Mit knapp 400.000 Euro unterstützt das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft im Rahmen der Thüringer Forschungs-, Technologie- und Innovations-förderung in den kommenden drei Jahren eine neue Forschungsstelle für Geoökonomie (EFGEo) an der Universität Erfurt. Sie geht auf die „Forschungsgruppe Sicherheitskapitalismus“ zurück, soll interdisziplinäre Grundlagenforschung an der Schnittstelle von Internationaler Politischer Ökonomie, Rechtswissenschaften, Internationalen Beziehungen und Konfliktforschung sowie Public Policy betreiben und dies an die besondere Situation der europäischen, deutschen und thüringischen Wirtschaft rückbinden. Die beteiligten Wissenschaftler*innen – Prof. Dr. Oliver Kessler, Prof. Dr. Sophia Hoffmann, Prof. Dr. Michael Riegner und Prof. Dr. Andreas Goldthau – nehmen im Frühjahr 2025 ihre Arbeit auf.
Die Weltordnung, die sich seit drei Jahrzehnten durch immer weiter integrierte Handelsbeziehungen, globalisierte Märkte und Multilateralismus auszeichnet, erfährt einen Paradigmenwechsel: Die Handelskriege unter US-Präsident Trump, die gestörten Lieferketten während der Corona-Pandemie und Chinas Sanktionspolitik gegen Taiwan-freundliche EU-Mitgliedsstaaten waren dabei die Vorboten eines fundamentalen Wandels. Mit dem ‚Inflation Reduction Act‘ (IRA) der USA, dem ‚Net Zero Industry Act‘ der EU sowie dem verstärkten Rückgriff aufstrebender Schwellenländer auf Lokalisierungsanforderungen bei ausländischen Investitionen geht eine Rückbesinnung auf eine auf nationale Entwicklung fokussierte Industriepolitik einher. Wertschöpfungsketten werden nicht mehr primär als Ort wirtschaftlicher Spezialisierung begriffen. Stattdessen wird über ‚Reshoring‘-Politiken aktiv in Handelsströme eingegriffen, um heimische Unternehmen strategisch zu positionieren und mögliche Abhängigkeitsrisiken einzuhegen. Manche Beobachter stellen eine Krise der liberalen Ordnung fest und konstatieren den Aufstieg einer neuen Ära: die Ära der Geoökonomie.
Der Begriff der Geoökonomie bezeichnet dabei im Kern einen analytischen Gegenentwurf zum Globalisierungsdiskurs und verweist auf die Politisierung von Marktdynamiken.Wirtschaftliches Handeln, Güter- und Finanzströmen werden darin als einem strategischen staatlichen Kalkül unterworfen begriffen, und damit „versicherheitlicht”. So benennen beispielsweise die neuen Sicherheitsstrategien der USA und des Vereinigten Königsreiches (Hoch-)Technologie und Innovation als Kernobjekte der Sicherheitspolitik. Zugleich beobachten Analysten eine Stagnation der globalen Verflechtung bei gleichzeitiger zunehmender Regionalisierung. Die Anpassungskosten dieser Entkopplung tragen nicht zuletzt Unternehmen, denen in einer zunehmend geoökonomisch aufgeladenen Weltwirtschaft die Aufgabe des „De-Risking“ zufällt. Dies erfordert einen neuen und innovativen Analyseansatz, der zugleich die nun politischen Rationalen unterworfenen Marktbeziehungen und die Strategien und Anpassungsdynamiken auf der Unternehmensseite in den Blick nimmt.
Vor diesem Hintergrund soll nun an der Universität die Erfurter Forschungsstelle für Geoökonomie (EFGEo) aufgebaut werden. Sie wird interdisziplinäre Grundlagenforschung an der Schnittstelle von Internationaler Politischer Ökonomie, Rechtswissenschaften, Internationalen Beziehungen und Konfliktforschung, sowie Public Policy an die besondere Situation der europäischen, deutschen und thüringischen Wirtschaft rückbinden. Die beteiligten Wissenschaftler*innen haben dabei für die EFGeo einen neuartigen Forschungsansatz entwickelt, der Geoökonomie als ein Zusammenspiel von vertikalen und horizontalen Verknüpfungslogiken konzeptualisiert, die von asymmetrischen Wirtschaftsinterdependenzen gekennzeichnet sind.
Die Forschungsstelle verfolgt drei klare Ziele: Sie baut einschlägige Expertise auf, u.a. durch die gezielte Generierung von Drittmitteln. Sie stellt die wissenschaftliche Vernetzung und Sichtbarkeit der Universität Erfurt im deutschen und internationalen Raum sicher und dient als Kooperations- und Ansprechpartner für Unternehmen und die politische Öffentlichkeit in der Region. Überdies fördert sie wissenschaftlichen Nachwuchs und stärkt damit dem Wissenschaftsstandort Thüringen. Prof. Dr. Oliver Kessler: „Langfristig wollen wir mit unserer Forschungsstelle die Universität Erfurt als zentralen Wissenschafts- und Transferstandort für Fragen der Geoökonomie in Mitteldeutschland etablieren und damit Expertise auch für lokale Akteure bereitstellen“.