„Vier-Tage-Woche – mehr Lebensqualität oder mehr Arbeitsdruck?“

Einblicke

Jeden zweiten Freitag bleiben seit Oktober 2019 die Büros bei JustOn leer. Marko Fliege, Geschäftsführer des Jenaer Softwareunternehmens, führte genau vor einem Jahr ein neues Arbeitszeitmodell ein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten seitdem zwei Tage weniger im Monat, werden aber voll bezahlt. Ob sich dieser Schritt für das Unternehmen und seine Belegschaft rentiert, das hat jetzt ein Psychologen-Team der Universität Erfurt, koordiniert von Dr. Christine Johannes, untersucht.

„Ein solcher Schritt ist für uns als Unternehmen eine Herausforderung, die Mut und viel Vertrauen in die Belegschaft voraussetzt“, erläutert Marko Fliege, der jedoch von Beginn an überzeugt war, dass sich diese Veränderung auf vielen Ebenen positiv auf das Unternehmen auswirken wird. „Wir arbeiten bereits seit einigen Jahren mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und haben gute Erfahrungen gemacht. Unser Team fühlt sich dadurch freier und motivierter.“ Die Einführung der freien Freitage sollte nun für eine weitere Steigerung der Motivation und Kreativität innerhalb der Belegschaft sorgen. Und für effizientere Arbeitsprozesse.

Um sicherzugehen, dass dies auch tatsächlich der Fall ist, wurde das Softwareunternehmen in diesem Prozess von den Wissenschaftler*innen der Uni Erfurt begleitet – neben Dr. Christine Johannes auch Christina Biesenbaum, Erik Gormsen, Martina Venus, Caroline Schnitzler und Nicole Wolf: „Uns interessierte dabei besonders, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre aktuelle Arbeitssituation wahrnehmen und ob sich diese Wahrnehmung im Laufe der Zeit verändert. Darüber hinaus wollten wir die Auswirkungen der Reduktion auf die Strukturierung der Arbeitszeit und das alltägliche Erleben der Arbeit genauer unter die Lupe nehmen“, erklärt das Forscherteam. Fragen wie beispielsweise „Welche Auswirkungen hat die Vier-Tage-Woche auf die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsgestaltung?"; "Wie verändert sich das Privatleben?" und "Wie nutzen die Mitarbeitenden den freien Freitag“ standen dabei im Vordergrund.

In zwei Erhebungswellen vor und nach dem Wechsel des Arbeitszeitmodells befragte das Psychologenteam dafür die Beschäftigten bei JustOn. Über einen Methodenmix aus Fragebögen, Tagebuchstudien und persönlichen Interviews wurden Daten erhoben, verglichen und ausgewertet. Das Ergebnis: Die vierzehntägige Vier-Tage-Woche bei JustOn wurde im März 2020 nach der halbjährigen Testphase beibehalten und geht damit in ihr zweites Jahr. Grund für die Weiterführung waren zunächst die Veränderungen, die das Team subjektiv wahrnahm: Die Mitarbeitenden lobten die bessere Stimmung, bemerkten eine höhere Konzentrationsfähigkeit und bessere Erholung. Sie erlebten sich motivierter, engagierter und sind dankbar. Nun liegen zu diesen ganz persönlichen Erfahrungen auch Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung vor:
Trotz der Änderung des Arbeitszeitmodells sind die positiven Rahmenbedingungen bei JustOn stabil geblieben. Verglichen mit der IT-Stichprobe geben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine unterdurchschnittliche Arbeits- und Berufsbelastung an. Zudem zeigen sich überdurchschnittliche Werte in der Bindung ans Unternehmen, der Arbeits- und Berufszufriedenheit und dem Betriebsklima. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen das Modell um, auch wenn das bedeutet, dass die Vier-Tage-Woche etwas weniger Zeitspielraum hat und damit etwas verdichteter wahrgenommen wird. Am Feierabend der Vier-Tage-Woche ist das Bedürfnis nach geistiger Herausforderung zwar weniger stark ausgeprägt, allerdings bleiben wichtige Ressourcen wie Entspannungsmöglichkeiten erhalten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behalten ihre überdurchschnittliche Fähigkeit, von der Arbeit abzuschalten. Der freie Freitag wird eher als „Tag für sich selbst“ genutzt, was gut erklärt, dass die Mitarbeiter sich motivierter erleben und sehr dankbar für diese Änderung sind. Nicht immer kann der arbeitsfreie Freitag komplett ohne Arbeit verbracht werden. Allerdings berichten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass sie dann aus eigener Initiative und gern arbeiten.

Die Untersuchungsergebnisse zeigen drei Rahmenbedingungen, von denen abhängt, ob das Modell für den einzelnen Mitarbeiter bzw. die einzelne Mitarbeiterin funktioniert: Erstens berichten Führungskräfte über einen höheren „Workload“. Das zeigt, dass die Umsetzung bei Führungskräften besonders herausfordernd ist. Zweitens nehmen auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Kundenkontakt den höheren „Workload“ wahr und müssen manchmal am Freitag arbeiten. Damit sind auch Rahmenbedingungen und Arbeitsaufgabe ein wichtiger Einflussfaktor auf den Erfolg dieses Modells. Drittens profitieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker vom Modell, wenn sie bereits vor der Einführung Arbeit und Privatleben stärker voneinander abgrenzen und z.B. keine beruflichen E-Mails lesen, wenn sie zuhause sind. Damit zeigt sich, dass auch persönliche Einstellungen und Werte einen Einfluss darauf haben können, ob Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der 36-Stunden-Woche profitieren.

Die Umstellung auf das neue Arbeitszeitmodell hat sich für das Jenaer Softwareunternehmen also offenbar gelohnt. Und Geschäftsführer Marko Fliege hofft noch auf einen weiteren positiven Nebeneffekt: „Ich bin sicher, dass wir mit diesem besonderen Arbeitszeitmodell auch neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen können.“

Die Untersuchungsmethode
Die wissenschaftlichen Begleitung des Arbeitszeitmodells kombinierte allgemeine Einschätzungen (z.B. des Betriebsklimas) mit tagesbasierten Messungen und Interviews. Alle Daten wurden einen Monat vor der Einführung und sech Monate nach der Einführung erhoben. Da Arbeitstage oft sehr unterschiedlich verlaufen, beurteilten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über jeweils zwei Wochen vor und nach der Einführung, wie sie ihren Arbeitstag wahrgenommen haben (z.B. Zeitspielraum, Erholung). Zudem wurden sie in Interviews über ihre Wahrnehmungen, Pläne für den freien Freitag und deren Umsetzung befragt. Für die Einordnung der Fragebogendaten wurde eine Vergleichsstichprobe von 207 Beschäftigten aus der IT-Branche (insgesamt 71 Unternehmen) mit vergleichbaren Kenngrößen erhoben. 

Übrigens:
Im Politik-Talk "Fakt ist..." des MDR-Fernsehens sind Dr. Christine Johannes und Marko Fliege am 28. September um 22.10 Uhr zu Gast, um über die Erfahrungen mit der Vier-Tage-Woche zu sprechen und die Forschungsergebnisse zu diskutieren.

Link zur Sendung