20 Jahre Katholisch-Theologische Fakultät: Die Integration in die Universität aus der kirchlichen Perspektive mit Winfried Weinrich

Forschung & Wissenschaft , Personalia
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Vor 20 Jahren wurde die Katholisch-Theologische Fakultät in die Universität Erfurt integriert. Wir haben mit denjenigen gesprochen, die diesen Prozess als Studierende, Professor*innen, Mitarbeiter*innen der Verwaltung oder aus der Perspektive der Kirche erlebt haben.

Mit Winfried Weinrich, dem damaligen Leiter des Katholischen Büros, haben wir über die (kirchen-)rechtlichen Aspekte der Integration und den nicht immer einfachen Verhandlungsprozess gesprochen.

 

Als Leiter des Katholischen Büros waren Sie für alle Belange, die Kirche und Staat betreffen, mit zuständig. Wann ist Ihnen das Thema, dass das Philosophisch-Theologische Studium als Fakultät in die damals neu gegründete Universität Erfurt integriert werden soll, zum ersten Mal begegnet?

Die ersten Signale erhielt ich von der Strukturkommission der Gründungskommission 1994, die dafür votiert hatte, dass zu einer wiederzugründenden Universität auch die Theologie gehören sollte. Konkret wurde es dann mit dem Staatskirchenvertrag, der 1997 abgeschlossen wurde, also das Konkordat des Freistaates Thüringen mit dem Heiligen Stuhl. Deren Verhandlungen begannen bereits 1993, doch haben wir insbesondere zu den hochschulrechtlichen Fragen länger ringen müssen, gerade auch mit Blick auf die damals noch kirchliche Hochschule, aber auch mit Blick auf eine mögliche staatliche Fakultät. Wir hatten uns dann entschlossen, diesen Aspekt zunächst einmal herauszunehmen. Das hatte verschiedene Gründe. So bestand die Thüringer Landesregierung damals aus einer großen Koalition, zwischen CDU und SPD. Nicht bei allen in der Koalition gab es einen Konsens, die hochschulrechtlichen Fragen, die das Staatkirchenrecht betrafen, einfach für Thüringen zu übernehmen. Da haben sich einige auch schwergetan, z. B. mit einer „Nihil obstat“-Regelung. Letztlich waren die Schritte zur Integration des Philosophisch-Theologischen Studiums in die Universität aber auch innerkirchlich noch nicht soweit. Seitens der Ortskirche sowie bei den Trägerbischöfen war zwar das Ziel klar, sich in die Universität hineinzubegeben, allerdings noch nicht seitens des Heiligen Stuhls.

 

Mit der Neugründung der Universität Erfurt 1994 war die Theologie also als fester Bestandteil eingeplant. War das ein kirchliches Bestreben oder ist man von Seiten der Gründungskommission an die Kirche herangetreten?

Vom damaligen Gründungsrektor Prof. Peter Glotz und von den Gremien, die die Gründung der Universität begleitet haben, gab es sehr viele positive Signale, die geisteswissenschaftlich ausgerichtete Universität Erfurt nicht ohne die Theologie zu gründen. Das hatte auch den Grund, dass über die vielen Jahrzehnte seit 1952, das Philosophische-Theologische Studium einen sehr guten Ruf hatte, auch über Deutschland hinaus. Selbst aus dem Professorenkollegium – ich denke noch an den damaligen Moraltheologen Prof. Wilhelm Ernst, der auch in den Gremien mitgearbeitet hatte und ein Fürsprecher für das Kollegium in diese Richtung war – kamen die Signale. Und nicht zuletzt hat Bischof Wanke als Ortsbischof und als Magnus Cancellarius bei den Trägerbischöfen dafür geworben, dass das der richtige Weg ist und die Theologie viel besser in den Dialog mit den anderen Geisteswissenschaften treten kann und sich stärker öffnet in die Gesellschaft hinein.

 

Zunächst hatte der Heilige Stuhl erst einmal gebremst und es kam 1999 zur Gründung der Theologischen Fakultät Erfurt – immer noch als kirchliche Hochschule. Was waren die nötigen Schritte, die zu gehen waren, um doch noch einen Weg zu finden, als Fakultät integriert zu werden?

Die Hemmnisse oder die Vorbehalte lagen in Rom, bei der Bildungskongregation, die damals sagte: Wir brauchen keine weitere staatliche theologische Fakultät in Deutschland, wir haben genügend und warum soll es nicht, wie in Fulda oder Paderborn, eine kirchliche Hochschule bleiben? Diese Situation hat sehr viele intensive Gespräche, weniger in der Öffentlichkeit, sondern auch auf einer vertraulichen Ebene ausgelöst. Einer der Unterstützer war der damalige Ministerpräsident Bernhard Vogel. Er führte mit dem damaligen Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano Gespräche sowie mit Kardinal Zenon Grocholewski von der Bildungskongregation. Zu dem damaligen Zeitpunkt wurden zwei kirchliche Hochschulen in Polen zu staatlichen Fakultäten. Grocholewski als Chef der Bildungskongregation war Pole und bekam nun die Frage, was in Polen möglich ist, warum soll das in Deutschland nicht sein. Das war ein Punkt, der auch Nachdenklichkeit in Rom erzeugt hat. Und das Zweite: Die Deutsche Bischofskonferenz mit Kardinal Karl Lehmann stand sehr stark dahinter. Er hat sich in allen möglichen Gremien für den Standort der Theologie als staatliche Fakultät hier in Erfurt eingesetzt, sowie auch unser Ortbischof und die anderen Trägerbischöfe.

Damit hatten wir aus der Bischofskonferenz, aus der Ortskirche, aus dem politischen Raum und aus dem hochschulpolitischen Raum eine sehr starke Unterstützung für die Integration.

Rom hatte uns dann für die Vorsondierungen hohe Verhandlungshürden an die Hand gegeben: Es mussten zwölf Professorenstellen mit Namen benannt werden. Das haben wir erreicht mit einem zusätzlichen Stiftungslehrstuhl als Beteiligung der Trägerbischöfe an den Kosten. Das zweite war, dass natürlich die „Nihil obstat“-Regelung auch hineinkam. Das war zu diesem Zeitpunkt leichter politisch zu vermitteln, weil es inzwischen eine Alleinregierung der CDU unter Bernhard Vogel gab, sodass man auch eine politische Mehrheit für diese Regelung hatte. Außerdem konnte eine sehr frühe Beteiligung des Magnus Cancellarius bei Neuberufungen von Professoren vereinbart werden, ohne die Freiheit der Universität zu beeinträchtigen. Die Vorsondierungen haben dann eineinhalb Jahre gedauert, die direkten Verhandlungen zehn Monate. Daran merkt man schon, wir haben sehr viel Wert daraufgelegt, so weit wie möglich vorzusondieren, damit wir dann wissen, dass die Verhandlungen nicht scheitern – das ist dann auch gelungen.

 

Was waren bei den Verhandlungen bis zur eigentlichen Integration die größten Schwierigkeiten?

Dieses geschilderte Niveau in den Verhandlungen auch durchzusetzen war kein Selbstläufer. Die staatlichen Verhandlungsführer wussten, dass sie alles rückbinden müssen und es als Gesetz durch den Landtag gehen muss. Die hatten natürlich immer im Blick: Ist das auch vermittelbar? Auch in den politischen Raum einer doch inzwischen säkular geprägten Gesellschaft. Das war ein Punkt, wo auch gerungen wurde. Die Beteiligung des Bischofs bei der Erstellung der Liste war keine Selbstverständlichkeit. Ich musste, als die Entwürfe vorlagen, in fast alle Fraktionen des Landtages und musste mich Rede und Antwort stellen sowie vor dem Hochschul- und Bildungsausschuss. Ich merkte dabei schon, dass in einigen Fraktionen, man kritisch auf vorgeschlagene Regeln geschaut hat und da war viel zu erklären und zu vermitteln, bis hin zur Frage von Frauen in leitenden Positionen. Aber die „Nihil obstat“-Regelung war und ist auch bis heute nicht einfach zu vermitteln und da gab es bei manchen Vorbehalte bis zum Schluss, sodass auch manche Abgeordnete nicht zugestimmt haben.

 

Neben der Regierungsfraktion gab es damals im Landtag noch die SPD und die PDS, von denen es ja sehr kritische bis auch äußerst ablehnende Stimmen gab. Wie war Ihr persönliches Erleben mit diesen beiden Oppositionsfraktionen?

In keiner der beiden Fraktionen haben alle mit Nein gestimmt. Es gab auch aus allen Fraktionen Zustimmung. Aber die Mehrheit der Enthaltungen und der Ablehnungen kamen natürlich aus SPD und PDS. Ein Leiter des Katholischen Büros muss in seinem Dienst eine Äquidistanz zu allen Partnern in der Politik haben und versuchen, unabhängig auch von diesem Integrationsvertrag, immer die Gesprächsfähigkeit zu allen Fraktionen aufrecht zu erhalten. Die Auseinandersetzungen waren teils kontrovers, aber sie waren fair, nicht unsachlich, nicht polemisch. Natürlich konnte ich nicht alle überzeugen. Ich habe auch, wohlwissend, wo die Parlamentarier herkommen und dass Staatskirchenrecht für viele ja auch zunächst einmal etwas Fremdes war, ungewohntes, viel erklärt, was diese Regelungen bedeuteten, was sie nicht bedeuteten. Und dass man mit so einem Instrumentarium wie dem „Nihil obstat“ sicher sehr, sehr vorsichtig umgehen muss und dass Einzelfälle, die man kannte aus anderen Bundesländern, mal in dem Gesamttableau angeschaut immer Ausnahmen sind.

 

War die „Nihil obstat“-Regelung bei den Kritikern das Hauptargument?

Das war ein Punkt. Ein anderer Punkt war die Vorstellung, der Staat müsse nun die Priesterausbildung bezahlen. Da musste man argumentieren: Erstens hatte sich seit 1990 das Portfolio der Studenten völlig verändert. Durch den schulischen Religionsunterricht kamen viele Lehramtsstudenten dazu. Zudem waren in den Studiengänge mit Hauptfach und Nebenfach auch Kombinationen möglich, wo man sagen musste, dass wir ja nicht nur für den kirchlichen Bereich ausbilden, sondern für unsere Schulen, für ein Fach, was nach der Thüringer Verfassung ein Pflichunterrichtsfach ist und wo ihr als Staat dafür sorgen müsst, dass auch die entsprechenden Lehrkräfte da sind. Außerdem würden eine ganze Reihe von Diplomtheologen auch in die Gesellschaft gehen, in viele Bereiche.

Ein anderer Punkt war natürlich die Frage der Finanzen. Es war ja nicht nur eine einfach finanzielle Entlastung der Trägerbischöfe, dass jetzt die Fakultät staatliche finanziert wurde, sondern auch die kirchliche Seite investierte 6,3 Mio. Euro in diese Integration – durch die Schenkung und Rekonversion der Bibliothek, durch die Sanierung der Villa Martin, durch die mietfreie Überlassung der Räumlichkeiten in der Domstaße und durch die Errichtung einer 13. Professur für 5 Jahre. Gegenüber der Universität und der staatlichen Seite versuchten wir so zu vermitteln, dass wir uns hier jetzt nicht nur einseitig entlasten wollen, sondern auch bedeutende Mittel einbringen.

 

Die zeitliche Frist zwischen Vertragsunterzeichnung und Integration war damals sehr eng gesetzt …

Wir hatten die Gespräche meist in der Nuntiatur in Berlin geführt, sodass die Nuntiatur regelmäßig den Verhandlungsstand kannte und diesen auf kurzem Weg nach Rom kommunizieren konnte. Begleitend gab es wichtige werbende Stimmen: Der damalige Uni-Präsident Prof. Bergsdorf war in Rom, Jürgen Aretz, damals Staatssekretär im Thüringer Wissenschaftsministerium war in Rom. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann sowie Kardinal Friedrich Wetter, Vorsitzender der Bildungskommission, haben ebenso den Prozess begleitet.

Es gab dann wirklich ein sehr konzertiertes Handeln im kirchlichen, staatlichen und auch im politischen Bereich, mit Personen wie Ministerpräsident Bernhard Vogel und seinen Verhandlungsführern, Dr. Görgen aus dem Kultusministerium und Dr. Debes aus der Staatskanzlei.

Die Verhandlungen waren im Mai 2002 zu Ende und es folgte dann die Paraphierung des Vertrages und die Behandlung im Landtag. Damals gab es eine Alleinregierung der CDU. Ich bin mir nicht sicher, wie sich die Landesregierung in einer Großen Koalition positioniert hätte. Das war also ein politisches Zeitfenster – so sehe ich das heute rückblickend – wo man gesagt hat, es ist gut, wenn wir das in dieser Legislatur auch auf der politischen Seite in trockene Tücher bekommen. Deshalb vielleicht dann auch die Eile.

 

Mit der Integration am 1.1.2003 war aber noch nicht alles getan…

Ja, zum Beispiel die personelle Überführung war auch noch zu klären: Wie werden die Lehrstühle und die einzelnen Professoren eingestuft? Wir hatten 12 Professuren und es war so, dass wir den Bestand erstmal übernommen haben und dann ein Personalkonzept gemacht haben über mehrere Jahre. Auch die Mitarbeiter- und Sekretäriatsstellen waren Bestandteil dieses Personalkonzepts. Da gab es dann einen Vertrag, der zwischen Dagmar Schipanski als Wissenschaftsministerin und dem Magnus Cancellarius abgeschlossen wurde.

 

Was hat Ihnen die Integration der Fakultät auf ganz persönlichen Ebene und im Kontext Ihrer beruflichen Laufbahn bedeutet?

Die Integration der Fakultät war für mich auch sowas wie eine Sternstunde – dass das gelungen ist. Natürlich auch der Vertrag zur Bistumsgründung 1994 und 1997 das Konkordat zwischen dem Freistaat Thüringen und dem Heiligen Stuhl. Aber, dass es gelungen ist, diese drei großen Staatsverträge durch’s Ziel zu bringen und auch die Fakultät – das war für mich schon sehr bewegend.

Ich bin froh, dass es weiterhin hier Theologie in Erfurt gibt. Ich halte es für unglaublich wichtig, hier in der Diaspora, hier in den neuen Bundesländern eine Ausbildungsstätte zu halten.

Ich wünschte mir sehr, dass auch die kirchlich Verantwortlichen sich besinnen und die Trägerbischöfe wieder sagen, wir stehen zu Erfurt, vor allem jetzt auch mit Blick auf die in Deutschland zu erhaltenden staatlichen theologischen Fakultäten.

 

Fragen und redaktionelle Bearbeitung: Dr. Martin Fischer und Sophie v. Kalckreuth