Studium mit Wirkung: Wie das Erfurter GlobCom-Projekt den Kampf einer Mutter gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit unterstützt

Zwischen Mensa und Hörsaal
Gruppenbild vom Pitch des GlobCom-Projekts 2025

Am Abend des 19. Februar 2020 erschießt der 43-jährige Tobias R. an mehreren Tatorten in Hanau innerhalb von sechs Minuten neun Frauen und Männer. Sechs weitere Menschen werden verletzt – zum Teil schwer. Anschließend tötet der Mann seine Mutter und sich selbst. Schnell wird klar: Er handelte aus rassistischen Motiven. Hanau – eine Stadt unter Schock. Einer der Getöteten ist Ferhat Unvar – Sohn migrantischer Eltern, 1996 in Hanau am Main geboren. Er fehlt. Besonders seiner Mutter Serpil, die etwas tun möchte, um Rechtsterrorismus, Diskriminierung und Hass etwas entgegenzusetzen und an ihren verstorbenen Sohn zu erinnern. Deshalb gründet sie eine Bildungsinitiative. Und nennt sie nach ihm: Ferhat Unvar. Mit Workshops, Vorträgen und Themenabenden folgt sie dieser Mission und hat inzwischen zahlreiche Unterstützer gefunden. Auch an der Universität Erfurt. 

Im Rahmen des Projekts „Global Communications“ haben Studierende der Kommunikationswissenschaft im Wintersemester 2024/25 PR-Konzepte entwickelt, die die Bildungsinitiative noch bekannter machen und mittels derer weitere Unterstützer gewonnen werden sollen. Im Januar haben sie ihre Ideen Serpil Unvar und weiteren Vertreter*innen der Bildungsinitiative in einem Pitch präsentiert.

„Das Spannendste an der Entwicklung der Kampagne für uns war, dass wir die Möglichkeit hatten, sie wirklich für ein ganzes Jahr zu planen. Das heißt, wir mussten uns nicht auf eine oder zwei Ideen festlegen, sondern konnten sehr kreativ werden und viele Ideen aufnehmen. Noch dazu ging es um ein sehr wichtiges Thema, weshalb uns die Arbeit an der Strategie und die Beschäftigung mit der Stiftung alle sehr inspiriert hat“, sagt Amelié, die zusammen mit ihren Kommilitoninnen Julia und Jula in diesem Jahr den Pitch gewonnen hat. Ihre Strategie sieht unter anderem Gespräche mit Journalist*innen, aber auch die Zusammenarbeit mit Influencer*innen, einen Spendenlauf sowie die Organisation einer Demonstration vor. Auch den Ausbau der Workshops, die die Stiftung bereits anbietet, halten die drei für wichtig. Dass sie die Jury am Ende mit ihren Ideen überzeugen konnten, darauf sind die Studentinnen natürlich stolz. Auch wenn es nicht immer ganz leicht gewesen sei, ihr Studium und das Projekt zeitlich unter einen Hut zu bekommen. „Eine weitere große Herausforderung war für uns die Kostenanalyse, weil wir in diesem Bereich kaum Vorkenntnisse hatten“, gibt Jula zu. „Außerdem hatten wir anfangs mit der zeitlichen Planung zu kämpfen, was wir aber nach einer Überarbeitung doch noch gut hinbekommen haben.“ Eine kluge Arbeitsteilung hat Amelié, Jula und Julia dabei geholfen. Jede von ihnen kümmerte sich um das, was sie am besten kann und woran sie am meisten Interesse hat. „Ich habe zum Beispiel viel am zeitlichen Ablauf gearbeitet, Jula war für die Entwicklung der Spendenkampagne zuständig und die Erstellung unserer Präsentation für den Pitch, und Julia bereitete neben anderen Dingen die E-Mails und Texte für Schulen auf“, berichtet Amelié. Inspiration holten sich die Studentinnen beispielsweise in den Sozialen Medien, aber auch KI-Tools halfen ihnen dabei, ihre Ideen weiterzuentwickeln. 

Daniel Silberhorn hat die Studierenden-Teams bei ihrer Arbeit begleitet. Er hat mehr als 15 Jahre Erfahrung als Berater in international tätigen PR-Agenturen, ist Jury-Mitglied der IPRA Golden World Awards und leitet das GlobCom-Projekt an der Universität Erfurt seit vielen Jahren. Jeweils im Wintersemester mit einer Einführung in die Grundlagen der Public Relations (PR), im Sommersemester kann das Gelernte dann sogar international angewendet werden. 15 Partner-Universitäten auf fünf Kontinenten arbeiten dann zusammen und entwickeln in globalen Teams jeweils eine Kampagne für einen ganz realen Kunden. „Unser Ziel ist es, professionelle Kommunikation nicht nur in ihrer Theorie zu vermitteln, sondern den Studierenden wirklich praktische Erfahrungen zu ermöglichen. Dass wir es dabei mit ‚echten‘ Kunden zu tun haben, macht das Ganze umso spannender – und dass wir dabei mit einem Praxis-Partner zusammenarbeiten, der nicht nur wichtige Werte repräsentiert, sondern auch menschlich inspirieren kann.“ Den Kontakt zur „Bildungsinitiative Ferhat Unvar“ hat Daniel Silberhorn seinerzeit selbst hergestellt: „Im Wintersemester geht es bei GlobCom immer um relevante, aktuelle Themen. Und aktuell dreht sich gesellschaftlich bei uns ja doch vieles um das Thema Demokratie und Vielfalt.“ Dass die Studierenden in diesem Semester für ein solch ambitioniertes Projekt Konzepte entwickelt haben, findet er besonders wertvoll. Denn nicht nur die Ereignisse von damals in Hanau, sondern auch in der Folge zahlreiche weitere rassistische, rechtsradikale Angriffe auf Menschen in Deutschland und in der Welt hätten gezeigt, wie wichtig ein entschiedenes Eintreten für Demokratie, Toleranz und Freiheit sei. „Wenn wir dazu als Universität Erfurt einen Beitrag leisten können, dann freut mich das sehr. Ich sehe das diesjährige Projekt auch als Teil des Engagements der Universität Erfurt für die Initiative ‚Weltoffenes Thüringen‘. Gerade GlobCom lebt ja von Vielfalt, Zusammenarbeit und Freundschaften über Länder und Kulturen hinweg.“ 

Auch wenn das Wintersemester jetzt zu Ende geht, das GlobCom-Projekt geht weiter. In wenigen Wochen schon starten die Vorbereitungen für das Sommersemester. Dann wartet ein neuer potenzieller Kunde auf die teilnehmenden Studierenden. Und mit ihm eine neue Herausforderung. Wer genau das sein wird, wird noch nicht verraten. Nur so viel: Diesmal geht’s in die Vereinigten Arabischen Emirate. Jula, Amelié und Julia wollen auf jeden Fall wieder dabei sein.

Bildnachweis: Gruppenbild mit den Teilnehmer*innen am Pitch. (Foto: Bildungsinitiative Ferhat Unvar)