“Krieg” oder “militärische Spezialoperation”? Wie berichten deutschsprachige Zeitungen in Russland über den russisch-ukrainischen Krieg und welche Formulierungen verwenden sie dabei? Prof. Dr. Dr. Csaba Földes, Inhaber der Professur für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Erfurt, ist dieser Frage am Beispiel der beiden führenden deutschsprachigen Zeitungen in Russland, der Moskauer Deutschen Zeitung (MDZ) und des Königsberger Express (KE), nachgegangen. Und er kommt zu dem Schluss: Bei MDZ und KE handelt es sich nicht einfach um russische Zeitungen in deutscher Sprache, sondern um einen eigenen, spezifischen Diskursraum mit hoher Komplexität. Nachzulesen sind seine Befunde in einem jetzt erschienenen Beitrag in der Fachzeitschrift “Sprachwissenschaft”. Für unseren Forschungsblog “WortMelder” haben wir mit Professor Földes darüber gesprochen…
Herr Prof. Földes, wie kam es, dass Sie sich mit dem Thema beschäftigt haben – was genau hat sie daran interessiert?
Den inhaltlichen und logistischen Hintergrund stellte mein Forschungsprojekt „Deutsche Mediensprache im Ausland – am Beispiel der deutschen Minderheitenpresse in Mittel- und Osteuropa“ dar, das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert wurde. Wir haben darin verschiedene auslandsdeutsche Presseerzeugnisse aus linguistischer Sicht analysiert, vor allem hinsichtlich der Frage wie sich die Kontaktsprachen und -kulturen auf die sprachliche Verfasstheit dieser deutschsprachigen Zeitungen auswirken.
Ziel der aktuellen Untersuchung war es nun, Aspekte der medienspezifischen Sprachverwendung, insbesondere der strategischen Kommunikationspraktiken, der beiden führenden deutschsprachigen Zeitungen in Russland im Hinblick auf den russisch-ukrainischen Krieg mittels einer datenbasierten diskursorientierten Untersuchung zu beschreiben. Ein Anliegen war dabei auch, aus sprachlichen Daten typische Denk- und Handlungsmuster, Einstellungen und Machtverhältnisse zu rekonstruieren. Mich interessierte, welche Akteure und welche Diskurspositionen in den Zeitungsartikeln vertreten sind, mit welchen sprachlichen Mitteln die Diskurs-Akteure ihre Positionen artikulieren, ob dabei Muster zu erkennen sind und ob sich Diskurs-Gemeinschaften konstituieren.
Die besondere Relevanz und sogar eine gewisse Brisanz der Themen- und Materialauswahl offenbarten sich in der nicht unspektakulären Dichotomie, dass deutschsprachige Medien aus Russland im Betrachtungsfokus stehen. Da jeder Diskurs eine kulturelle und historische Komponente enthält, ist es interessant, herauszufinden, ob bzw. inwieweit Perspektivierungen und Frames deutscher oder russischer Provenienz die Texte prägen.
Und wie sind Sie bei Ihrer Untersuchung vorgegangen? Haben Sie die Zeitungen ausschließlich „aus der Ferne“ ausgewertet oder haben Sie auch mit den Redaktionen gesprochen?
Wir haben von den Redaktionen PDFs der Zeitungen gekauft oder geschenkt bekommen und haben dann eine Datenbank zur sprachwissenschaftlichen Analyse aufgebaut. Außerdem stehen wir in regelmäßigem Kontakt mit den Redaktionen.
Über welchen Zeitraum haben Sie die beiden Zeitungen untersucht?
Wir haben das erste Kriegsjahr untersucht, also von Anfang März 2022 bis Ende Februar 2023.
Und warum haben Sie genau diese beiden Medien herausgesucht?
Der Grund ist, dass die „Moskauer Deutsche Zeitung“ (MDZ) und der „Königsberger Express“ (KE) die einzigen regelmäßig erscheinenden deutschsprachigen Zeitungen in Russland sind.
Inwiefern unterscheiden sich die beiden Zeitungen von russisch-sprachigen Zeitungen in Russland?
Es zeigt sich, dass es sich nicht einfach um russische Zeitungen in deutscher Sprache handelt, sondern um einen eigenen, spezifischen Diskursraum mit hoher Komplexität: Verglichen mit russischsprachigen Presseerzeugnissen kommunizieren beide Medien weniger verkrampft-konformistisch. Die MDZ berichtet überdies reflektierter, kritischer und scharfzüngiger über die Kriegsangelegenheiten als der eher zurückhaltende KE.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse ihrer Untersuchung? Können Sie hier auch ein paar konkrete Beispiele nennen?
Wir konnten viel militärische Sonderlexik und auch spezielle Bedeutungen bzw. Verwendungen nicht kriegsspezifischer Lexik herausarbeiten und typische Diskurshandlungen feststellen, indem wir die zentralen Diskursthemen bestimmt und zusätzlich die Subthemen generiert haben. Außerdem konnten wir in einer transtextuellen Analyse Konzepte in Form von sogenannten agonalen Zentren als Deutungskategorien ermitteln. Dabei wurde deutlich, dass beide Redaktionen, obwohl sie dem russischen Pressegesetz unterliegen, in den momentan äußerst schwierigen und nicht ungefährlichen Zeiten viel Mut aufbringen.
In ihren diskursiven Praktiken distanziert sich die MDZ beispielsweise sehr oft durch Anführungsstriche, durch Konjunktivformen oder durch den Einschub von “sog.” (z.B. sog. militärische Spezialoperation) von der offiziellen Diktion, während der KE dies meist nicht tut und eher linientreu schreibt.
Gab es etwas, das Sie besonders überrascht hat?
Ja, vor allem der sprachliche Einfallsreichtum, die Spitzfindigkeit von Journalisten, wie sie trotz restriktiver Vorgaben der russischen Behörden doch lesbare Texte produzieren. Überrascht hat mich auch, dass man in der MDZ gelegentlich sogar Oppositionelle und kritische Bürger zu Wort kommen lässt.
Lesen Sie den Beitrag von Prof. Dr. Dr. Csaba Földes in der Zeitschrift “Sprachwissenschaft”.