20 Jahre Katholisch-Theologische Fakultät: Die Integration in die Universität aus der Perspektive des damaligen Rektors und späteren Dekans Prof. Dr. Eberhard Tiefensee

Forschung & Wissenschaft , Personalia
Bild der Villa Martin im Frühling mit dem Schriftzug #20JahreKThF

Vor 20 Jahren wurde die Katholisch-Theologische Fakultät in die Universität Erfurt integriert. Wir haben mit denjenigen gesprochen, die diesen Prozess als Studierende, Professor*innen, Mitarbeiter*innen der Verwaltung oder aus der Perspektive der Kirche erlebt haben.

Prof. Dr. Eberhard Tiefensee war zum Zeitpunkt der Integration Rektor der Theologischen Fakultät Erfurt. Im Interview hat er seine Erinnerungen an diese Zeit mit uns geteilt.

 

Sie waren ab 1997 Professor für Philosophie an unserer Fakultät. Wie haben Sie die Zeit vor der Integration erlebt, als es zwar schon Bestrebungen in diese Richtung gab, die aber 1998 zunächst durch ein Veto aus Rom gestoppt wurden?

Das Veto war ein ziemlicher Schlag, weil es eigentlich das Ende der Hochschule bedeutet hätte. Denn rasch signalisierte sowohl die Deutsche Bischofskonferenz, die uns ja maßgeblich finanziell unterstützte, als auch das Bonifatiuswerk, das damals vor allem unsere Bibliothek finanziell getragen hat, dass sie ihre Unterstützung nicht fortsetzen würden, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht wollten sie den Römern etwas Druck machen. Michael Schramm war, als das Veto kam, gerade einen Tag lang neuer Rektor und fragte mich: ‚Ja, sollen wir denn überhaupt noch immatrikulieren, oder lassen wir das auslaufen?‘ So war im September 1998 die Stimmung.

1999 kam dann wohl, soviel ich weiß, das Hochschulministerium in Berlin auf die Idee, uns die staatliche Anerkennung zu geben. Wir erhielten damit erstmalig auch ein eigenes Promotionsrecht. Das war wohl das Ziel, dass wir gegenüber der Universität und staatlichen Stellen auf Augenhöhe kommen. Alles andere ist dann eher ohne uns gelaufen. Sowohl Ministerpräsident Bernhard Vogel als auch Rektor Peter Glotz von der Universität und wohl noch viele andere haben ihren Einfluss geltend gemacht, denn zunächst schien sich kein Weg zu zeigen, dass das Veto von Rom rückgängig gemacht wird. Man wollte dort offenbar keine weiteren theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten. Erst als in Polen solche Fakultäten neu eingerichtet wurden, konnten unsere Unterstützer gegenüber Rom deutlich machen: Wenn das in Polen geht, warum in Erfurt nicht?

 

Man hätte ja auch als kirchliche Hochschule weiter machen können. Wo kam dann die Initiative her, zu sagen: Nein wir wollen Bestandteil dieser neu gegründeten Universität werden?

Das ist das Interessante, was in der heutigen Situation die wenigsten glauben werden: Die Initiative ging von der Universität aus. Sie hatte sich ja als eine geisteswissenschaftliche Universität mit wohl gemerkt religionswissenschaftlichem Schwerpunkt gegründet – was in Ost-Deutschland angesichts der weltanschaulichen Situation eine kühne Idee war: Wo sollten denn da die Studierenden herkommen? Aber zur Komplettierung dieser Fakultätslandschaft musste unbedingt die Theologie hinzukommen. Das war vor allem die Meinung von Peter Glotz. Und so hat er Druck gemacht, dass wir nicht nur mit der Universität kooperieren, was der Vorschlag aus Rom gewesen war, sondern Teil von ihr werden.

 

Am 1. September 2001 wurden Sie Rektor und hatten das Thema Integration auf dem Schreibtisch. Was waren für Sie die ersten Schritte, die Sie zu unternehmen, und die ersten Hürden, die Sie zu bewältigen hatten?

Es gingen verschiedene Sachen gleichzeitig los. Wir hatten 2002 als Fakultät ein Jubiläum, denn wir sind 1952 gegründet worden. Dann waren im Zuge der Integration enorme organisatorische Probleme zu klären. Das wurden meine Hauptaufgabe. Man muss sich vorstellen, dass die kirchliche Hochschule „Philosophisch-Theologisches Studium“ ein Teil des so genannten Priesterseminars Erfurt war, das aus zwei Teilen bestand: aus dem Alumnat, das war mehr oder weniger das Internat, und aus der Hochschule. Beides musste also jetzt ökonomisch und organisatorisch entflechtet werden. Ähnliches betraf die Domstraße 10. Unsere Räume waren vom Domkapitel vermietet, das aber noch andere Räume im Komplex hat. Also musste unser Teil herausgetrennt werden. Er wurde dann vom Domkapitel mietfrei der Universität zur Verfügung gestellt. Nun sollte er aber auch einigermaßen in Schuss sein, also wurden erst alle Büroräume und dann auch das Coelicum erneuert. Das Treppenhaus in der Domstraße 10 musste dazu komplett geräumt werden. Wir zogen also wirklich mit jedem Stück Papier und jedem Schrank provisorisch ins Dachgeschoss und am Ende wieder zurück in die neuen Büroräume. In diesem Hin und Her haben wir also die Integration und gleichzeitig das Jubiläum vorbereitet und natürlich versucht, das Jubiläum so zu feiern, dass wir dann auch schon auf dem Universitätscampus präsent waren. Das war für uns ein ganz wichtiger Punkt, dass die Universität einerseits und unsere Gäste andererseits auch mitbekamen: Wir kommen jetzt. Was in dieser Phase die nur zwei Sekretärinnen Frau Blech und Frau Kunstmann (die ja heute noch da ist) gestemmt haben, war enorm.

 

Wie liefen bis Ende 2002 die Verhandlungsprozesse zur Integration?

Ich erinnere mich noch, dass wir im Professorium permanent an der Frage saßen, an was wir denn jetzt alles denken müssen. Das ging bis zu solchen Details, dass die Parkplätze an der Domstraße 9 neu verteilt werden mussten. Bei den Verhandlungen mit der Universität, die zwar im Großen und Ganzen positiv eingestellt war, mussten entscheidende Gremien zustimmen, wie z.B. der Senat. Und da gab es besonders in der philosophischen und in der staatswissenschaftlichen Fakultät einige, die große Bedenken anmeldeten, vor allem deshalb, weil natürlich die Frage mit der „Nihil obstat“-Regelung im Raum stand: Wer trägt das finanzielle Risiko, falls jemand die kirchliche Lehrerlaubnis verliert? Diese Lehrkraft müsste ja weiter beschäftigt und gleichzeitig die Stelle neu besetzt werden. Daraufhin wurde, meines Erachtens nicht ganz logisch, ausgehandelt: Die Kirche sponsert über einen bestimmten Zeitraum an der Fakultät eine dreizehnte Professur, damit werden sozusagen im Voraus die Kosten im Falle des Lehrerlaubnisentzugs kompensiert.

Übrigens gab es auch sowohl in unserer Studierendenschaft als auch in der Professorenschaft einige, die wenig begeistert waren, Teil der Universität zu werden. Manche Studierende sagten: Wir wollen lieber unter uns bleiben. Denn an der Universität kommen wahrscheinlich Semestergebühren auf uns zu und ähnliches Einer der Professoren fragte: Ist es denn dann überhaupt noch erlaubt, dass ich in Priesterkleidung auftrete?

Auch in der Landesregierung gab es Ressentiments. Ich habe, als die Integration verhandelt wurde, auf der Tribüne des Landtags gesessen. Aus den Reihen besonders der SPD, aber nicht nur von dort, fanden sich Gegenstimmen - bis hin zu solchen Sätzen wie: „Wir können doch nicht eine Fakultät genehmigen, wo die Hälfte der Bevölkerung ausgeschlossen ist.“ Da wurde natürlich an die Frauen gedacht, die nicht Priester werden können. Wir mussten also darüber aufklären, dass bei uns der Anteil der weiblichen Studierenden inzwischen bei 30-40% lag.

Administrativ war die nächste Baustelle, dass wir bisher keine Dienstzimmer hatten. Es ist heute wahrscheinlich unvorstellbar, dass von 1952 bis 2002 alle Professoren (Professorinnen kamen erst nach der Integration) nur zu Hause gearbeitet haben. Niemand hatte ein Büro. Also war jetzt die Frage an die Universität: Woher Dienstzimmer nehmen? Die Entscheidung fiel für die Villa Martin, die aber noch saniert und baulich angepasst werden musste. Wieder ein entscheidender Punkt bei den komplexen Integrationsverhandlungen: Was leistet die Kirche, um dem Staat zu helfen, die Theologische Fakultät zu übernehmen? Wir mussten sozusagen ein Brautgeschenk mitbringen. Das war die schon genannte 13. Professur, welche die Kirche bezahlte, das war die Tatsache, dass das Domkapitel die gesamten Renovierungskosten in der Domstraße übernommen hatte und auch weiterhin die Räume dort mietfrei der Universität zur Verfügung stellt, und nun kam eben noch ein ganz wichtiger Beitrag dazu: die Übernahme der Renovierungskosten für die Villa Martin.

 

Wie würden Sie die Integration damals aus Ihrer heutigen Sicht rückblickend bewerten?

Die Integration war alternativlos und ein Segen. Wir hätten als Hochschule nämlich nicht überlebt, weil die nötige Unterstützung nicht mehr gewährleistet war und wir im eigenen Saft geschmort hätten. Von daher war das ganz wichtig. Wir haben überraschenderweise sehr schnell ein sehr starkes Standing gehabt in der Universität. Trotz anfänglicher Skepsis haben die  Studierenden die Chance ergriffen und waren sofort im Studierendenrat sehr aktiv. Es waren und sind natürlich die „Studium Fundamentale“-Seminare wichtig, wo mit ganz anderen Fachbereichen zusammengearbeitet und studiert wird. Das inspiriert wechselseitig. Und durch meine Position dann als Dekan und kurz darauf auch als Vize-Präsident der Universität bin ich mit den anderen Hochschulen Thüringens in Berührung gekommen sowie auch mit vielen staatlichen Stellen. Wir sind also auf diese Art und Weise nicht nur schnell in die Universität hineingekommen, sondern auch verstärkt in das ganze öffentliche Leben vor allem Thüringens. Wir haben dann beispielsweise Veranstaltungen im Erfurter Rathaussaal gemacht.

Es war ein wichtiges Anliegen zu zeigen: Es gibt hier auch noch eine Theologie in der Stadt und eine katholische Theologie im Land. Wir konnten Impulse geben und haben natürlich auch Impulse empfangen. Das alles wäre so nicht möglich gewesen, wenn wir als kirchliche Hochschule für uns geblieben wären.

Ich bin ein starker Verteidiger einer staatlichen theologischen Fakultät. Kirchliche Hochschulen mögen auch ihren Charme haben, aber es kann schnell geschehen, dass ihre Angehörigen in eine Blase geraten, weil sie unter sich bleiben. Deshalb habe ich es auch bedauert, dass wir relativ wenig Studierende aus anderen Fakultäten in unseren Veranstaltungen hatten und haben. Das liegt aber vor allem an dem sehr verschulten Studiensystem, das wir seit Bologna an der Universität haben. Also verlief nicht alles nach der Integration wie erträumt. Wir sind eben Teil eines stotternden und sich schwer durch die Landschaft bewegenden Systems Universität geworden. Das ist die Kehrseite der Medaille: Mitgegangen, mitgefangen. Aber ich will keinesfalls diese negative Seite hervorheben, denn die Vorteile überwiegen bei weitem - für alle Beteiligten.

 

Fragen und redaktionelle Bearbeitung: Dr. Martin Fischer und Sophie v. Kalckreuth