„Songwriting im Unterricht gilt noch immer als höchst innovativ“

Einblicke
Kartenspiel Write Your Song

Wie sieht ein zeitgemäßer Musikunterricht aus, in dem Schüler*innen beim Musikmachen eigene Songs erfinden? Wie kann Musikunterricht in der Schule so gestaltet werden, dass dieser sowohl den tatsächlichen Interessen und Expertisen von Schüler*innen entspricht, als auch Kompetenzen für eine (post)digitale Gesellschaft ausbildet? Diesen und anderen Fragen gehen die Wissenschaftler*innen des vierjährigen Forschungsprojekts „Musical Communities in the (Post)Digital Age“ (MusCoDA) nach, einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbund zwischen der Universität Erfurt und der Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam. Unter der Leitung von Prof. Dr. Verena Weidner untersucht das Erfurter Team dabei das „Songwriting mit diversen analogen und digitalen Musiktechnologien im Musikunterricht an Schulen“ mit dem Fokus auf die dabei entstehenden Netzwerke. Basierend auf ersten Erkenntnissen hat das Team nun ein Kartenspiel entwickelt, das Pädagog*innen bei der Planung von Songwriting-Lektionen im Unterricht unterstützen soll.

„Im Kern unseres Verbundes geht es um den Vergleich und mögliche Annäherungspunkte zwischen dem formal-schulischen Musikunterricht und dem informell-außerschulischen Musiklernen von Bands in Kellerräumen, Garagen oder an Online-Orten“, erklärt Katharina Hermann. Die Musikerin und Musiklehrerin ist seit einem Jahr wissenschaftliche Mitarbeiterin im Teilprojekt MusCoDA der Universität Erfurt. Während außerschulisches Songwriting von ihren Potsdamer Kolleg*innen untersucht wird, indem diese den Netzwerken von Bands über größere Zeiträume in Proberäumen, auf Social Media-Kanälen wie TikTok und Instagram, in Tonstudios oder auf Tour folgen, werden im Erfurter Teilprojekt zeitgleich zwei Unterrichtsdesigns zum Songwriting im Musikunterricht entwickelt und beforscht. „Ein gemeinsames Stück zu schreiben, zusammen etwas zu erschaffen und dabei auch persönliche Themen zu verarbeiten, das ist ein unheimlich sozialer Prozess, an dem nicht nur Klassenkamerad*innen mitwirken, sondern oft auch Eltern, Geschwister oder die Freunde einzelner Schüler*innen.“ Das Musik-Erfinden allgemein würde seit einigen Jahren zwar mehr und mehr in den Unterricht integriert, sagt die Forscherin, – vor allem im Zuge der Digitalisierung und der Etablierung etwa von zum Beispiel sogenannten iPad-Klassen – aber: „Songwriting bleibt oft eine Ausnahme und gilt noch immer als höchst innovativ.“ Eine Überraschung ist das für Katharina Hermann nicht, denn auch in der Ausbildung von Musikpädagog*innen sind kreative Praktiken der Populären Musik im Gegensatz zu klassischen Formen des Komponierens und Improvisierens noch selten. Und so mangele es an vielen Schulen an der Integration solcher Praktiken, denn „wenn ich etwas selbst nicht kann oder gelernt habe, dann wende ich es natürlich auch nicht an.“

Aktionskarte im Spiel "Write Your Song!"

Doch durch Digitalisierungsprozesse, angestoßen etwa durch Music Education Programme von Konzernen wie Ableton und Apps, haben sich in den vergangenen Jahren viele neue Formen des Musikmachens entwickelt. Und spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie suchen Musiklehrkräfte nach Möglichkeiten, um gemeinsam mit ihren Schüler*innen als Gruppe Musik zu machen. „Hierzu gibt es weltweit eine Reihe toller Ideen und Projekte, die vielerorts unbekannt und auch in der nationalen wie internationalen Musikpädagogik noch selten systematisiert werden“, weiß Hermann. „Ein zentrales Anliegen des MusCoDA-Projektes ist es deshalb, Antworten auf die Frage nach einem zeitgemäßen Musikunterricht zu finden und Konsequenzen für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften abzuleiten.“

Vor diesem Hintergrund hat das Erfurter Forschungsteam im Jahr 2021 die musikpädagogische Literatur zum Thema Songwriting im Unterricht analysiert und dabei sowohl immer wieder auftauchende Standards als auch nur selten geäußerte Ideen rekonstruiert. Daraus soll nun ein erstes Design entwickelt und ab Frühjahr 2022 an Thüringer Schulen umgesetzt und beforscht werden. „Bei der Analyse der Literatur sind uns bestimmte sich wiederholende Vorgehensweisen aufgefallen, die sich in Themenblöcke einteilen ließen. Wie ein Baukastensystem, bei dem es keine Rolle mehr spielt, welches Instrument gespielt oder ob analog oder digital gearbeitet wird. Aus der Frage, wie wir diesen Baukasten Lehrkräften sinnvoll aufbereiten können, ist dann die Idee des Kartenlegespiels entstanden.“ Den ersten Prototypen hat Katharina Hermann noch selbst gebaut: 44 Themen-, Struktur- und Aktionskarten, die Strategien im Songwriting-Prozess widerspiegeln, die den Forscher*innen bei der Analyse auffielen. Das Team ließ die Karten dann von einer Grafikdesignerin gestalten und gab die Produktion in Auftrag. Mit dem Spiel „Write Your Song!“ erhalten Lehrkräfte nun eine Orientierung für die Planung von Musikunterricht, mit der sie flexibel ihre Schüler*innen zu kreativen Prozessen des Erfindens Populärer Musik „anstiften“ können. „Und es kann zudem als ein kreativer Weg der Verbreitung von Forschungsergebnissen oder gar als Wissenschaftskommunikation betrachtet werden. Das Spiel hält nämlich den Forschungsstand fest und bietet konkrete Umsetzungsformen an.“

Themenkarte Write Your Song!
Themenkarte im Spiel "Write Your Song!"

Seine Bewährungsprobe muss das Kartenspiel bei einem interaktiven Webinar bestehen, das am 8. Februar 2022 in Kooperation mit Lugert Verlag und mit Musikpädagog*innen aus ganz Deutschland stattfindet. Darin soll das Spiel erprobt, mit den Lehrkräften über Erfahrungen mit Songwriting im Unterricht diskutiert und deren Expertise bei der weiteren Entwicklung eines Unterrichtsdesigns einbezogen werden. Gleichzeitig testen die Erfurter Wissenschaftlerinnen das Kartenspiel in einem Seminar mit Lehramtsstudierenden. „Mit den Ergebnissen aus diesen beiden Prozessen starten wir anschließend in die nächste Phase des Forschungsprojektes: In vier Erfurter Schulen gehen wir in je zwei 9. Klassen, in denen das aus dem Kartenspiel entwickelte Unterrichtsdesign umgesetzt wird. Wir beobachten die kreativen Prozesse, führen Interviews und nehmen Videografien auf.“ Aus den so gewonnenen Daten soll dann ein Modell für kollektive Kreativität allgemein und im Unterricht im Speziellen entwickelt werden. „Unser Ziel ist es, ein Konzept kollektiver Kreativprozesse für den Musikunterricht zu erarbeiten – und das nicht nur aus unserer wissenschaftlichen Perspektive heraus, sondern in ständigem Austausch zwischen Forschung, Lehrkräften und der Schülerschaft. Mit dem Kartenspiel haben wir nun einen ersten Meilenstein auf diesem Weg erreicht.“

Kontakt:

Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt "MusCoDA – Musical Communities in the (Post)Digital Age"
(Fachgebiet Musik)