Schon gewusst, dass Fatima besser bewertet wird als Leonie?

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Schon gewusst?
ErfurtLab Tatsächlich Schon gewusst?

Deutschunterricht, 7. Klasse. Die Klasse übt Referate zu halten. Leonies Vortrag ist gut strukturiert, inhaltlich klar und verständlich. „Das hast du sehr gut gemacht, weiter so“, sagt Frau Schneider. Dann ist Fatima an der Reihe, eine neue Schülerin in der Klasse. Auch ihr Vortrag ist gut – vor allem wenn man bedenkt, dass sie nicht in Deutschland aufgewachsen ist. Frau Schneider sagt zu ihr: „Bravo, Fatima! Das war eine hervorragende Leistung! Du bist ein echtes Sprachtalent!“

Wie kommt es, dass Leonies Präsentation nur „sehr gut“ war, Fatimas aber „hervorragend“? Studien aus dem nordamerikanischen Raum haben gezeigt, dass die Herkunft der Schülerinnen und Schüler die Art des Feedbacks, das sie erhalten, beeinflussen kann – allerdings in einer anderen Richtung, als man vielleicht vermuten würde: Lernende, die beispielsweise einer ethnischen Minderheit angehören oder einen Migrationshintergrund haben, erhalten häufig positiveres Feedback als die anderen. Als Ursache wird eine Art „Überkompensation“ vermutet: Lehrende wollen niemanden benachteiligen oder gar diskriminieren und sind deshalb besonders freundlich zu denjenigen, die es aufgrund ihrer Herkunft in der Schule schwer haben könnten. Feedback ist aber nicht unbedingt hilfreich, nur weil es nett formuliert ist. Überschwängliche Worte wie „Bravo!“ oder „Hervorragend!“ können unehrlich oder sogar einschüchternd wirken, und das Loben eines besonderen „Talents“ kann dazu führen, dass Herausforderungen oder Fehler vermieden werden, die das Talent in Frage stellen könnten.

In unserer Studie untersuchten wir, ob solche Unterschiede im Feedback auch bei Lehrkräften an deutschen Schulen auftreten. Darüber hinaus interessierte uns, ob Lehrkräfte unterschiedliche Rückmeldungen geben, je nachdem, ob Lernende eine Aufgabe erfolgreich bearbeitet haben (Erfolg) oder nicht (Misserfolg). Zu diesem Zweck haben wir eine deutschlandweite Online-Umfrage unter 368 Lehrkräften verschiedener Schultypen und Fächer durchgeführt. Die Teilnehmenden lasen zwei Situationsbeschreibungen von einem Erfolg und einem Misserfolg. Per Zufallsgenerator wurden Namen und Bilder von Schülerinnen und Schülern angezeigt, die entweder auf eine ostasiatische, nordafrikanische oder deutsche Herkunft schließen ließen. Die Teilnehmenden wurden gebeten, die Fähigkeiten der Person einzuschätzen und aufzuschreiben, welches Feedback sie geben würden. Außerdem gab es Fragebögen und einen impliziten Test (IAT) zu den Überzeugungen der Lehrkräfte.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Herkunft der Lernenden beim Feedbackgeben insgesamt eine untergeordnete Rolle spielte. Das ist im Hinblick auf die Chancengleichheit in unserem Bildungssystem sehr erfreulich! Nur bei der Einschätzung der Mathekompetenzen und der Intelligenz gab es Unterschiede: Deuteten die Namen und Bilder auf eine nicht-deutsche Herkunft hin, wurden die Schülerinnen und Schüler besser eingeschätzt als die deutschen. Interessanterweise ging es in den Fallbeschreibungen aber gar nicht um Mathe oder die allgemeine Intelligenz, sondern um eine Textaufgabe. Unser Ergebnis passt daher gut zur sozialpsychologischen Forschung: Besonders wenn man sehr wenige Informationen über eine Person hat, verlässt man sich auf sein Bauchgefühl und ist anfällig für Fehleinschätzungen. Oder wir denken vielleicht, ähnlich wie Frau Schneider: „Für eine Schülerin, die nicht Deutsch-muttersprachlich aufgewachsen ist, ist sie doch ziemlich gut!“ – und beurteilen dann sehr positiv. Letztendlich sind aber auch solche „positiven“ Verzerrungen bedenklich, wenn sie zum Beispiel dazu führen, dass unpassendes oder überschwängliches Lob ausgesprochen wird.

Was uns überraschte: Die Situation spielte eine viel größere Rolle beim Feedbackgeben als die Herkunft der Zielperson. Bei Misserfolg war das Feedback persönlicher, emotionaler, verständlicher und – aus psychologischer Sicht – lernförderlicher formuliert als bei Erfolg. Außerdem wurde bei Misserfolg stärker auf mögliche Ursachen eingegangen, während bei Erfolg vor allem das Ergebnis gelobt wurde, ohne den Weg dorthin näher zu betrachten. Prozessbezogenes Feedback wäre aber wünschenswert, um weitere Erfolge zu befördern – bei stärkeren wie bei schwächeren Lernenden.

Was kann man nun aus unserer Studie lernen? In erster Linie gilt es, Wissen über lernförderliches Feedback zu vermitteln und falsche Überzeugungen über „gutes“ Feedback zu widerlegen – zum Beispiel, dass Lob immer sinnvoll ist. Es kann auch hilfreich sein, sich bewusst zu machen, dass wir alle Stereotypen und Motive im Kopf haben, die wir zwar nicht ausschalten, wohl aber hinterfragen und korrigieren können, um weniger unbewussten Verzerrungen zu unterliegen.

Ansprechpartnerinnen: Helene Zeeb, Inga Frey

Projekt: Einschätzungen und Feedback von Lehrkräften bei Lernenden mit Migrationshintergrund