Ein bedeutender Impuls für die Freiheitsbewegung in Deutschland

Gastbeiträge
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Vom 15. bis 20. März 1525 kamen Vertreter der oberschwäbischen Bauerngruppen in Memmingen zusammen. Am 19. März erschien der erste Druck der „Zwölf Artikel der Bauern in Schwaben“ mit den grundlegenden Forderungen der Bauern. Die Zwölf Artikel wurden zur erfolgreichsten Flugschrift der ganzen Reformation. Sie verbreiteten sich rasend schnell, wurden vielerorts nachgedruckt – allein in Erfurt gab es vier Auflagen – und zur Grundlage für Forderungen der Aufständischen, die regional abgewandelt und kontextuell angepasst wurden. Dies war ein wesentlicher Anstoß für die Aufstände von Bauern, Bergleuten und Stadtbürgern, zum Teil auch der Ritterschaft und des niederen Adels gegen die bestehenden Herrschafts- und Besitzverhältnisse und der Anstoß für die Reformation. In seinem Gastbeitrag für unseren Forschungsblog “WortMelder” erklärt apl. Prof. Dr. Michael Haspel vom Martin-Luther-Institut der Universität Erfurt, warum der Bauernkrieg ein so bedeutendes historisches Ereignis war, dass wir dessen auch 500 Jahre später noch gedenken…

Die Revolution von 1525 war der größte Aufstand in Europa vor der Französischen Revolution. Die Zwölf Artikel der Bauern in Schwaben sind der Sache nach das erste deutsche Menschenrechts- und Demokratie-Dokument, ohne dass die Begriffe darin vorkommen. Auch wenn die brutale Niederschlagung und blutige Bestrafung die feudalen Herrschaftsverhältnisse für weitere Jahrhunderte gesichert hat, so ist er Aufstand des gemeinen Mannes vor 500 Jahren doch ein wichtiger Impuls für die Freiheitsbewegung in Deutschland.

Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, Theol 4° 00235 (12), Titelblatt Die gründtlichen und rechten haupt Artickel, aller Bauerschafft und Hyndersessen der Geystlichen unnd Weltlichen oberkeyten, von welchen sie sich beschwert vermeynen. [Forchheim, 1525]. VD 16 G 3546

Was war der Auslöser für den Aufstand?

Die Gründe für die Proteste sind vielfältig und regional unterschiedlich. Ein wesentlicher Anstoß dürfte die reformatorische Bewegung gewesen sein. Durch Luthers Kritik an der Bußtheologie der römischen Kirche, besonders dem Ablasswesen, verloren die Kleriker, Klöster und kirchlichen Korporationen an Legitimität. Denn wenn man allein aus Glauben vor Gott gerecht wird, braucht man keine vermittelnde Instanz mehr. Mit der Drucklegung des von Luther übersetzten Neuen Testaments im September 1522 bekamen viele Menschen erstmals Zugang zur Bibel. Auch wenn längst nicht alle lesen konnten, wurde aus der Bibel nun vorgelesen – und eben auf Deutsch. Mit seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ von 1520 verlieh Martin Luther dieser „evangelischen Freiheit“ Ausdruck. Freiheit wurde zum Leitbegriff der frühen Reformation. Die Aufständischen leiteten aus der geistlichen Freiheit Konsequenzen für die soziale Ordnung ab. Die Bauern, aber auch viele Stadtbürger, fühlten sich getäuscht. Die Privilegien des Klerus wurden in Frage gestellt. Der Antiklerikalismus war wegen der zu leistenden Abgaben und Dienste ohnehin schon weit verbreitet. 

Das leitet über zum zweiten wichtigen Komplex, nämlich den Herrschafts- und sozialen Verhältnissen. Auch wenn in den meisten Aufstandsgebieten keine akute Not herrschte, nahm der Druck auf die Bauern doch zu, und es gab in bäuerlichen und städtischen Gemeinden eine hohe Anzahl verarmter Menschen. Der Bergbau und die Metallproduktion machten das Holz und sauberes Wasser knapp, die Jagd- und Fischereiprivilegien des Adels verschlossen nicht nur eine Ernährungsquelle, sondern das Wild richtete auch erhebliche Flurschäden an. Die Schafzucht des Adels beanspruchte die im Gemeinschaftseigentum (Allmende) befindlichen Weideflächen. Die Frondienste für die Herren und zum Teil die Abgaben wurden erhöht, die Selbstverwaltungsrechte eingeschränkt.

Zumindest im westlichen Thüringen spielte eine erhebliche Rolle, dass die Klöster und kirchlichen Einrichtungen über einen großen Teil des Ackerlands verfügten und die Pachtverhältnisse für die Bauern eine erhebliche Belastung waren und bei Zahlungsverzug weiteres Land der Bauern an den Klerus fiel. Dagegen gab es etwa in Eisenach schon 1523 Proteste. Die Thesen des dortigen Predigers Jakob Strauß gegen den „Wucher“ richten sich nicht etwa gegen Geldverleiher, sondern gegen den von der Kirche praktizierten „Zins- bzw. Wiederkauf“ mit dem das kirchliche Zinsverbot umgangen werden sollte.

Schließlich war ein wichtiger Auslöser, dass der Hochmeister des Deutschen Ordens zum Protestantismus übertrat und den bisherigen Deutschordensstaat Anfang 1525 zum Herzogtum Preußen säkularisierte. Damit waren die Niederlassungen des deutschen Ordens im Reich ohne den Schutz der bisherigen Ordensleitung. Dadurch und weil sie meist nicht sehr beliebt waren, wurden Einrichtungen des Ordens zu bevorzugten Zielen der Aufständischen und Orte mit Präsenz des Deutschen Ordens zu Schwerpunkten der Erhebung. In Thüringen trifft das v. a. auf Mühlhausen zu.

Was waren die wesentlichen Forderungen?

Die zentrale Forderung der Bauern war Freiheit! Und zwar religiöse Freiheit (Art. 1) wie auch weltliche Freiheit durch Abschaffung der Leibeigenschaft (Art. 3), wo diese galt (in Thüringen gab es sie nicht), und Begrenzung von Zwangsdiensten für die Herrschaften (Art. 6 u. 7.).

Im ersten Artikel fordern die Bauern, die Pfarrer selbst wählen und auch wieder absetzen zu können, so dass sie das Evangelium rein, also in reformatorischer Perspektive, gepredigt bekommen. Die theologische Begründung ist dafür klar: Wenn es auf den Glauben ankommt, um das Heil zu erlangen, dann muss es auch der rechte Glaube sein. Hier verbinden sich also die Forderung nach Religionsfreiheit und die – mit heutigen Worten – nach demokratischer Selbstbestimmung zumindest in geistlichen Angelegenheiten.

Im dritten Artikel fordern die Bauern die Abschaffung der Leibeigenschaft, also ihre Freiheit, und begründen auch das biblisch: „Denn Christus hat uns alle mit seinem kostbaren Blutvergießen erlöst und erkauft. Den Hirten genauso wie den Herren, niemand ausgenommen. Deshalb ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und wollen es sein.“ Und die Freiheitskämpfer fügen dazu, dass sie die Obrigkeit nicht gänzlich ablehnen, aber die Bindung an das Recht fordern. In diesem Zusammenhang steht auch die Forderung, das traditionelle Recht zu wahren, und die Rechtsnormen nicht zum Nachteil der Bauern zu ändern (Art. 9).

Hier wird also das „Recht auf Lebend und körperliche Unversehrtheit“ sowie die Gleichheit vor dem Gesetz gefordert, wie sie in den Artikel 2 und 3 des Grundgesetzes nun gelten. In den anderen Artikeln geht es um die Begrenzung von Abgaben, um die Jagd-, Fisch-, Holz- und Wasserrechte sowie die Nutzung der Allmende, wobei dies schöpfungstheologisch begründet wird. Es waren also nicht willkürliche Forderungen zum eigenen Nutzen, sondern die Garantie der Freiheit durch die Verteidigung des Rechts. Das ist wirklich beeindruckend und heute noch anregend.

Welche Rolle haben die theologischen Begründungen?

Das ist bis heute umstritten. Manche sehen darin nur eine Verbrämung von eigentlich politischen Forderungen, andere – wie schon Martin Luther – lehnen es prinzipiell ab, politische (weltliche) Forderungen, biblisch zu begründen (obwohl er das selbst auch gemacht hat). Einige halten sie für theologisch nicht angemessen. Aber in der jüngeren Forschung tauchen doch vermehrt Stimmen auf, die sie für eine beachtliche theologische Leistung halten. Da ich mich ja in einem Forschungs- und Publikationsprojekt mit der Theologie der Abolitionistischen Bewegung und der theologischen Argumentation Martin Luther Kings gegen den Rassismus beschäftigt habe, fallen mir hier die Parallelen auf.

In der Einleitung ihrer Forderungen, begründen die Bauern diese mit der Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten (Exodus): „Hat Gott die Kinder Israels, die ihn anriefen, nicht erhört und aus der Gewalt des Pharaos befreit?“. Das ist ein klassischer Topos in der Argumentation gegen die Sklaverei. Man denke etwa an das Spiritual: „When Israel was in Egypt Land“. King begründet u.a. seine Ablehnung der rassistischen Segregation mit derselben christologischen Figur wie die Bauern: Weil Christus für alle gestorben ist, sind durch Christus alle gleich an Würde und Rechten. Eine weitere Gemeinsamkeit mit King ist die besondere Bedeutung der „brüderlichen Liebe“ (agape), die in beiden Kontexten Unterdrückung und Ausbeutung ablehnt.

Frappierend ist, dass Luthers Kritik an den Zwölf Artikeln, in der „Ermahnung zum Frieden“ den Argumenten der Weißen Geistlichen in Birmingham 1963 ähneln, auf die Martin Luther King in seinem berühmten „Brief aus dem Gefängnis in Birmingham“ antwortet. Lyndal Roper weist in ihrem Bauernkriegsbuch darauf hin, dass die Forderungen zur Nutzung der Natur schöpfungstheologisch begründet werden, mithin sich also Ansätze einer Theologie der Bewahrung der Schöpfung erkennen lassen, die sich gegen eine intensivere Nutzung der Natur wenden.

Man könnte also sagen, dass sich in den Zwölf Artikeln, aber auch vielen anderen Dokumenten der Bauern, Ansätze einer Theologie der Befreiung finden, wie sie in der Antisklavereibewegung und dann eigentlich erst wieder Ende der 1960er-Jahre wirksam geworden ist. Bei den Bauern ging es aber nicht nur um politische und wirtschaftliche Freiheit, sondern von Anfang an geht es ihnen darum, gemäß dem Wort Gottes zu leben, also ganzheitlich zum Heil zu finden. Aber sie trennen nicht leibliches Wohl und geistliches Heil. Auffällig ist, dass die theologische Argumentation – anders als bei Müntzer und Luther – im Kern nicht apokalyptisch ist. Es handelt sich um einen eigenständigen Beitrag zur reformatorischen Theologie. Es waren ja viele evangelisch gewordene Prediger Teil der Aufstandsbewegung. Lyndal Roper zählt allein für den Südwesten über 200.

Wie hat sich der Aufstand so schnell und so weiträumig verbreitet?

Eine ganz wesentliche Rolle spielten die Flugschriften. Wie überhaupt für die Reformation war die Revolution der Drucktechnik wesentlich. Thomas Kaufmann spricht deshalb vom Bauernkrieg als Medienereignis. Dazu kam, dass die Aufständischen am Anfang sehr erfolgreich waren, denn durch den Italien-Feldzug des Kaisers waren die meisten Landsknechte außer Landes und die Adelssitze und Klöster weitgehend schutzlos. Ein weiterer Faktor dürfte gewesen sein, dass die schlimmsten Befürchtungen der Bauern bei der Plünderung der Klöster noch übertroffen wurden. Vielfach trafen sie auf einen enormen Reichtum und Luxus, der aus der Sicht der Bauern ihnen abgepresst worden war, während viele in Armut lebten. Dies delegitimierte nicht nur den geistlichen Stand, sondern das Herrschaftssystem insgesamt als ungerecht, so dass sich die Bauern auch gegen die Burgen des Adels als Symbole der Unterdrückung richteten.

Da die Bauern zwar Klöster und Herrensitze plünderten und zerstörten, auch die Adligen und Kleriker demütigten und vertrieben, aber insgesamt wenig tödliche Gewalt anwendeten, trug das zur Akzeptanz der Bewegung bei. Darüber hinaus waren die Bauernverbände demokratisch organisiert, sie entschieden im Kreis und wählten ihre Anführer selbst. Heute würden wir sagen, sie erlebten Selbstwirksamkeit und brüderliche Gemeinschaft. Viele der Bauern, die sonst den unmittelbaren Herrschaftsbereich nicht verlassen durften, erlebten das erste Mal Freizügigkeit. Entscheidend ist aber, dass die Unzufriedenheit in Südwestdeutschland, Franken, Hessen und Mitteldeutschland so groß war, dass Menschen zum Aufstand mit allen Risiken bereit waren.

Warum ist dieses Gedenken in Ost- und Westdeutschland so unterschiedlich ausgeprägt?

Der Bauernkrieg wurde sowohl von lutherischer Seite als auch von den Altgläubigen abgelehnt und die Position der Bauern denunziert. Insbesondere Luther versuchte, alle Schuld auf Thomas Müntzer zu schieben und diesen zu dämonisieren, um von den Vorwürfen gegen ihn selbst abzulenken. Diese zeitgenössische negative Bewertung wurde lange ohne Prüfung der Quellen tradiert und marginalisierte den Bauernkrieg auch in der Reformationsgeschichte. 

Friedrich Engels hat die Darstellung Luthers in seinem Bauernkriegsbuch von 1850 zum einen übernommen, zum anderen auf den Kopf gestellt. Er schreibt Müntzer eine entscheidende Rolle als „frühbürgerlicher Revolutionär“ zu; allerdings seien die gesellschaftlichen Verhältnisse noch nicht reif gewesen. Daran knüpfte die Forschung und öffentliche Diskussion in der DDR an. Das Theorem von der „frühbürgerlichen Revolution“ und die zentrale Rolle Müntzers sind heute überholt. Aber wir verdanken der empirischen sozialgeschichtlichen Forschung zu DDR-Zeiten wichtige Erkenntnisse. Leider hat das Reformationsjubiläum zwar etliche Luther-Biografien hervorgebracht, aber wenig quellenbasierte Studien zu den sozialen Bedingungen.

Es hatte zwar schon im Zuge der Demokratiebewegung im 19. Jahrhundert Ansätze gegeben, den Bauernkrieg als Menschenrechts- und Freiheitsbewegung wahrzunehmen, aber die wurden nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 – außer in der Arbeiterbewegung – lange nicht rezipiert. Das änderte sich in der alten Bundesrepublik erst im Umfeld des 450. Jubiläums 1975. Allerdings kam es schon vor der deutschen Wiedervereinigung zu einem intensiven Austausch zwischen Ost und West, so dass heute in der Wissenschaft die Ost-West-Differenz nicht mehr entscheidend ist. In der öffentlichen Wahrnehmung ist dies allerdings noch anders. Man denke nur an die zahlreichen Plätze, Straßen und Schulen, die den Namen Thomas Müntzers tragen in den östlichen Bundesländern.

Was bedeutet dieses Jubiläum für die Gegenwart?

Das Entscheidende ist: Freiheit ist nicht umsonst. Für Freiheit muss man kämpfen und sie verteidigen. Freiheit zielt auf die Gleichheit aller. Freiheit muss durch das Recht bewahrt werden. Das unterscheidet die Forderungen der Bauern ums Ganze von populistischen Bestrebungen in der Gegenwart, die darauf basieren, als anders markierte Gruppen auszugrenzen und abzuwerten. Die Forderungen der Aufständischen zielten aber prinzipiell auf gleiches Recht für alle, auch wenn aus der „christlichen Bruderschaft“, wie sich die Bauern verstanden, Frauen ganz überwiegend ausgeschlossen waren und an etlichen Orten auch Juden, ja sich in manchen Regionen antisemitische Haltungen nachweisen lassen. 

Die Grundorientierung auf Freiheit, Gleichheit, Rechtlichkeit und demokratische Selbstbestimmung sind bleibendes Vermächtnis. Deshalb sollten wir auch sehr darauf achten, dass das Bauernkriegsjubiläum nicht von Populisten missbraucht wird.

Kontakt:

Fachverantwortlicher für Systematische Theologie
(Martin-Luther-Institut)
C18 – Lehrgebäude 4 / Raum E31
Sprechzeiten
nach Vereinbarung
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Literatur

  • Bauer, Joachim: "Den Anfang machte diese Wut". Der Bauernkrieg in Thüringen 1525, Erfurt (Landeszentrale für politische Bildung Thüringen) 2024.

  • Roper, Lyndal: Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525, Frankfurt a. M. 2024.

  • Kaufmann, Thomas: Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis, Freiburg, Basel, Wien 2024.

  • Haspel, Michael; Bauer, Joachim (Hg.): Jakob Strauß und der reformatorische Wucherstreit. Die soziale Dimension der Reformation und ihre Wirkungen, Leipzig 2017.

  • Spehr, Christopher; Haspel, Michael; Holler, Wolfgang (Hg.): Weimar und die Reformation. Luthers Obrigkeitslehre und ihre Wirkungen, Leipzig 2016.

  • Blickle, Peter: Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten. Eine Geschichte der Freiheit in Deutschland, München, 2. Aufl. 2006.