Mensch auf das Gemeinwesen und die soziale Interaktion angewiesen ist. “Die Erfahrung von Einsamkeit, Hilflosigkeit und wirtschaftlicher Ungewissheit, sollten für ein mehr-füreinander und mehr-miteinander genutzt werden, um als stärkere Gesellschaft aus der Krise zu kommen”, plädiert er. Und: Die mittlerweile globale Corona-Krise offenbare, dass – fernab jeder Grenze – wir doch alle gleich sind.
von Dr. Jakob B. Drobnik
Für den modernen Menschen stand der Begriff “Pandemie” zumeist für etwas höchst Abstraktes, wenn nicht geradezu Fantastisches, das ihm von Katastrophenfilmen und bestenfalls aus der Geschichte bekannt war. Letztere liefert schon seit der Antike zahlreiche Befunde, die von der Antoninischen Pest zwischen 165-180, über die Justinianische- ab 541, bis zur mittelalterlichen Pest zwischen 1347-1353 u.a. reichen. Und sogar neuere Pandemien, wie etwa die sogenannte Spanische Grippe, die zwischen 1918 und 1920 in zwei Wellen mit einer Letalität von 5-10% Millionen Leben forderte, erschienen bis zuletzt als etwas weit Entferntes. Ähnlich war es mit den Aufschlüssen über ihre Auswirkungen auf die psycho-physische Verfassung des einzelnen Menschen, den Auswirkungen auf die Gesellschaft, den Staat und endlich auf die Kondition der Wirtschaft. Nun aber stehen wir selbst Auge in Auge gegenüber einer Krise, die unser ganzes Dasein – sowohl das individuelle, wie soziale – in seinen Grundzügen herausfordert.
Die bislang von staatlicher Seite aus eingeleiteten Präventivmaßnahmen, wie beschwerlich sie auch sein mögen, erscheinen heute dennoch unumgänglich. Aus ethischer Perspektive stellen sie zugleich – Corona (!) stellt einen – Weckruf an jeden Einzelnen von uns- und an unser Gemeinschafsverständnis dar. Durch die notwendige soziale Isolation kam nämlich umso mehr die Signifikanz der sozialen Integration zum Ausdruck. Gerade Corona trägt jetzt dazu bei, dass uns allen mehr bewusst wird, wie wichtig das Sozialleben und die Aufrechterhaltung interpersonaler Kontakte ist. Was uns der Nächste gibt, kann weder vom Internet, noch Fernsehen oder von anderen Kommunikationskanälen ersetzt werden. Denn es ist der direkte Bezug zum Nächsten, der uns selbst mehr Mensch werden lässt. Jene Wahrheit, die sich bereits zu Anfang des Alten Testaments wiederfindet: “Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt” (Gen 2,18), hat auch heute nichts an Aktualität verloren. Und obwohl die Angst vor Ansteckung durchaus berechtigt ist, darf sie nicht in Argwohn gegenüber dem Nächsten münden, sondern zur größeren Bewusstheit führen, dass wir aufeinander angewiesen sind und ohne einander auch nicht können.
– Jakob Drobnik
Die mittlerweile globale Corona-Krise offenbart auch explizit, dass fernab jeder Grenze wir doch alle gleich sind. Menschen in Italien und Frankreich, Deutschland oder Spanien teilen denselben Kummer, haben gleiche Hoffnungen und Sehnsüchte. Und jeder befindet sich an einem Scheidepunkt – weiß nicht, was die Zukunft bringen wird. Gerade dies fordert unseren Gemeinschaftssinn für mehr Solidarität und Subsidiarität. Viele Staaten rücken bereits näher und leisten sich gegenseitig materielle und personelle Hilfe. Deutschland geht mit gutem Beispiel voran, indem es Kranke aus Frankreich und Italien einfliegen und behandeln lässt. Ärzt*innen aus Polen, Frankreich, Russland, China und anderen Staaten arbeiten intensiv in der Lombardei und anderen Teilen der Welt. Gerade jetzt ist der Zusammenhalt wichtig und nur gemeinsam, wenn wir Seite an Seite stehen und aufeinander zählen können, können wir die Krise überwinden. Und wir befinden uns erst am Anfang.
Was bedeutet das für den Einzelnen, der um seine gesundheitliche und wirtschaftliche Existenz bangen muss? Solidarität fordert mehr Verantwortung fürs Gemeinwesen. Heute bedeutet das, in erster Linie, alle notwendige Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten, um die Pandemie einzudämmen. Dazu gehört nicht nur die soziale Isolation bzw. persönliche Kontakte auf ein Minimum einzuschränken, sondern auch aus Rücksicht gegenüber dem Nächsten, Masken und Handschuhe in der Öffentlichkeit zu tragen. Neue Gesetze sind dafür überflüssig. Es braucht nur mehr Verantwortungsbewusstheit für die Gesellschaft, die ich selbst mitgestalte und von der ich abhängig bin.
Da die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise, in ihrem ganzen Ausmaß noch nicht einzuschätzen sind, durchaus aber verheerend sein können, müssen wir alle – im Sinne der Subsidiarität – uns nicht nur auf sogenannten Engpässe einstellen und sie hinnehmen, sondern zueinanderhalten und uns gegenseitig zuarbeiten. Viele Menschen bekommen die Corona-Krise bereits jetzt stark zu spüren. Dies betrifft aber nicht nur Deutschland, sondern die ganze EU. Um eine Massenarbeitslosigkeit zu verhindern und den Erhalt unserer Gesellschaft zu sichern, wird es insbesondere an den EU-Institutionen liegen, entsprechende Richtlinien zu verabschieden, die unsere Wirtschaft wiederbeleben und die Existenz von Millionen Menschen sichern. Jene Maßnahmen, obwohl noch nicht ganz sichtbar, werden bereits jetzt von der EU eingeleitet und weiter vorbereitet.
Durchaus kann die Corona-Pandemie die Strukturen unserer Gesellschaft umgestalten. Dahingehend sollte sie aber als Chance verstanden werden, um nach ihrer Überwindung Mehr-zu-Sein. Die Erfahrung von Einsamkeit, Hilflosigkeit und wirtschaftlicher Ungewissheit, sollten für ein mehr-füreinander und mehr-miteinander genutzt werden, um als stärkere Gesellschaft aus der Krise zu kommen.
Dr. Jakob Drobnik ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik an der Universität Erfurt.